Spitaldirektor Dominik Utiger: «Management lernt man, indem man es macht»

Nach zwölf Jahren als Spitaldirektor bei der Hirslanden-Klinik St. Anna kehrt Dominik Utiger zurück zu seinen medizinischen Wurzeln. Im Interview spricht er über Mediziner in Managementfunktionen, über die schwierige Situation der Privatspitäler und was ihm als Direktor am meisten Sorgen bereitete.

, 22. März 2018 um 06:00
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Herr Utiger, nach zwölf Jahren an der Spitze der Klinik St. Anna werden Sie im Sommer wieder als Arzt tätig sein. Warum?
Ich erfülle mir damit einen lange gehegten Wunsch. Die Faszination für die Medizin und die Freude an der Arbeit mit den Patienten hat mich auch als Spitaldirektor nie verlassen, und jetzt habe ich die Gelegenheit, in die Praxis eines befreundeten Kollegen einzusteigen. In unserer Branche ist man ja täglich mit der Vergänglichkeit konfrontiert, und da macht man sich auch selbst den einen oder anderen Gedanken dazu, was man in seinem Leben noch alles machen und erleben möchte. Mein Traum war es stets, zu einem späteren Zeitpunkt wieder zu meinen beruflichen Wurzeln zurückzukehren.
Wann behandelten Sie das letzte Mal einen Patienten oder eine Patientin?
Ich habe das Glück, in einer Klinik tätig zu sein, in der auch die Spitalleitung sehr nah am klinischen Geschehen ist. Wenn ich auf Pikett bin, trifft man mich mehrmals täglich auf dem Notfall. Ich habe sehr regelmässig direkten Kontakt mit den Patientinnen und Patienten unserer Klinik.

«In der Führung eines Spitals geht es letztlich immer darum, verschiedene, branchenspezifische Subkulturen zusammenzuführen und das gegenseitige Verständnis zu fördern.»

Ärzte an der Spitze einer Klinik bringen bessere Leistung als Nicht-Ärzte. Was halten Sie von dieser These?
Ich halte sie für gewagt, denn es gibt sicher auch gute Spitalmanager ohne medizinische Erfahrung. Trotzdem glaube ich, dass ein fundiertes Verständnis für die Medizin und Erfahrung als Ärztin oder Arzt eine grosse Chance darstellt, wenn man in der Leitung einer Klinik tätig ist. Einerseits, um den sachlich-fachlichen Teil zu verstehen und Entscheide richtig beurteilen zu können, aber auch, weil es in der Führung eines Spitals letztlich immer darum geht, verschiedene, branchenspezifische Subkulturen zusammenzuführen und das gegenseitige Verständnis zu fördern.
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    Dominik Utiger

    Spitaldirektor St. Anna

    Nach zwölf Jahren an der Spitze der Hirslanden-Klinik St. Anna wird Dominik Utiger ab Juli gemeinsam mit Domenic Ganzoni im Bergüner Arzthaus praktizieren. Der 53-Jährige verfügt über eine breite medizinische Erfahrung in der Inneren Medizin, der Notfallmedizin sowie der Infektiologie. Er ist seit 2001 in der Klinik St. Anna tätig, seit 2006 als Spitaldirektor.

Was ist mit mehr Stress und Stunden pro Woche verbunden? Arzt oder Spitalmanager?
Das lässt sich anhand der geleisteten Stunden nicht vergleichen, dafür sind die Aufgaben zu unterschiedlich. Als Arzt habe ich eine fachliche Verantwortung, die richtige Diagnose zu stellen und für den Patienten die beste Therapie zu bestimmen. Als Spitalunternehmer sorge ich auf systemischer Ebene dafür, dass gute Medizin überhaupt möglich ist. Beides ist anspruchsvoll, beides ist bisweilen stressig, aber auch belohnend.

«Die Mehrfachrolle der Kantone im Spitalwesen widerspricht meinem demokratischen Grundverständnis. Von der KVG-Revision 2012 habe ich mir definitiv mehr Fairness und mehr Wettbewerb erhofft – leider vergeblich.»

Wie relevant ist eine formale Ausbildung für Ärzte in einer Managementfunktion?
Unternehmensführung hat nur zum Teil mit formaler Ausbildung zu tun. Management lernt man, indem man es macht. Ich habe gelernt, andere Menschen zu führen, weil ich Vorbilder hatte, die es mir vorzeigten. Das braucht Zeit. Ich wurde ja auch nicht von heute auf morgen Spitaldirektor. Vor meiner Tätigkeit im St. Anna habe ich grosse Verbände auf nationaler Ebene geführt, etwa den Verband Schweizerischer Assistenz- und Oberärztinnen und -ärzte VSAO. Man wächst an solchen Aufgaben und lernt dabei.
Sie hatten zu Beginn bestimmt gewisse Erwartungen an den Job als Spitaldirektor. Welche wurden Realität und was war Illusion?
Die meisten Erwartungen haben sich glücklicherweise erfüllt. Das St. Anna war zu Beginn meiner Amtszeit als reines Belegarztspital von vielen Einzelinteressen geprägt. Heute ist es ein modernes Zentrumsspital, das eine interdisziplinäre und interprofessionelle Medizin auf sehr hohem Niveau leistet. Auch meine Pläne, was die Verankerung unserer Klinik in der Gesellschaft betrifft, konnte ich grösstenteils umsetzen. Die Tradition der sozialen Verantwortung, die vor mehr als 100 Jahren mit den St. Anna-Schwestern begann, führen wir heute als Ausbildungsbetrieb und mit unseren Engagements in der Kultur und im Sport der Zentralschweiz erfolgreich fort. Etwas desillusioniert bin ich, was die unverändert schwierige Situation der Schweizer Privatspitäler betrifft. Die Mehrfachrolle der Kantone im Spitalwesen widerspricht meinem demokratischen Grundverständnis. Von der KVG-Revision 2012 habe ich mir definitiv mehr Fairness und mehr Wettbewerb erhofft – leider vergeblich.

«Grosse Sorge bereitet mir zudem die Technokratisierung im Gesundheitswesen.»

Was hat sich in den zwölf Jahren als Direktor besonders verändert im Gesundheitswesen?
Die medizinische Entwicklung ist in einem unglaublichen Tempo vorangeschritten. In der radiologischen und labormedizinischen Diagnostik etwa haben wir heute Möglichkeiten, die vor zwölf Jahren undenkbar gewesen wären. Gleiches gilt für das therapeutische Spektrum im kardiovaskulären Bereich oder in der Onkologie. Der Fortschritt ist eindrücklich und hat einen riesigen Nutzen. Aber die Entwicklung führt auch dazu, dass sich immer mehr Behandelnde um einen Behandelten scharen, was den menschlichen Bedürfnissen der Patienten nicht immer zuträglich ist.
Grosse Sorge bereitet mir zudem die Technokratisierung im Gesundheitswesen. Als ich als Spitaldirektor anfing, war die ISO-Zertifizierung einmal pro Jahr ein grosses Ereignis. Heute müssen wir im St. Anna jährlich mehr als 60 interne und externe Audits durchführen. Das rückt den Fokus im Gesundheitswesen weg vom Patienten, hin zum Computerbildschirm. Ob unsere Gesundheitsversorgung dadurch besser wird, wage ich zu bezweifeln.
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