Ob in der Apotheke, im Supermarkt oder online – die Auswahl an Nahrungsergänzungsmitteln hat fast keine Grenzen. Von Produkten, die eine potenzfördernde bzw. aphrodisierende Wirkung haben sollen, über solche für strahlende Haut oder gesundes Haar bis hin zu Produkten gegen Stress: Die Palette ist riesig.
Ein Blick in die Schweizer Gesetzgebung zeigt jedoch, dass die überwiegende Mehrheit dieser sogenannten «Health Claims» gar nicht zulässig ist. Hintergrund ist die fundamentale Unterscheidung in der Regulierung von Nahrungsergänzungsmitteln und Arzneimitteln, die weitreichende Konsequenzen für Händler:innen und Konsument:innen hat.
- Die Autorin: Celine Weber ist Rechtsanwältin spezialisiert auf Life Sciences bei der Zürcher Anwaltskanzlei Walder Wyss. Sie berät regelmässig zu regulatorischen Fragen im Zusammenhang mit Arzneimitteln, Medizinprodukten und Lebensmitteln (einschliesslich Abgrenzungsfragen) und verfügt über weitreichende Erfahrung in Gerichtsverfahren und vor Verwaltungsbehörden in Life-Sciences-Angelegenheiten. Daneben ist sie Dozentin für den Certificate of Advanced Studies (CAS) in Rare Diseases an der Universität Zürich.
Um die Regeln zu verstehen, muss man zunächst die Produkte klar voneinander abgrenzen:
- Ein Nahrungsergänzungsmittel ist ein Lebensmittel, das in konzentrierter Form die normale Ernährung ergänzt. Es beinhaltet Vitamine (z.B. Vitamin D), Mineralstoffe (z.B. Magnesium) oder sonstige Stoffe (z.B. Kreatin) mit ernährungsspezifischer oder physiologischer Wirkung. Ein Nahrungsergänzungsmittel darf hingegen keine pharmakologische Wirkung haben. Ein Nahrungsergänzungsmittel unterscheidet sich von anderen Lebensmitteln aufgrund der Darreichungsform, da es beispielsweise als Kapsel, Tablette oder Pulver erhältlich ist.
- Ein Arzneimittel hingegen ist ein Produkt chemischen oder biologischen Ursprungs, das zur medizinischen Einwirkung auf den menschlichen Organismus bestimmt ist oder angepriesen wird. Es dient der Erkennung, Verhütung oder Behandlung von Krankheiten, Verletzungen oder Behinderungen.
Unterschiedliche Hürden für die Markteinführung
Je nach Produktkategorie bestehen gänzlich verschiedene Hürden für das Inverkehrbringen:
- Arzneimittel müssen zugelassen werden: Bevor ein Arzneimittel in der Schweiz auf den Markt gebracht werden darf, muss es von Swissmedic zugelassen werden. Dies erfordert umfangreiche Zulassungsunterlagen, die die Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit des Arzneimittels belegen. Die Entwicklung und Zulassung eines neuen Arzneimittels ist ein jahrelanger, risikoreicher und äusserst kostspieliger Prozess. Zudem benötigt das herstellende oder importierende Unternehmen eine Betriebsbewilligung von Swissmedic. Diese hohen Anforderungen gewährleisten, dass Arzneimittel den höchsten Standards genügen und eng auf unerwünschte Wirkungen überwacht werden (Pharmakovigilanz).
- Nahrungsergänzungsmittel benötigen keine Zulassung: Die Verantwortung für die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben liegt beim Hersteller oder Inverkehrbringer, wie bei gewöhnlichen Lebensmitteln. Unternehmen, die im Lebensmittelbereich tätig sind, müssen ihre Tätigkeit bei der zuständigen kantonalen Lebensmittelkontrollbehörde lediglich melden. Die Hürden, um ein Nahrungsergänzungsmittel auf den Markt zu bringen, sind somit deutlich niedriger als bei Arzneimitteln.
Wie dürfen die Produkte beworben werden?
Die unterschiedlichen regulatorischen Vorgaben spiegeln sich auch stark in der Art und Weise wider, wie diese Produkte beworben und gekennzeichnet werden dürfen:
- Arzneimittel dürfen eine Wirksamkeit gegen eine spezifische Krankheit anpreisen, sofern dies der zugelassenen Indikation entspricht (z.B. «zur Behandlung von Schmerzen»; «lindert Schmerzen»).
- Nahrungsergänzungsmittel dürfen hingegen keine Heilanpreisungen bzw. «Health Claims» enthalten. Gewisse, gesetzlich individuell aufgelistete gesundheitsbezogene Angaben sind jedoch zulässig, beispielsweise «Vitamin D trägt zur Erhaltung normaler Knochen bei» oder «Kreatin erhöht die körperliche Leistung bei Schnellkrafttraining im Rahmen kurzzeitiger intensiver körperlicher Betätigung.»
Andere gesundheitsbezogene Angaben sind nur erlaubt, wenn sie vorgängig vom Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) bewilligt wurden. Ohne diese Bewilligung sind solche Angaben für Nahrungsergänzungsmittel
verboten.
Diskrepanz zwischen Gesetzgebung und Realität
Trotz dieser klaren gesetzlichen Vorgaben zeigt die Praxis oft ein anderes Bild: Die Anpreisung von Nahrungsergänzungsmitteln geht häufig weit über das rechtlich Zulässige hinaus, wie die eingangs genannten Beispiele zeigen.
Auch im Zusammenhang mit der Sicherheit besteht eine Diskrepanz zwischen den rechtlichen Vorgaben und der Realität. Eine gesamtschweizerische Kampagne im Jahr 2024, die zahlreiche pflanzliche Nahrungsergänzungsmittel in Onlineshops überprüfte, kam zu einem ernüchternden Schluss: Der Verband der Kantonschemiker der Schweiz (VKCS)
stellte fest, dass der Einkauf von Nahrungsergänzungsmitteln in Schweizer Onlineshops Konsument:innen aktuell nicht den gewünschten Schutz bietet.
Angesichts möglicher behördlicher Massnahmen, einschliesslich öffentlicher Warnungen und Produkterückrufe, sowie schwerwiegender Sanktionen wie Freiheitsstrafen bis zu fünf Jahren oder Geldstrafen im Falle einer Gesundheitsgefährdung, empfiehlt es sich, vor der Markteinführung von Nahrungsergänzungsmitteln in der Schweiz abzuklären, welche Regeln gelten und welche Angaben zulässig sind. Andernfalls kann dies nicht nur rechtliche, sondern auch ernsthafte gesundheitliche Folgen zeitigen.
- Der «Rechtsfall der Woche» ist ein Partner-Inhalt von Walder Wyss.
Eine dynamische Präsenz im Markt –
Walder Wyss gehört mit mehr als 300 juristischen Experten und Expertinnen an sechs Standorten in allen Sprachregionen zu den führenden Schweizer Kanzleien für Wirtschaftsrecht. Kontinuierliches Wachstum, Kollegialität, Teamarbeit und Leistungswille haben bei Walder Wyss einen hohen Stellenwert – über alle Bereiche und Funktionen hinweg.