Das virtuelle Herz beginnt zu schlagen

Wissenschaftler der EPFL erstellen individuelle Computersimulationen von Patientenherzen. Sie sollen Ärzten schon in einigen Jahren helfen, Herz-Kreislaufkrankheiten zu diagnostizieren.

, 10. Juni 2017 um 04:00
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Eines Tages wird es möglich sein, kardiologische Untersuchungen nicht mehr am realen Herzen, sondern an seinem virtuellen Modell vorzunehmen. Operative Eingriffe oder andere invasive Methoden sind dann nicht mehr nötig, um eine Diagnose zu stellen und die Behandlung zu planen.  
Im Zentrum dieser Entwicklung steht der Mathematiker Alfio Quarteroni von der ETH Lausanne (EPFL). Zusammen mit seinem Team erarbeitet er mathematische Modelle, welche die Herzfunktion anhand von Patientendaten individualisieren. Daraus erstellt er individuelle Computersimulationen des Patientenherzen. Denn jedes Herz ist einzigartig. 
Nun ist es den Wissenschaftlern gelungen, dem Modell auch die Aortenklappe hinzuzufügen. Diese spielt eine zentrale Rolle in der Mechanik des Herzens und hat eine komplexe Funktion und Struktur. Die Ergebnisse wurden im Fachjournal «Biomechanics and Modeling in Mechanobiology» veröffentlicht. 
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Virtuelles Herz mit Aortenklappe (PD)
Studie:
Marco Fedele, Elena Faggiano, Luca Dedè, Alfio Quarteroni: «A patient-specific aortic valve model based on moving resistive immersed implicit surfaces» - in: «Biomechanics and Modeling in Mechanobiology», 7. Juni 2017 

Enorme Datenmengen

Mithilfe von MRI-Bildern eines Patienten konnten die Wissenschaftler die Form der Aorta rekonstruieren und virtuell darstellen. Indem sie die Mechanik der Aorta mathematisch charakterisierten, konnten sie auch die Bewegung der drei Segel der Aortenklappe erfassen. Schliesslich fügten sie noch die Simulation des Blutflusses dazu. 
«Eine mathematische Beschreibung der Aortenklappe und ihrer Interaktion mit dem Blut existiert zwar in der Literatur, aber nicht so detailliert für einen spezifischen Patienten», wird Quarteroni in einer Mitteilung zitiert. 
Selbst bei dieser noch vorläufigen Version des virtuellen Herzens liesse sich die Anpassung an einen anderen Patienten mit einem neuen Satz MRI-Bilder relativ einfach vornehmen. In die Computersimulation eines Herzens fliessen enorme Datenmengen ein. Möglich ist dies nur dank immer leistungsfähigeren Rechnern.

Forschungsprojekt «iHeart»

Ziel des von Quarteroni geleiteten und von der EU finanzierten Projekts «iHeart» ist es, das komplette Herzkreislaufsystem patientenspezifisch zu simulieren, mitsamt dem Herzen, den Blutgefässen und den rund fünf Litern Blut, die im Körper zirkulieren. 
«Wenn wir Erfolg haben, wird 'iHeart' Medizinern helfen, wichtige Fragen der Diagnostik und Behandlung effizient anzugehen», so Quarteroni, «das hat enorme Auswirkungen auf die Gesellschaft». Das nicht-invasive «mathematische Mikroskop» werde eine einzigartige Forschungsumgebung schaffen, um Herz und Herz-Kreislauferkrankungen zu erforschen. 
Erste Prototypen des Herzmodells könnten in den nächsten fünf Jahren für die klinische Anwendung entwickelt und getestet werden. Bis das virtuelle Patientenherz Einzug in die Praxis hält, dürfte es nach Schätzungen von Quarteroni aber noch rund zehn Jahre dauern. 

  • Zur Mitteilung der EPFL

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