Der Berner Gesundheitsökonom Heinz Locher hat das Inselspital vor einigen Monaten
heftig kritisiert. Er diagnostizierte damals «multiples Organversagen». Doch dann präsentierte die Insel-Gruppe einen
besseren Abschluss als alle befürchtet hatten. Und kürzlich stellte das Spital auch die
neue Direktorin vor, die nächstes Jahr das Ruder übernehmen wird.
Die Frage geht nun zurück an Heinz Locher:
Sind Sie nach den positiven Meldungen des Verwaltungsratspräsidenten Bernhard Pulver immer noch so pessimistisch?
Leider besteht kein Anlass, davon abzukommen. Das Geschehen im Inselspital in den letzten Monaten kann aus meiner Sicht wie folgt charakterisiert werden: Nach aussen demonstriert man Gelassenheit; im Innern herrscht Stagnation, und die Kommunikationspolitik ist Schönfärberei.
Aber die Insel-Gruppe meldete doch im März überraschend gute Zahlen.
Die einzige Kennzahl, die in den vergangenen drei Jahren konstant gestiegene Werte anzeigt, ist das Ausmass der Patientenverluste. Sie betrugen 2022 3,6 Prozent, 2023 4,2 Prozent und 2024 5,2 Prozent.
Diese Zahlen zeigen, dass das Spital Ausstrahlungskraft verliert. Es hat wichtige Fachgebiete für die Versorgung der alternden Bevölkerung verloren oder aufgegeben: etwa die Altersmedizin oder die Hausarztmedizin. Frühere Paradefächer wie die Pädiatrie, Orthopädie, Herzchirurgie, Gefässchirurgie, Thoraxchirurgie, Pneumologie, Dermatologie, Rheumatologie, Hämatologie und Urologie haben erheblich an Bedeutung verloren. Dies führt zu substanziellen Ertragseinbussen. Das Inselspital hat auch keinen Einfluss mehr auf die Besetzung von regionalen und nationalen Chefarztpositionen.
Aber immerhin machte die Insel Gruppe letztes Jahr einen deutlich tieferen Verlust als allgemein erwartet.
Das «Finanzwunder» der zweiten Hälfte des Jahres 2024 ist in Tat und Wahrheit ein «Buchhaltungswunder». Die hoch gepriesenen Ergebnisverbesserungen sind primär im nichtbetrieblichen Bereich entstanden und deshalb nicht nachhaltig. Entscheidend für eine gesicherte wirtschaftliche Situation eines Spitals sind die Erträge aus der Behandlung von Patientinnen und Patienten – und nicht Bewertungsänderungen im Immobilienbereich und die Auflösung von Rückstellungen.
Was meinen Sie damit?
Die faktische Halbierung der Reserven zwischen 2023 und 2024 – sie wurden um rund 650 Millionen Franken vermindert – und die Begründung mit neuen Rechnungslegungsregeln sind nicht plausibel. Der Grosse Rat sollte diesbezügliche Abklärungen vornehmen und darlegen, welche Konsequenzen sich aus dieser Schmälerung der Eigenkapitalbasis und damit der Kreditaufnahmefähigkeit des Inselspitals für den Kanton ergeben.
Was glauben Sie, würde dem Spital helfen?
Etliche der noch ungelösten Probleme wären nicht entstanden, hätten die Repräsentantinnen und Repräsentanten des Berner Volkes im Grossen Rat und in der Regierung klare Rahmenbedingungen für das Spital gesetzt und diese auch kontrolliert. Stattdessen hat sich der Kanton ausmanövrieren lassen, weil das Spital rechtlich eine Stiftung ist.
War die Insel also zu selbständig?
Ja. Die unternehmerischen Ambitionen des Insel-Gruppe und die Finanzmöglichkeiten des Kantons Bern standen in den vergangenen Jahren in einem krassen Missverhältnis. So hiess es 2018 etwa in einer Medienmitteilung: «Die Insel-Gruppe setzt sich zum Ziel, eine der weltweit führenden Spitalgruppen für universitäre und integrierte Medizin zu werden.»
Es ist meiner Meinung nach unverständlich, dass der Verwaltungsrat in den nächsten Monaten eine Unternehmungsstrategie vorlegen will, ohne dass vorgängig eine Eigentümerstrategie des Kantons die Rolle des Inselspitals und der Universität festgelegt hat.
Dann haben Sie auch für die Zukunft wenig Hoffnungen?
2024 war für die Überwindung der krisenhaften Situation ein verlorenes Jahr. Und es liegen kaum Anzeichen vor, dass sich dies 2025 und darüber hinaus ändert.
Heisst das, dass auch die neue Direktorin aus Deutschland das Ruder nicht herumreissen kann?
Es besteht leider kaum Aussicht, Persönlichkeiten mit vertieften Kenntnissen des Schweizer Gesundheitswesens, der innerbetrieblichen Problematik des Inselspitals, den Zuweiserflüssen sowie der lokalen, regionalen und nationalen Situation dazu bewegen zu können, sich zur Verfügung zu stellen, bevor die geschilderten Defizite nicht behoben sind.
Und die Unternehmungskultur hat sich seit dem Abgang von Uwe Jocham nicht verbessert?
Ich weiss aufgrund von konkreten Fällen: Auch unter der gegenwärtigen Führung von Spital und Universität erfolgen Verfahren gegen «in Ungnade Gefallene» nach dem gleichen Muster wie bei den vielen Konflikten mit Chefärzten und Klinikdirektoren unter der früheren Führung: mit Einschüchterung, Mobbing und Verweigerung des rechtlichen Gehörs.