Im Kinderspital beider Basel hat jedes dritte Kind eine seltene Krankheit

Die Kindermedizin ist unterfinanziert. Besonders betroffen davon sind die reinen Kinderspitäler in Basel, Zürich und St. Gallen. Agnes Genewein vom Universitäts-Kinderspital beider Basel (UKBB) erklärt, wo der Schuh drückt.

, 19. April 2018 um 21:38
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Die Blutentname einer erwachsenen Person ist normalerweise eine Sache von rund 3 Minuten. Ausgeführt wird sie durch eine diplomierte Pflegefachperson. Bei einem Kind dauert die gleiche Prozedur im Spital im Schnitt 15 Minuten. «Es kann drei Minuten dauern; aber es kann auch eine Stunde dauern», sagt Agnes Genewein, Spezialärztin Neonatologie im Universitäts-Kinderspital beider Basel (UKBB). Zudem braucht es bei Blutentnahmen bei Kindern nicht eine, sondern drei Personen. Auch ein Arzt oder eine Ärztin müssen dabei sein. Ob Kind oder erwachsene Person: Die Vergütung beträgt 7 Franken.
Das Beispiel zeigt: Bei der Tarifierung von ärztlichen Leistungen bei Kindern kann etwas nicht stimmen.

Bei Kindern steigt der Aufwand um einen Drittel

«Kinderspitäler müssen für eine vergleichbare Leistung im Vergleich zu herkömmlichen Spitälern mit einem um etwa ein Drittel höheren Aufwand rechnen», erklärt Genewein im Sitzungszimmer vom UKBB. Es gibt zwar kinderspezifische DRG’s. Sie sind aber selten und entsprechen laut Genewein häufig nicht dem tatsächlich erbrachten Aufwand.
  • Kinder sind unselbstständig. Bei einem stationären Eingriff muss häufig ein Elternteil ebenfalls hospitalisiert und mitbetreut werden.
  • Kinder sind ängstlich und abwehrend, was eine personalintensive Begleitung und viel Geduld fordert.
  • Häufig sind für invasive und aufwendige Untersuchungen Sedationen nötig.
  • Kinder haben kleine Fallzahlen, weisen aber multiple und vielfältige Pathologien auf. Individualisierte Abklärungen sind die Folge, so dass eine breite Palette von medizinischen Spezialleistungen angeboten werden muss, die zudem immer kindergerecht zu erfolgen haben.
  • Sprachliche Barrieren sind besonders häufig, was Dolmetschereinsätze und soziale Betreuungsdienste erfordern.

Die IV bereitet grosse Sorgen

DRG, also die Gewichtung, ist das eine. Die Baserate etwas anderes. Und hier bereitet Agnes Genewein vor allem die IV Sorgen. 2015 betrug die Baserate bei IV-Fällen 12'000 Franken. Auf 2016/17 wurde sie von der IV auf 11’414 Franken gesenkt. Eine nicht nachvollziehbare Reduktion, welche für Agnes Genewein nicht akzeptabel ist. Denn das UKBB und andere hochspezialisierte Kinderspitäler wie Zürich oder St. Gallen fällt das ins Gewicht. Rund 50 Prozent der Kosten im stationären Bereich entstehen durch IV-Fälle.

Das Defizit steigt um 4 Millionen Franken

Dass die Kindermedizin sowohl mit den Fallpauschalen im stationären wie auch beim Tarmed im ambulanten Bereich nicht kostendeckend ist, ist hinlänglich bekannt. Und doch setzte Sozialminister Alain Berset mit dem kürzlich erfolgten Tarmed-Eingriff noch eins obendrauf. Was das in Zahlen bedeutet, zeigte kürzlich die «Rundschau» im Schweizer Fernsehen. In Basel beträgt dadurch das Defizit 14,7 statt 10,4 Millionen Franken (siehe Grafik).
Vielleicht hat der Tarmed-Eingriff von SP-Bundesrat Alain Berset auch sein Gutes. So etwas wie ein Weckruf. So wollen nun die drei unabhängigen Kinderspitäler in Basel, Zürich und St. Gallen vermehrt politisch Druck machen, um ihrem Anliegen Nachhall zu verschaffen. 

Nachteile bei Neugeborenen

Gegenüber den Kinderkliniken, die einem Universitätsspital oder einem Zentrumsspital wie Luzern oder Aarau angeschlossen sind, haben reine Kinderspitäler einige Nachteile. Beispiel Neugeborene: Im UKBB hat jedes dritte Kind eine seltene Krankheit. Die kranken Neugeborenen im UKBB sind nicht kostendeckend, weil es landesweit natürlich viel mehr gesunde Neugeborene gibt, sich der Pauschaltarif aber an einem Benchmark orientiert, der unter den mittleren Fallkosten liegt.

Die Fast-Kranken werden durch die Schwer-Kranken übersteuert

Kliniken verdienen deshalb an Neugeborenen, die keine Überwachung benötigen. Neugeborene mit Adaptionsstörung, die aber keine Therapie beanspruchten, sind in der gleichen Kategorie eingeteilt wie ein krankes Kind, das auf der Intensivstation gelegen ist. Die Fast-Kranken werden durch die Schwer-Kranken übersteuert. «Wir haben im Kinderspital eine schlechte Selektion», sagt Agnes Genewein.

Agnes Genewein: «Wir haben im Kinderspital eine schlechte Selektion.» 

In einem gemischten Spital merkt man das weniger, da dort gesunde und kranke Neugeborene zusammenkommen. Zudem werden Kinderkliniken von gemischten Spitälern quersubventioniert. Im UKBB gibt es weder gesunde Neugeborene noch Disziplinen aus der Erwachsenenmedizin, welche die defizitäre spezialisierte Kindermedizin kompensieren.

Standesinitiative in St. Gallen

Am 15. Dezember 2017 verlangte die Solothurner SP-Nationalrätin Bea Heim in einer Motion eine Begleitforschung zum Thema Entwicklung der Versorgung und der Finanzierung der Kinder- und Jugendmedizin. Der Bundesrat beantragt, den Vorstoss abzulehnen. Und am 23. April wird der Kantonsrat von St. Gallen über eine Standesinitiative zur kostendeckenden Finanzierung der Kinderspitäler und Kinderkliniken beraten. Der Regierungsrat unterstützt das Anliegen.
Eingereicht wurde das Standesbegehren von der CVP-GLP-Fraktion. Die Forderung ist unmissverständlich: «Der Kantonsrat lädt die Bundesversammlung ein, dahingehend tätig zu werden, dass die erbrachten Leistungen in der Tarifstruktur für die eigenständigen Kinderspitäler und die in Erwachsenenspitäler integrierten Kinderkliniken sowohl für den spitalambulanten als auch den stationären Bereich kostendeckend vergütet werden.»
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