Deutsche Spitäler regen sich über Klinik-Atlas auf

In Deutschland sorgt die neue Online-Abfrage von Spitaldaten für Unmut: Er habe zu viele Fehler und bringe nur mehr Bürokratie.

, 29. Mai 2024 um 06:48
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Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach wirbt für den neuen Bundes-Klinik-Atlas. | BMG
In Deutschland gibt es einen neuen landesweite Online-Überblick über alle Spitäler: den Bundes-Klinik-Atlas. Ziel wäre es, zu zeigen: welche Klinik macht welche Behandlung gut.

Vorerst nur wenig Zahlen

Deshalb soll der Klinik-Atlas folgende Informationen liefern:
  • Wie oft macht ein Spital bestimmte Eingriffe?
  • Wie viel Personal steht zur Verfügung?
  • Gibt es Qualitätssiegel oder Zertifizierungen – etwa als Brustkrebszentrum oder Schlaganfall-Zentrum?
  • Wie viele Komplikationen gibt es?

«Weisse Liste» gibt es nicht mehr

Allerdings ist der Klinik-Atlas noch lange nicht so weit. Es gibt etwa noch keine genaue Aufschlüsselung der Fallzahlen nach bestimmten Behandlungen und auch keine Angaben zur Komplikationsrate. Diese Zahlen sollen nach und nach dazu kommen.
Bisher gab in Deutschland die sogenannte «Weisse Liste». Diese war in der breiten Bevölkerung aber zu wenig bekannt und wurde nun eingestellt.

«Zahlen führen in die Irre»

Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) betreibt bereits selber das «Deutsche Krankenhausverzeichnis». Sie kritisiert den neuen Klinik-Atlas massiv: Er habe zahlreiche Fehler und veraltete oder falsche Daten, welche die Patienten erheblich in die Irre führen können.
Die stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) Henriette Neumeyer sagt sogar: «Zum jetzigen Zeitpunkt müssen wir den Informationssuchenden leider raten, den Atlas mit grösster Vorsicht zu behandeln, unbedingt Rücksprache mit den behandelnden Ärzten zu halten und auf eine bewährte Plattform zurückzugreifen.»

156 statt 4 Eingriffe

Neumeyer nennt drei konkrete Beispiele:
  • Für eine Klinik gibt der Atlas bei Prostatektomien eine Fallzahl von 4 an. Tatsächlich sind es aber 156. Obwohl die Klinik auf diesen Eingriff spezialisiert ist, erscheint sie nirgends.
  • Ein Spital, das auf Lungenkrebsbehandlungen spezialisiert ist, erscheint nicht, wenn man im Atlas nach Lungenkarzinom-Behandlung sucht.
  • Eine grosse Universitätsklinik hat angeblich nur 6 Fälle bei der Frühgeborenen-Versorgung. Tatsächlich sind es durchschnittlich mehr als 75 pro Jahr.

Immer wieder zu niedrige Fallzahlen

Die Gesellschaft berichtet über viele weitere Meldungen aus anderen Kliniken, die falsche Angaben zu Ausstattungen, Notfallstufen und vor allem immer wieder zu niedrig angegebenen Fallzahlen kritisieren.
Dabei gehe es nicht um minimale Abweichungen und gelegentliche Fehler, sondern um falsche Daten, die ratsuchenden Patienten, die die Daten ohne Expertenwissen nicht verifizieren können, in die Irre leiten können.

«Unnötig und bürokratisch»

Auch ohne diese Fehler kommt die Deutsche Krankenhausgesellschaft zum Schluss, dass es den Klinik-Atlas nicht brauche, weil er nichts verbessere und darüber hinaus neue Bürokratie für die Kliniken schaffe.
Die Zahlen würden wenig über die Behandlungsqualität aussagen. Patienten sollten sich besser von ihrem Arzt beraten lassen. Dieser verweise in der Regel an spezialisierte Kliniken, das sei ein eingespieltes System.

«1700 Spitäler und zu viele Betten»

Gesundheitsökonomen widersprechen den Spitälern. In Deutschland gibt es etwa 1700 Spitäler. Das sind zwar deutlich weniger als in den 90er-Jahren, als es noch etwa 2400 gab. Aber es gebe immer noch zu viele Betten.
Pro Jahr gibt es in Deutschland rund 16,8 Millionen Spital-Patienten, welche rund 114 Milliarden Euro kosten. Es würden weiterhin zu viele Behandlungen in Kliniken ohne die nötige Routine und Spezialisierung durchgeführt und das müsse sich ändern, kritisieren die Fachleute.

«Welches Spital?» in der Schweiz

Auch in der Schweiz gibt es so etwas wie einen Klinik-Atlas. Hier heisst er «Welches Spital?» und wird vom gemeinnützigen Verein Spitalvergleich betrieben. Die Zahlen kommen vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) und vom Nationalen Verein für Qualitätsentwicklung in Spitälern und Kliniken (ANQ).
Die Spitäler wehren sich aber immer wieder dagegen, wenn sie aufgrund der Zahlen im Vergleich schlecht wegkommen. Die Qualitätsindikatoren des ANQ könnten «zu Fehlinterpretationen führen», betonen sie. So argumentierte auch wieder jüngst die Insel-Leitung.
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