«Sind die wirklich schon im 21. Jahrhundert angekommen?»

Unterschiedliche Bewilligungen, doppelte Systeme, Papierzwang: Apotheker Lukas Korner schildert, wie der Staat die Effizienz-, Spar- und Digitalisierungs-Efforts im Gesundheitswesen unterläuft.

, 20. November 2025 um 11:36
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Bild Serkan Yildiz / Unsplash
Patientinnen und Patienten möchten einfach ihre Medikamente. Wie reagieren sie auf die vielen Lieferengpässe?
Lukas Korner: Sie staunen und zeigen glücklicherweise oft Verständnis. Wenn sie aber wüssten, was hinter den Kulissen passiert, würden sie erst recht mit dem Kopf schütteln.
Was meinen Sie damit?
Damit der Ersatz für ein fehlendes Medikament gemäss den Vorschriften des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) von den Krankenkassen bezahlt wird, müssen die Apotheken zuerst abklären, ob es in der Schweiz ein alternatives Medikament mit dem gleichen oder ähnlichen Wirkstoff gibt. Letztens fehlte ein Antidepressivum. Die Apotheken mussten jede Patientin und jeden Patienten einzeln zum Arzt zurückschicken, damit dieser entweder eine Alternative verschreibt oder die Notwendigkeit für den gleichen Wirkstoff bestätigte.

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Lukas Korner ist Mitinhaber der Apotheke Gränichen AG und Vorstandsmitglied beim Apothekerverband Aargau.
Dieses Interview erschien zuerst in der «Aargauer Wirtschaft».
Und wenn der Arzt auf dem fehlenden Medikament besteht?
Erst dann dürfen wir das Medikament im Ausland beziehen. Beim Antidepressivum war es genauso.
Das ist doch im Sinne der Kundschaft.
Ja, so dachte ich auch. Nur kommt jetzt das Irre: Ab dem Moment, in dem ein Medikament in der Schweiz wieder lieferbar ist, dürfen wir den im Ausland gekauften Bestand nicht mehr verkaufen. Zurückschicken geht auch nicht. So müssen wir wertvolle Medikamente vernichten, die kurz zuvor noch fehlten.
Haben die Lieferanten keine Meldepflicht bei Lieferengpässen?
Wir merken einfach im Bestell-Prozess, dass der Grossist nicht liefern kann. Wir bekommen weder eine Begründung noch eine Angabe, wie lange das Medikament fehlen wird.
Könnten Sie das fehlende Medikament nicht selbst herstellen?
Das machen wir oftmals, wenn der Bezug über das Ausland nicht möglich ist. Wir rechnen nach der vom BAG verordneten Arzneimittelliste mit Tarif (ALT) ab. Doch es gibt Krankenkassen, die alle genehmigten Arbeitsschritte überprüfen. Das wäre an sich kein Problem, aber sie tun es nicht selbst, sondern wir müssen diese Arbeit für sie übernehmen. Das kostet uns stundenlange Arbeit, trotz Fachkräftemangel.
Dürfen Apotheken die Ärzte direkt mit Medikamenten beliefern?
Das ist ein heikler Punkt. In der Schweiz wird zwischen Herstellern, Grosshändlern und Abgabestellen unterschieden. Für alles, was ich in der Apotheke dem Patienten direkt weitergebe, brauche ich eine Detailhandelsbewilligung. Wenn ich das gleiche Medikament dem Arzt verkaufe, das ich am gleichen Ort bestelle, brauche ich aber eine Grosshandelsbewilligung.
«Wir müssen Rezepte 20 Jahre physisch aufbewahren, obwohl wir sie einscannen.»
Selbst wenn es sich nur um Ausnahmesituationen handelt, darf ich kein Medikament, das ich mit der Detailhandelsbewilligung eingekauft habe, dem Arzt weitergeben. Ein Umbuchen ist ebenfalls nicht gestattet. Ich muss also zwei Systeme führen und noch eine von Swissmedic zertifizierte Grosshandelsbewilligung erwerben. Der Witz dabei ist: Alle Medikamente müssen gleich gelagert werden. Es macht also keinen Unterschied für die Sicherheit, kostet aber nur zusätzlich viel Zeit und Geld.
Gibt es in der Schweiz darum so unendlich viele Grosshändler?
Genau. Wir haben in der Schweiz mehr als 1'000 Grosshändler. Die arbeiten sehr regional und lagern die Medikamente auch nicht anders als wir in der Apotheke.
Wo bewahren Sie Ihre Dokumente auf?
Auch so eine Sache! Wir müssen Rezepte 20 Jahre physisch aufbewahren, obwohl wir sie einscannen. So benötigen wir zwei Kellerräume als Papierlager – Raum, der für Sinnvolles verloren geht. Aber das ist noch nicht alles. Nehmen wir als Beispiel ein Rezept für ein zentral stark wirkendes Betäubungsmittel. Dieses muss in drei Durchschlägen ausgestellt werden: Das blaue muss der Arzt aufbewahren, das rosafarbene die Krankenkasse und das weisse wird in der Apotheke gelagert. Ein solches Rezept ist drei Monate gültig, dann muss ein neues ausgestellt werden. Auch dieses muss in dreifacher Ausführung an drei verschiedenen Orten für 20 Jahre aufbewahrt werden. Ich frage mich, ob tatsächlich alle schon im 21. Jahrhundert angekommen sind.
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