Krankenkassen erhalten unangenehmen Besuch von der Finma

In der Branche ist wiederholt von Fällen zu hören, bei denen die Finma die beaufsichtigten Krankenversicherer zu Strafaufgaben verdonnert.

, 5. Dezember 2020 um 09:26
image
  • spital
  • versicherer
  • zusatzversicherungen
  • finma
Die Finanzmarktaufsicht (Finma) hat derzeit viel zu tun. Noch mehr zu tun haben aber all die Krankenversicherer, bei denen die Finma ein Audit durchführte und Hausaufgaben verordnete. Die Rede ist hier von den Tarifverträgen mit den Spitälern für Privat- und Halbprivatpatienten.

«Intransparent und heterogen»

«Diverse Analysen der Finma haben gezeigt, dass viele Tarifverträge zwischen Krankenversicherern und Leistungserbringern – Ärzten und Spitälern – derart intransparent und heterogen sind, dass sie zu Fehlanreizen führen können und Spielraum für eine zu grosszügige Kostenüberwälzung von Leistungen auf die Krankenzusatzversicherung bieten.» Dies sagte am Freitag ein Finma-Sprecher auf Anfrage von Medinside.
Denn in der Branche ist wiederholt von Fällen zu hören, bei denen die Finma die beaufsichtigten Krankenversicherer zu Strafaufgaben verdonnert. Medinside wollte daher von der Aufsichtsbehörde wissen, wie weit sie das bestätigen kann.

«Mehrleistung ist nicht ersichtlich»

Und ja, die Bestätigung folgt auf dem Fuss: «In vielen Leistungsabrechnungen ist nicht ersichtlich, welche Mehrleistungen in der Zusatzversicherung in Ergänzung zu abschliessend definierten Fallkostenpauschalen in Rechnung gestellt werden», bestätigt die Aufsichtsbehörde. 
Als Folge davon könnten die Versicherer nicht effektiv kontrollieren, inwieweit die vergüteten Kosten im Verhältnis zu den tatsächlich erbrachten Zusatzleistungen angemessen seien.
Teil der Aufsichtstätigkeit der Finma besteht darin, die Corporate Governance eines Krankenzusatzversicherers zu überprüfen. Sie erwartet von den Anbietern von Spitalzusatzversicherungen unter anderem, dass sie nur Abrechnungen für echte Mehrleistungen ausserhalb der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (OKP) akzeptieren, und dass sie zudem sicherstellen, dass die Mehrleistung in einem angemessenen Verhältnis zu den verrechneten Kosten steht.

Grosse Kostenunterschiede

Ist die Mehrleistung auch immer in einem angemessenen Verhältnis zu den Kosten? Kaum. So sei an den Kostenvergleich erinnert, der Anfang November auf diesem Portal hier publiziert wurde. Bei einem Halbprivatpatienten verlangt das Kantonsspital St. Gallen für die Implantation eines künstlichen Hüftgelenks mehr als das Doppelte als die Kantonsspitäler Graubünden und Zug. Und auch die Regionalspitäler im Kanton St. Gallen verlangen für diesen Routineeingriff mehr als die Kantonsspitäler in Schaffhausen, Luzern, Chur und Zug.
Medinside publizierte hier auch die Tarife, die ausgewählte Spitäler bei Privatpatienten für einen Kaiserschnitt verlangen.

«Wirksame Kontrollen»

Wenn ein Krankenversicherer derart grosse Unterschiede akzeptiert, muss er sich von der Aufsicht die Frage gefallen lassen, ob er einer ordentlichen Geschäftsführung, wie sie im Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG) verankert ist, gerecht wird. «Die Krankenversicherer müssen gegenüber der Finma den Nachweis erbringen können (…), dass wirksame Kontrollen bestehen, damit überhöhte Abrechnungen verhindert werden», erklärt der Finma-Sprecher.

«Klarer Mehrnutzen»

Die Tarife der Spitäler ist das eine; die Prämie der Zusatzversicherung etwas anderes. «Für die Zukunft ist zu erwarten», so die Finma, «dass Produkte der Krankenzusatzversicherung einen klaren Mehrnutzen gegenüber der Grundversicherung aufweisen, der auch preislich nachvollzogen und verglichen werden kann. Prämienzahlende sollen einen fairen Preis für echte Mehrleistungen zahlen. Die Versicherer müssen dies sicherstellen und die Finma sie dabei überwachen.»

Spitalversicherung deckt nur stationäre Behandlungen

Wo aber liegt der Mehrnutzen gegenüber der Grundversicherung? Mehr und mehr Eingriffe werden heute ambulant und nicht mehr stationär durchgeführt. Allein dieser Befund müsste dazu führen, dass die Prämien für Spitalversicherungen sinken.
Ansonsten wird als Mehrnutzen die freie Spital- und Arztwahl sowie das Zwei- beziehungsweise Einbettzimmer angegeben. Dieser Mehrnutzen ist gerade bei der Halbprivatversicherung ein fadenscheiniges Verkaufsargument, wenn immer mehr Spitäler kaum mehr über Vierer- und Sechserzimmer verfügen.

Keine Verträge mit Ärzten

Ein Problem kommt noch dazu: Man gewährt freie Arztwahl; hat aber mit den betroffenen Belegärzten gar keine Verträge. Mitte September erklärte die Helsana-Sprecherin im Gespräch mit Medinside: «Herausfordernd bleibt, dass die Vergütung der freien Arztwahl nicht überall vertraglich geregelt ist.» Ohne vertragliche Regelung der Leistungen sei es jedoch schwierig, den Wert der Mehrleistungen zu überprüfen beziehungsweise den Tarifschutz zu gewährleisten. «Deshalb streben wir auch hier an, für die Spitalzusatzversicherungen mit anerkannten Belegärzten eine vertragliche Lösung zu finden.»

Die welschen Ärzte sind die schlimmsten

Die Umsetzung der Finma-Vorgaben ist insbesondere in der Romandie eine grosse Herausforderung, wie mehrere Leistungseinkäufer hinter vorgehaltener Hand bestätigen. Die welschen Belegärzte, die an mehreren Spitälern operieren, betrachten sich als selbstständig erwerbend. Was Krankenversicherer mit Spitälern aushandeln, interessiert sie nur mässig.
In manchen Fällen geht das so: Die Krankenkasse erhält vom Spital die Rechnung; der Arzt seinerseits schickt seine Rechnung dem Patienten, der wiederum die Rechnung der Kasse schickt. Häufig sieht das Spital nicht, was der Arzt in Rechnung stellt. «Das ist historisch gewachsen», erklärt ein Insider, der jeweils mit Spitalvertretern am Verhandlungstisch sitzt. Diese Philosophie zu ändern sei extrem schwierig. 
Artikel teilen

Loading

Comment

2 x pro Woche
Abonnieren Sie unseren Newsletter.

oder

Mehr zum Thema

image

«Der Pflegeberuf braucht eine Imagekorrektur»

Bis Ende dieses Jahrzehnts braucht die Schweiz 30 Prozent mehr Pflegefachpersonen. Das Dilemma: die Ausbildungszahlen stagnieren oder sind gar rückläufig.

image

Knall beim Kantonsspital Winterthur

Gleich zwei Schlüsselfiguren verlassen das KSW per Frühling 2024: CEO Hansjörg Lehmann und Chief Nursing Officer (CNO) Susanna Oechslin gehen.

image

Ab morgen gilt das neue Datenschutzgesetz!

Am 1. September 2023 tritt das revidierte Datenschutzgesetz in Kraft. Was dieses für Arztpraxen und Spitäler bedeutet, erklärt der Anwalt und Datenschutzexperte David Vasella im Interview.

image

Die vier Möglichkeiten für eine neue Krankenversicherung

Die Krankenkassen erhöhen ihre Prämien nächstes Jahr vermutlich wieder massiv. Politiker schlagen deshalb neue Versicherungs-Modelle vor.

image

Experte widerspricht dem «Märchen» von den hohen Reserven

«Die Kassen schwimmen im Geld», schrieb der «K-Tipp». Versicherungsfachmann Felix Schneuwly ist anderer Meinung: Die Reserven seien gering.

image

Diese fünf Behandlungen sollten sich Spitäler sparen

Keine vorbeugenden Antibiotika und keine Schlafmittel-Rezepte für zuhause: Das sind zwei von fünf neuen Empfehlungen für Spital-Ärzte.

Vom gleichen Autor

image

Künstliche Intelligenz muss nicht immer spektakulär sein

Die Nutzung von KI-Systemen kann nicht nur die Qualität der Patientenversorgung erhöhen, sondern in vielen Anwendungen auch die Arbeitslast des medizinischen Personals verringern. Letzteres ist dringend nötig.

image

Kann Digitalisierung gegen den Hausärztemangel helfen?

Auf der Suche nach Lösungen für den Ärztemangel in der Grundversorgung gehen Leistungserbringer neue Wege und nehmen die Digitalisierung selber in die Hand, um den Zugang und die Qualität zu verbessern.

image

«Schlag ins Gesicht der KMU» wenn Pflegefachleute bessere Arbeitsbedinungen erhalten?

Wo die Besserstellung von Pflegefachleuten als «Schlag ins Gesicht der KMU» gegeisselt wird.