Zentrumsspitäler gegen Regionalspitäler: Ein Streit heizt sich auf

Ländliche Kantone wehren sich gegen weitere Mindestfallzahlen, Regionalspitäler lobbyieren gegen Zentralisierung, kleinere Spitäler kämpfen juristisch gegen Fachorgane: Die Spitalstruktur-Politik wird spannender.

, 28. August 2017 um 09:29
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Diverse Kantone wenden sich gegen das Zürcher Modell der Spitalplanungs-Leistungsgruppen, oder genauer: Gegen die Pläne von Gesundheitsdirektor Thomas Heiniger, hier neue, schärfere Mindestfallzahl-Grenzen einzuführen. Dies meldet die «NZZ am Sonntag».
Zürich plant bekanntlich höhere Mindestfallzahlen bei diversen Eingriffen – etwa für Hüftprothesen –, ferner soll es ab nächstem Jahr auch Zahlen-Vorgaben für die operierenden Ärzte sowie zusätzliche Zertifizierungsvorschriften geben. Die Regionalspitäler im Kanton haben hier schon Widerstand angekündigt. Nun kündigen auch mehrere Kantone Kritik an – so Graubünden, Thurgau, Uri und Glarus.

«Tod der regionalen Grundversorgung»

Die Kantone haben das Zürcher System übernommen; zugleich, so die Recherchen der NZZaS, befürchten sie, dass der Bund in dieselbe Richtung strebt und Mindestfallzahlen als Bedingung für eine Leistungszuteilung verlangen wird. Diese Tendenz aber führe zum «Tod der regionalen Grundversorgung», so ein Kantonsbeamter.
Die neuen Zürcher Masstäbe seien «ein Schritt zu einer starken Zentralisierung, der dem Ziel einer regionalen, wettbewerblichen Spitalversorgung widerspricht», sagt Susanna Schuppisser, die Vizechefin des Thurgauer Gesundheitsamts. Die Bündner Regierung kündigte an, man werde das Vorhaben der Zürcher Kollegen notfalls schlicht ignorieren.

Höhere Mindestfallzahlen – mehr unnötige Eingriffe?

Es ist absehbar, dass kleine Spitäler bei der Tendenz zur schärferen Mindestfallzahl unter die Räder kommen. Wenn die Fallzahlen-Guillotinen auch für einzelne Ärzte gelten – so eine weitere Befürchtung –, werde dies die Löhne für Spezialisten hochtreiben. Auf der anderen Seite würde es für kleinere Spitäler schwieriger, junge Ärzte anzustellen. Schliesslich gibt es Zweifel, ob höhere Fallzahlen per se die Qualität der Behandlung erhöhen. Zumal die Spitäler auf der anderen Seite versucht sein könnten, unnötige Eingriffe zu forcieren, um die geforderte Fallzahl zu erreichen.
Anderes besagte jüngst eine Studie, die am Kantonsspital St.Gallen unter Leitung von Ulrich Güller erarbeitet worden war: Danach wird das Sterberisiko bei Hochrisiko-Krebsoperationen signifikant reduziert, wenn die Operationen an Zentrumsspitälern geschehen – was bedeutet: falls ein Spital hier gewisse Mengen erreicht. 

Viel Geld für Anwälte

Daniel Scheidegger, der Präsident der Akademie der medizinischen Wissenschaften SAMW, griff dieses Ergebnis in einem neuen Editorial im «Swiss Medical Weekly» jetzt nochmals auf – mit allerhand Skepsis. «Wird uns dieses Paper helfen, die geplante Zentralisierung dieser Operationen in Zentrumsspitälern zu beschleunigen?», so Scheideggers rhetorische Frage. Seine Vermutung: «Unglücklicherweise hatten wissenschaftliche Publikationen und evidenzbasierte Tatsachen noch nie einen signifikanten Einfluss auf solche Entscheide. Diese basieren vollends auf Politik und Prestige.»
Scheidegger berichtet dazu, dass die Spitäler derzeit viel Geld für Anwälte ausgeben, welche minime prozedurale Fehler bei den Beschluss- und Fachorganen aufzustöbern versuchen. «Indem sie diese (Fehler) vor Gericht bringen, können sie den abschliessenden Entscheid leicht um weitere zwei bis drei Jahre verzögern», so der SAMW-Präsident.

Keine Geburten mehr im Kanton Uri?

Und das ist noch nicht alles. Wie berichtet, gehen die Regionalspitäler ebenfalls klar stärker im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit und Politik gegen die beschriebene Tendenz an. Mittlerweile hat sich ein Dutzend Häuser zur Interessengemeinschaft «Nähe schafft Gesundheit» gebündelt. Zwei Themenfelder stehen im Zentrum ihres Kampfes: Erstens die Tendenz, unterm Signum der Hochspezalisierten Medizin mehr und mehr Leistungen zu zentralisieren; zweitens die Ausgestaltung der Spitalleistungsgruppen-Kataloge.
Die Felder, welche die kleineren Spitäler ins Zentrum der öffentlichen Debatte stellen, betroffen logischerweise nicht unbedingt die Onkochirurgie. An einer Veranstaltung in Altdorf spiessten Regionalspital-Vertreter dafür die in diversen Leistungsgruppenmodellen vorgesehene Anzahl Geburten auf, die benötigt werden, damit ein Spital die Geburtshilfe anbieten kann. In Zürich beträgt hier die Zielgrösse 1‘500 Geburten.

«Hauptsache Zentralismus. Koste es, was es wolle»

Nur: Ländliche Regionen können kaum so viele Geburten aufweisen. Die Kernfrage lautet also: Besteht hier ein qualitatives Problem? Oder geht es um etwas anderes? Für die Regionalspitäler ist klar: «Aus strukturpolitischen Überlegungen wird den zukünftigen Müttern somit vorgeschrieben, dass sie ihre Kinder in einem anderen Kanton oder zumindest in einer anderen Region zur Welt bringen müssen. Dabei wird keine Rücksicht auf regionale Befindlichkeiten genommen. Auch die Qualität oder die Kosten der medizinischen Leistungen spielen keine Rolle. Hauptsache Zentralismus, koste es, was es wolle.»
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