Neuenburger Psychiaterin muss 173'000 Franken zurückzahlen

Das Bundesgericht bestätigt die unwirtschaftliche Praxisführung. Die Kosten waren mehr als doppelt so hoch wie bei Kollegen.

, 29. Oktober 2025 um 13:17
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Das Bundesgericht in Luzern akzeptierte die Argumente der Psychiaterin nicht und verurteilte sie zur Rückzahlung. | BG
Das Bundesgericht hat eine in Neuenburg tätige Psychiaterin zur Rückerstattung von 173'422 Franken an 16 Krankenkassen verurteilt. Die seit 2012 selbstständig praktizierende 62-jährige Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie hatte im Jahr 2016 Behandlungskosten verrechnet, die weit über dem Durchschnitt ihrer Berufskollegen lagen.
Konkret zeigte die statistische Auswertung der Abrechnungsdaten, dass die Ärztin einen Kostenindex von 231 erreichte – dies bei einer Toleranzgrenze von 130. Ihre Behandlungskosten beliefen sich 2016 auf rund 514'00 Franken, während die zulässige Obergrenze bei 290'000 Franken lag.

Abrechnung von «kontinuierlicher Reflexion»

Besonders aufgefallen war den Krankenkassen die Verwendung einer bestimmten Tarifposition: Die Ärztin rechnete 6'236 Mal die Position für ärztliche Leistung in Abwesenheit des Patienten ab – fast zehnmal mehr als der kantonale Durchschnitt. Dies allein führte zu Kosten von 100'000 Franken. Die Psychiaterin argumentierte, dass das die Abgeltung für eine «spezifische und kontinuierliche Reflexion» sei. Diese Reflexion sei für ihre Arbeitsmethode unerlässlich. Doch das Bundesgericht akzeptierte nicht, dass sie deshalb so oft die Tarmed-Position für Leistungen in Abwesenheit des Patienten verrechnet hat. Wenn schon hätte dieser Posten nicht zu so hohen Mehrkosten führen dürfen.

Keine Praxis-Besonderheiten

Die Psychiaterin versuchte, die höheren Kosten mit Besonderheiten ihrer Praxis zu rechtfertigen: Sie habe überdurchschnittlich viele neue Patienten behandelt, nämlich 78 von 140. Sie habe häufiger Krisensituationen und eine jüngere Klientel – diese sei im Durchschnitt 36,8 statt 45,5 Jahre alt. Zudem habe sie längere Erstgespräche geführt und auf intensive Psychotherapie statt auf Medikamente gesetzt.
Das Bundesgericht liess diese Argumente nicht gelten. Die statistischen Unterschiede zur Vergleichsgruppe seien nicht gross genug, um die massiv höheren Kosten zu rechtfertigen. Die therapeutische Freiheit entbinde sie nicht vom Wirtschaftlichkeitsgebot. Auch die Tatsache, dass die Ärztin weniger Medikamente verschrieben habe als ihre Kollegen, kompensiere die überhöhten direkten Behandlungskosten nicht.

Garantien teilweise anerkannt

Das Gericht berücksichtigte allerdings, dass einzelne Behandlungen von den Krankenkassen ausdrücklich bewilligt worden waren. Diese bewilligten Leistungen wurden vom Rückerstattungsbetrag abgezogen, den die Krankenkassen ursprünglich gefordert hatten. Statt 224'000 Franken muss die Ärztin deshalb nur gut 173'000 Franken zurückzahlen.
Urteil Bundesgericht 9C_600/2023 und 9C_601/2023 vom 1. Oktober 2025.

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