Ein Rohrkrepierer: Gesundheitstourismus

Endlich hatte sich Schweiz Tourismus letztes Jahr dazu entschieden, den Gesundheitstourismus anzukurbeln. Nun kam Corona dazwischen.

, 4. September 2020 um 05:00
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Es ist noch nicht lange her, dass die Schweizer Privatspitäler frohlockten: Hirslanden und Swiss Medical Network (SMN) hatten sich mit der Branchenorganisation Schweiz Tourismus zusammengetan und wollten Gesundheitstouristen in die Schweiz holen: vor allem Gutbetuchte aus China, Russland und den Golfstaaten.

20 Privatspitäler wurden Tourismus-Partner

Zu diesem Zweck ging Schweiz Tourismus vor knapp einem Jahr mit rund 20 Spitälern und Kliniken eine Partnerschaft ein zur Entwicklung des Gesundheitstourismus in der Schweiz. Ziel war es, die Schweiz als eine führende Destination im Gesundheitstourismus zu positionieren.
Doch nun hat das Coronavirus vorderhand alle Pläne zerschlagen. Von einer «um 80 Prozent reduzierten Aktivität bei ausländischen Patienten» sprach Zeynep Ersan-Berdoz, Kommunikationsleiterin beim Swiss Medical Network (SMN) gegenüber dem «Tagesanzeiger». Besonders zu spüren bekämen dies die Westschweizer Kliniken Genolier, Montchoisi in Lausanne und Valmont in Montreux.

Auch Basler Klinik profitierte

Aber auch in Basel gibt es Kliniken, die bis Anfang Jahr viel an ausländischen Patienten verdienten: Etwa die private Merian-Iselin-Klinik. Viele Deutsche fuhren über die Grenze, um sich in der Schweiz behandeln zu lassen.
Das wünschten sich andere Schweizer Kliniken auch. Ursprünglich war geplant, dass ausländische Patienten den medizinischen Einrichtungen helfen würden, die Auslastung ihrer Betten zu optimieren. Der touristische Umsatz sollte dadurch bis 2022 um 25 Prozent steigen. Vor allem deshalb, weil Patienten aus dem Ausland oft in Begleitung ihrer Angehörigen anreisen.

Grosse Kampagne war geplant

Just als sich Anfang Jahr das Coronavirus zu verbreiten begann, plante Schweiz Tourismus gar den Start einer mehrsprachigen Webseite, ein Magazin und die Teilnahme an verschiedenen Fach- und Publikumsveranstaltungen in China, Russland und den Golfstaaten.
Dass nicht alle Privatkliniken so stark vom Auslandgeschäft profitierten, erweist sich für diese nun rückblickend als Vorteil. Rodolphe Eurin, Direktor der Genfer Klinik La Tour, sagte gegenüber Medinside: «Der Anteil der Patienten aus dem Ausland in La Tour ist im Moment noch sehr gering, so dass wir keinen besonderen Effekt spüren.»

Luxus-Klinik scheiterte

Ob für die anderen Kliniken, die sich mit Schweiz Tourismus zusammengtan haben, das Konzept ohne Corona aufgegangen wäre, ist freilich unklar. Denn schon andere Klinikbetreiber haben versucht, den Gesundheitstourismus in die Schweiz anzukurbeln - und scheiterten.
Etwa die nach eigenen Angaben «luxuriöseste Klinik der Welt», die Privatklinik Braunwald. Sie wurde extra für wohlhabende Ausländer aus dem Mittleren Osten, Russland und Asien eröffnet. Ein Aufenthalt für Sucht, Burnout, Depression oder andere Stressfolgenprobleme kostete im ehemaligen Luxus-Hotel mindestens 45'000 Franken pro Woche. Doch bereits kurz nach der Eröffnung war das Unternehmen konkurs. Medinside berichtete hier darüber.

Mehr als die Hälfte Selbstbezahler

Dabei gäbe es durchaus Kundschaft: Im Jahr 2017 weilten über 35’900 Patientinnen und Patienten mit Wohnsitz im Ausland in Schweizer Spitälern und Kliniken. Sie machen rund zwei Prozent aller Patienten aus. Mehr als die Hälfte von ihnen sind Selbstbezahler.
Ob und wann sich der Gesundheitstourismus in der Schweiz erholen wird, ist noch völlig unabsehbar. Viele Luxuskliniken, die Millionen in den Ausbau ihrer Häuser investiert haben, müssen sich nun vor allem nach gut betuchten Patienten aus dem Inland umsehen, die sich ihre Angebote gönnen möchten.
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