Preis für Abnehmspritze: In Deutschland vertraulich

Deutschland führt geheime Preise bei Medikamenten ein. Vor allem die Krankenkassen wehren sich dagegen.

, 4. Dezember 2024 um 10:22
image
Wie geheim ist der Preis? Medikament Mounjaro.
Pharmakonzerne dürfen in Deutschland den Preis frei wählen, wenn sie ein neues Medikament auf den Markt bringen. Nach einem Jahr bewertet ein Gremium aus Vertretern von Ärzten, Krankenkassen und Kliniken den Wert des neuen Medikaments.
Hat das neue Medikament keinen belegten Zusatznutzen gegenüber älteren Mitteln, muss das Pharmaunternehmen einen Rabatt gewähren.
Dieser Rabattpreis für Deutschland war bisher öffentlich und hatte Auswirkungen auf andere Länder, weil diese dann auch eine entsprechende Ermässigung forderten. Eli Lilly will künftig aber wie in anderen EU-Staaten die Rabatte geheim halten.

Eli Lilly verhandelt über Mounjaro

Derzeit verhandelt der Pharmakonzern Eli Lilly mit den deutschen Krankenkassen über den Preis für sein neues Diabetesmedikament Mounjaro, das gleichzeitig als Abnehmspritze bekannt ist. Für Diabetespatienten bezahlen es die Krankenkassen. Wer jedoch abnehmen will, muss die Kosten selber übernehmen.
Für Mounjaro haben die Krankenkassen und Ärzte bei der Überprüfung kaum Zusatznutzen festgestellt. Für Eli Lilly bedeutet das, dass der Konzern in Deutschland einen hohen Rabatt gewähren muss.

Erstmals vertraulich

Laut einem TV-Bericht auf ARD rechnen Experten damit, dass das Unternehmen deshalb bei diesem Präparat erstmals vom neuen Recht auf einen Geheimpreis Gebrauch machen wird.
Der Vorteil für Eli Lilly wäre, dass die Abnehmwilligen für ihre Spritze einen höheren Preis zahlen und nicht erfahren, wie gross der Rabatt ist, den Krankenkassen auf das Präparat erhalten. Auch Ärzte wissen nicht, wie teuer Mounjaro im Vergleich zu ähnlichen Medikamenten ist.
Wäre der Rabatt bekannt, den das Pharmaunternehmen auf den Preis von Mounjaro gewährt, könnte es für den gleichen Wirkstoff als Abnehmspritze kaum einen höheren Preis verlangen.

Pharmakonzern dementiert

Gemäss Recherchen von «Investigate Europe» soll Eli Lilly sogar den Neubau eines Pharmawerks in Rheinland-Pfalz davon abhängig gemacht haben, dass Deutschland vertrauliche Medikamenten-Preise gesetzlich erlaubt.
In diesem Werk will Eli Lilly Medikamente mit dem Wirkstoff Tirzepatid herstellen. Es ist der Wirkstoff für das Diabetes-Medikament Mounjaro. Er wird auch für die Abnehmspritze Zepbound verwendet, die in der EU vermutlich bald zugelassen wird.
Der Konzern dementiert einen Zusammenhang: Die Entscheidung über die Investition in Rheinland-Pfalz sei bereits zuvor getroffen worden.

«Geheimpreise schädlich»

In Deutschland ist die Einführung von vertraulichen Rabatten stark umstritten. Experten im Gesundheitswesen fürchten Preiserhöhungen nicht nur für Deutschland, sondern in allen europäischen Ländern. Denn Ärzte und Ärztinnen würden nicht mehr die genauen Preise kennen und nicht mehr wissen, ob ein Medikament teurer oder billiger ist als ein gleich gutes anderes.
Der Verband der Krankenkassen rechnet bereits im ersten Jahr mit Mehrkosten von bis zu 840 Millionen Euro – unter der Annahme, dass für zehn Prozent aller neuen Medikamente der Preis geheim bleiben soll.

«Kassen profitieren von Rabatten»

Befürworter halten dem entgegen: Vertraulich verhandelte Preise ermöglichen, dass grössere Rabatte gewährt werden, ohne dass ein Arzneimittel daraufhin weltweit nur noch zu einem tiefen Preis verkauft werden kann.
Für die Pharmafirmen erhöht sich damit der Spielraum für Rabatte. Von diesen könnten wiederum die Krankenkassen profitieren.

Schweiz: 2020 erstmals ein geheimer Preis

Vertraulich verhandelte Preise sind auch in der Schweiz ein umstrittenes Thema. Bis 2020 verhandelte die Schweiz keine vertraulichen Arzneimittelpreise. In der Spezialitätenliste war von jedem Medikament, das die Krankenkassen vergüten, sowohl der Fabrikabgabepreis als auch der Publikumspreis aufgeführt.
Vor gut vier Jahren bewilligte der Bundesrat erstmals eine neue Krebsbehandlung «zu einem reduzierten, vertraulichen Preis». Ohne Geheimhaltungsvertrag hätte die Schweiz den Rabatt nicht erhalten.
Der Bundesrat will solche vertraulichen Preismodelle im zweiten Kostendämpfungspaket gesetzlich verankern. Die Krebsliga wehrt sich dagegen.
Es geht bei vielen dieser Verträge um neue teure Krebsmedikamente. Das Argument der Krebsliga: Die Preismodelle würden verhindern, dass die wirkungsvollsten Substanzen zum besten Preis in die Spezialitätenliste aufgenommen werden.
Zum Thema:

  • medikamente
Artikel teilen

Loading

Kommentar

Mehr zum Thema

image

EU gibt Novartis grünes Licht für Kisquali gegen Brustkrebs im Frühstadium

Der Wirkstoff Ribociclib soll insbesondere Patientinnen helfen, bei denen das Risiko besteht, dass sie einen Rückfall erleiden.

image

Antibiotika-Therapie: In Praxen und Kliniken immer noch suboptimal

In Baden-Württemberg erforschte man den Antibiotika-Einsatz in zehn Spitälern. Heraus kam ein halbes Dutzend heikler Punkte.

image

Mehr als die Hälfte der Medikamente war zu teuer

Nach der diesjährigen Arzneimittelüberprüfung des BAG sinken die Listenpreise von 300 Produkten.

image

Apothekerverband darf sich nicht über Santésuisse beschweren

Santésuisse darf behaupten, dass sich Apotheken mit Medikamenten-Teilpackungen «die Kassen füllen».

image

Swissmedic: Neues Mitglied im Expertengremium

Es ist Christian Kamm, Co-Chefarzt und Leiter der stationären Neurologie des Luzerner Kantonsspitals.

image

Packungsgrössen und Milliardenverluste: Die endlose Debatte um Medikamentenabfall

Die Gesundheitskommission des Ständerats hat an ihrer Sitzung zwei Motionen gutgeheissen, die der Medikamentenverschwendung Einhalt gebieten soll. Es ist der x-te Anlauf.

Vom gleichen Autor

image

Sie designt schöne Spitalhemden

Ein Laden, der Mode für Schwerkranke im Spital verkauft: Bitten Stetter kreiert fröhliche Spitalhemden und andere Produkte für Bettlägerige.

image

So viel schöner haben es kranke Kinder im neuen Kispi

Früher verbrachten Kinder für eine Stammzelltransplantationen Wochen in einer Isolationskabine. Im neuen Kispi gibt es keine Zellen mehr.

image

Diese Geräte boomen in den Schweizer Spitälern

CT-Scanner sind die meistgenutzten medizinischen Grossgeräte. Nicht mehr gefragt sind Nierenstein-Zertrümmerer.