«Lehnen Sie den Wolf im Schafspelz ab»

Künftig sollen in der Schweiz auch Medizinprodukte aussereuropäischer Regulierungssysteme zugelassen werden können.

, 29. November 2022 um 05:00
image
Gemäss der grünen Zuger Nationalrätin Manuela Weichelt kann die Schweiz kein Interesse haben, Produkte zuzulassen, die in der EU nicht zertifiziert sind. | Screenshot
Die Schweiz akzeptiert bis heute ausschliesslich Medizinprodukte gemäss dem Zulassungssystem der Europäischen Union (EU), namentlich CE- oder MD-gekennzeichnete Produkte.
Das Problem liegt unter anderem darin, dass die EU die Regulierung verschärfen will. Laut Experten soll sie zu ambitioniert sein. Folglich sei nicht sichergestellt, dass die Schweiz in den kommenden Jahren mit ausreichend qualitätsgeprüften Medizinprodukten versorgt werden kann.

Zulassung soll ausgeweitet werden

Der Luzerner FDP-Ständerat Damian Müller hat deshalb bereits im Mai 2020 eine Motion mit folgendem Wortlaut eingereicht: «Der Bundesrat wird beauftragt, die Gesetzgebung so anzupassen, dass in der Schweiz auch Medizinprodukte aussereuropäischer Regulierungssysteme zugelassen werden können.»
Nun hat der Nationalrat die Motion am ersten Sessionstag der angelaufenen Wintersession relativ knapp mit 100 zu 79 Stimmen gutgeheissen. Der Ständerat hat das bereits in der zurückliegenden Sommersession getan. Somit hat der Bundesrat entgegen seinem Willen den Auftrag gefasst, eine entsprechende Gesetzesänderung vorzunehmen.

Warum der Bundesrat dagegen ist

Der Bundesrat plädierte für eine Ablehnung der Motion. Verschiedene gravierende Vorkommnisse mit Medizinprodukten hätten zu den verschärften Vorschriften geführt. «Ziel dieser Verschärfung ist die Erhöhung der Qualität und Sicherheit von Medizinprodukten», so der Bundesrat wörtlich.
«Lehnen Sie den Wolf im Schafspelz ab», sagte die grüne Nationalrätin Manuela Weichelt in der Ratsdebatte. Die Zulassung von Medizinalprodukten gemäss der Motion schadeten unserer Gesundheit. «Wollen Sie eine fehlerhafte Hüftprothese oder einen fehlerhaften Herzschrittmacher in Ihrem Körper?»
Gemäss Weichelt könne die Schweiz kein Interesse haben, ein Produkt in der Schweiz zu verkaufen, das in der EU nicht zertifiziert sei. Drohe wirklich ein Versorgungsengpass, dann bestünde bereits heute die Möglichkeit, ein Ausnahmegesuch für ein aussereuropäisches Produkt zu stellen.

Drohender Versorgungsengpass

Die Mehrheit des Rats sieht das anders und folgte dem Antrag der vorberatenden Kommission. Sie hatte im August eine Anhörung mit der betroffenen Swiss Medtech durchgeführt. «Es wurde uns versichert, dass die vom Motionär vorgebrachten Probleme tatsächlich bestehen und auch zu ernsthaften Versorgungsproblemen führen», erklärte SVP-Nationalrat Andreas Glarner im Namen der Kommission.
Man hätte ihr ebenfalls versichert, dass die amerikanische Zulassung keineswegs schlechter sei. «Swiss Medtech hat die unterschiedlichen Regulierungssysteme untersuchen lassen und ist dabei auf keine Daten gestossen, die belegen würden, dass das Zulassungsverfahren der USA weniger sicher wäre», sagte Glarner.
Darauf deutet auch der Umstand, dass die USA das wohl strengste Haftpflichtrecht überhaupt kennen dürfte.
Überdies teilt Swiss Medtech die Haltung des Bundesrates nicht, wonach die Versorgung mit sicheren und leistungsfähigen Medizinprodukten mittelfristig gesichert sei und aktuell kein dringender Handlungsbedarf bestehe.
  • medikamente
  • swissmedic
Artikel teilen

Loading

Kommentar

Mehr zum Thema

image

Bürokratie-Fiasko beim Zugang zu Medikamenten

Eine internationale Studie zeigt: Bürokratie ist in der Schweizer Gesundheitsversorgung ein grosses Problem. Gleichzeitig erschweren veraltete Prozesse den Zugang zu innovativen Medikamenten. Lösungen lägen auf dem Tisch – doch die Politik droht, die Situation noch zu verschlimmern.

image

EU gibt Novartis grünes Licht für Kisquali gegen Brustkrebs im Frühstadium

Der Wirkstoff Ribociclib soll insbesondere Patientinnen helfen, bei denen das Risiko besteht, dass sie einen Rückfall erleiden.

image

Antibiotika-Therapie: In Praxen und Kliniken immer noch suboptimal

In Baden-Württemberg erforschte man den Antibiotika-Einsatz in zehn Spitälern. Heraus kam ein halbes Dutzend heikler Punkte.

image

Mehr als die Hälfte der Medikamente war zu teuer

Nach der diesjährigen Arzneimittelüberprüfung des BAG sinken die Listenpreise von 300 Produkten.

image

Apothekerverband darf sich nicht über Santésuisse beschweren

Santésuisse darf behaupten, dass sich Apotheken mit Medikamenten-Teilpackungen «die Kassen füllen».

image

Swissmedic: Neues Mitglied im Expertengremium

Es ist Christian Kamm, Co-Chefarzt und Leiter der stationären Neurologie des Luzerner Kantonsspitals.

Vom gleichen Autor

image

«Kritiker der Komplementärmedizin haben eine zu einseitige Sicht»

SP-Ständerätin Franziska Roth kritisiert im Interview die Haltung von Gegnern der Komplementärmedizin. Sie verkennen den Wert der ärztlichen Expertise.

image

Physiotherapie: Die Stolpersteine im Tarifstreit

Wie weiter im Tarifstreit in der Physiobranche? Die Frage ist: Welcher Streit – jener über die Tarifstruktur oder jener über den Preis?

image

So funktioniert die Sterbehilfe in Europa

In mehreren Ländern Europas ist die Sterbehilfe entkriminalisiert worden. Ein Überblick.