Zukunft 38-Stunden-Woche in der Pflege?

Am GZO Spital Wetzikon wird derzeit die 38-Stunden-Woche für Pflegepersonal getestet. Das Fazit ist positiv, langfristig umsetzbar sei das Modell aber nicht.

, 14. Juli 2023 um 05:00
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Judith Schürmeyer, COO GZO Spital Wetzikon. | zvg
Die Diskussionen um die Arbeitszeitregelung im Gesundheitswesen laufen derzeit heiss, wie Medinside hier und hier berichtete. Am GZO Spital Wetzikon wird derzeit in einem Pilotprojekt die 38-Stunden-Woche für Pflegefachpersonen getestet. Das Ziel: die Arbeitsbedingungen für Pflegefachkräfte im Drei- Schichtbetrieb soll verbessert und die Zahl der frühzeitigen Berufsaustritte reduziert werden.
  • Mit der 38-Stunden-Woche profitieren Pflegefachpersonen im Drei-Schichtbetrieb von 10 Prozent weniger Arbeit bei gleichem Lohn. (Bei 100 Prozent > 37.8 Std./Woche)
  • Die Schichten per se bleiben gleich lang, die Pflegenden haben jedoch mehr Ruhezeiten und Freitage
Frau Schürmeyer, seit einem Jahr arbeiten Pflegefachpersonen bei Ihnen am Spital Wetzikon bei einem 100 Prozent Pensum nur 38 Stunden. Welches Fazit ziehen Sie? Wir ziehen nach einem Jahr ein sehr positives Fazit. Das neue Arbeitszeitmodell entlastet Pflegefachpersonen im Drei-Schichtbetrieb, was weniger Krankheitsfälle und Kündigungen zur Folge hat. Die geringere Fluktuation stabilisiert die Teams und zeigt nach ersten Befragungen in Zusammenarbeit mit der Universität Bern eine höhere Mitarbeiterzufriedenheit. Auch soziale Aspekte spielen in diesem Zusammenhang eine Rolle: Festangestellte Mitarbeitende tragen aufgrund gleicher Rahmenbedingungen zu einer positiven Grundstimmung im Team bei. Temporärangestellte wechseln bei unerwünschten Schichtplänen eher in ein anderes Spital, wenn keine Zugeständnisse gemacht werden, und tragen so zu einem Ungleichgewicht im Team bei. Das neue Arbeitszeitmodell stösst auf Interesse und zieht auch neue Pflegefachkräfte an.
Der Grundlohn ist derselbe geblieben. Wie können die Kosten gestemmt werden? Beim Fachkräftemangel in der Pflege müssen auch die Zeitarbeitskräfte berücksichtigt werden. Diese kosten das Krankenhaus 40 Prozent mehr als fest angestelltes Personal. Sie sind für das Spital nicht nur teuer, sondern erfordern auch eine lange Einarbeitungszeit, was sich aufgrund der fehlenden Kontinuität negativ auf die Qualität der Prozesse auswirkt. Durch mehr Festanstellungen sinken die Kosten bei den temporären Mitarbeitenden.
«Langfristig ist die 38-Stunden-Woche nicht finanzierbar.»
Ist ein solches Modell langfristig finanzierbar? Es handelt sich um eine teure und befristete Sofortmassnahme zur Umsetzung der Pflegeinitiative, weil wir das Pflegefachpersonal brauchen. Mit den Tarifstrukturen, die wir aktuell im Spitalwesen schweizweit haben, ist ein solches Modell langfristig nicht finanzierbar.
Die fehlende Arbeitsleistung muss durch mehr Mitarbeitende kompensiert werden. Eine Herausforderung in der aktuellen Situation, oder? Wir konnten die rund 10 Stellenprozent der Pflegenden im Drei-Schichtbetrieb, die aufgrund der Reduktion der Arbeitszeit kompensiert werden mussten, allesamt besetzen. Die Bewerbungssituation stabilisierte sich leicht und die Massnahme zeigt Wirkung. Pflegefachkräfte mit speziellen Qualifikationen sind jedoch weiterhin schwer zu finden.
«Eine Verlängerung des Pilotversuches ist nötig, da die Politik kurzfristig noch keine anderen Lösungen bietet.»
Es wurde soeben beschlossen, dass der Pilotversuch um ein Jahr verlängert wird. Könnte sich das Modell langfristig durchsetzen? Eine Verlängerung des Pilotversuches ist nötig, da die Politik kurzfristig noch keine anderen Lösungen bietet. Die Gefahr besteht jedoch, dass die eigentlichen Verantwortlichen in der Politik wichtige Weichenstellungen tendenziell auf die lange Bank schieben, wenn die Spitäler nun selbst kreative Lösungen bieten. Wir sind aber nach wie vor der Meinung, dass der politische Souverän sich dem Thema annehmen muss, denn die Spitäler alleine können das Gesamtproblem des Fachkräftemangels nicht alleine lösen. Es braucht neue Denkweisen und Ansätze, damit auch übergeordnete Massnahmen entwickelt werden können.
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