Die gute Nachricht ist bekannt: Seit einiger Zeit wächst die Sensibilisierung für seltene Krankheiten – und damit gewann auch die Forschung an entsprechenden Medikamenten, den «Orphan Drugs», stark an Gewicht. Entsprechend stiegen die Zulassungen von Arzneimitteln zur Behandlung seltener Krankheiten in den letzten zwei Jahrzehnten deutlich an.
Ein Problem dabei: Die Wirksamkeit nach der Zulassung lässt sich schwerer beurteilen, entsprechende Folgestudien und HTA-Assessments werde daher auch seltener verlangt.
Ein Forscherteam des deutschen Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen hatte bereits 2022 Zweifel am «fiktiven Zusatznutzen» vieler Orphan Drugs geäussert. Und nun ging das Institut dieser dieser Frage nochmals und gezielt nach.
Konkret nahm das Team unter Leitung von Philip Kranz 89 Orphan Drugs ins Visier, die zwischen 2011 und Dezember 2023 im EU-Raum respektive in Deutschland eine Zulassung erhalten hatten. Dabei wurden wiederum insgesamt 175 einzelne Indikationen vermessen.
Die Resultate waren eher ernüchternd. Bei der Mehrheit der Fragestellungen liess sich kein Zusatznutzen gegenüber der bestehenden Standardbehandlung feststellen. Hinzu kommt, dass die als Orphan Drugs lancierten Mittel oft nicht in der Lage sind, einen wirklich ungedeckten medizinischen Bedarf – also Krankheiten ohne vorhandene Therapiemöglichkeiten – zu adressieren
Die neue Untersuchung ergab, dass für 58 Prozent der untersuchten Fragestellungen bereits andere aktive Therapien zur Verfügung standen. Dies war insbesondere bei onkologischen Indikationen der Fall: Hier stellten die neuen Orphan Drugs in fast 9 von 10 Fällen lediglich eine Ergänzung zum Bestehenden dar.
Zugleich waren onkologische Indikationen bei den Zulassungen stark überrepräsentiert – während es bei anderen seltenen Erkrankungen viel eher an Arzneimitteln fehlt.
Ein Fazit der Studie lautet also, dass bei vielen Orphan Drugs in Europa kaum ein Zusatznutzen «in terms of improving patient-relevant outcomes» festgestellt werden kann: «Obendrein sind die meisten Orphan Drugs, die bewilligt werden, indiziert für Erkrankungen mit etablierten Behandlungsmethoden oder für onkologische Fälle, während zugleich viele Bedürfnisse immer noch nicht adressiert werden können.»
Mit anderen Worten: Die Entwicklung von Medikamenten gegen seltene Krankheiten ist lückenhafter, als die positive Entwicklung der letzten Jahrzehnte vermuten lässt. Eine stärkere Orientierung am medizinischen Bedarf sei notwendig, schreibt das Kölner Institut.
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