Medizinische Fehler führen in Schweizer Spitälern jährlich zu 2'000 bis 3'000 Todesfällen und mehr als 60'000 gesundheitlichen Schäden. In den USA stehen Behandlungsfehler nach Herz-Kreislauferkrankungen und Krebs an dritter Stelle der Todesursachen (1). Die medizinische Welt macht viele Fortschritte mit Medikamenten, Therapien und Verfahren, die bis vor kurzem noch wie Science-Fiction aussahen. Seltsamerweise schenkt sie aber den menschlichen Fehlern von Ärzten und Chirurgen immer noch zu wenig Beachtung.
Die Sicherheit der Patienten erhält in letzter Zeit verstärkt Aufmerksamkeit. Die schwierigen Arbeitsbedingungen der Ärzteteams, zu denen Überstunden, ein begrenztes Budget, überfüllte Krankenhäuser und das Fehlen von klaren Regelungen gehören, führen zu tödlichen Fehlern.
Die COVID-19-Pandemie mit den einhergehenden Schutzkonzepten zeigt gleichzeitig in der Schweiz die Grenzen der aktuellen medizinischen Aus- und Weiterbildung auf.
Es ist zwar unmöglich, menschliches Versagen vollständig zu verhindern, aber es lässt sich erheblich reduzieren. Wünschbar wäre eine Regelung, die professionelle Nachsorge, und standardisierte Aus- und kontinuierliche Weiterbildung vorschreibt und dies inklusive den Einsatz fortschrittlicher Systeme zur Ausübung zentraler chirurgischer Fertigkeiten. Oder - in den Worten von Winston Churchill: „Es ist von grossem Vorteil, die Fehler, aus denen man lernen kann, recht früh zu machen“.
Unterscheidet sich die grosse Verantwortung von Piloten und Ärzten?
Piloten können als Vorbild dienen: Sie nutzen seit langem Simulatoren in der Ausbildung. Während ihrer Karriere müssen sie ihre Fluglizenz alle 6 Monate erneuern. Dazu gehören Tests mit Virtual-Reality-Flugsimulatoren, die den Piloten mit Routine- und mit Notfallsituationen herausfordern. In der Medizin ist das erst in Ansätzen vorhanden. Die Schweizer Medizin fängt erst an zu lernen, wie man mit Simulation die Qualität und damit die Sicherheit verbessern kann.
Chirurgen, die invasive Eingriffe und Operationen durchführen, müssen sich kaum je einer Bewertung ihrer aktuellen technischen Fähigkeiten unterziehen, um ihr Arztdiplom zu erneuern.
Noch entscheidender ist die Tatsache, dass die Bewertung der chirurgischen Fähigkeiten der Assistenzärzte von Fachchirurgen vorgenommen wird. Dies bedeutet, dass die Bewertungen stets subjektiv sind und keinen praktischen, allenfalls gar standardisierten Test beinhalten.
Unterscheidet sich die grosse Verantwortung von Piloten von der grossen Verantwortung eines Arztes? Als man das hohe Risiko anerkannte, das mit dem Fliegen verbunden ist, führte dies dazu, dass Piloten regelmässig mit Simulatoren trainieren müssen. Die Welt der Luftfahrt ist deshalb zweifellos sicherer geworden.
Die für die Medizin verfügbaren computergestützten Virtual-Reality-Simulatoren bieten ein wirksames Werkzeug zum Üben von laparoskopischen Verfahren, Angioplastie und anderen invasiven Verfahren. Diese Simulatoren tragen dazu bei, das hohe Niveau der Fähigkeiten des Chirurgen zu gewährleisten, denn mit ihnen kann man jederzeit unter realistischen Bedingungen fachliche Fertigkeiten erlernen und periodisch üben.
Dr. Michael Ujiki - NorthShore University HealthSystem – über den Nutzen von Simulation
Nutzen ist mit Validierungen und während COVID-19 erwiesen
Dies zeigt sich 2020 besonders deutlich. Chirurgen in den USA übten die sichere Durchführung von Tracheotomien bei COVID-19-Patienten mit Simulationen (2).
Dank diesen Simulatoren konnte - oft kombiniert mit Videoconferencing - vielenorts die medizinische Aus- und Weiterbildung auch während der Pandemie fortgeführt werden.
Die Schweiz hinkt in diesen Fragen hinterher: Heute ist Simulation in mehreren Ländern als standardisierbare und sichere Ausbildungsmethode anerkannt. Sie gilt auch als Gütesiegel für die fachliche Eignung aller Chirurgen. In China zum Beispiel müssen sie einmal im Jahr in speziellen Simulationszentren üben. In den USA müssen Chirurgen ein Zertifikat mit sich führen, welches stattgefundene Übungen an einem Simulator bescheinigt.
Auch müssen junge Praktikanten einen Simulationstest bestehen, bevor sie eine Koloskopie oder laparoskopische Eingriffe durchführen dürfen.
Einige skandinavische Länder und die Niederlande kennen ebenfalls einen obligatorischen Simulatortest für Chirurgen. Irland und Grossbritannien haben chirurgisches Üben an Tieren verboten.
Der Nutzen der Simulation in der medizinischen Ausbildung wurde in den letzten zehn Jahren eingehend untersucht. Die Ergebnisse zeigen eindeutig, dass mit Simulatoren erworbene Fähigkeiten in den Operationssälen auch umgesetzt werden, was zu besseren Ergebnissen für die Patienten führt (3). Der Simulator ermöglicht es Auszubildenden, Fehler zu machen, ohne Patienten zu gefährden, und sie können jederzeit "Was-wäre- wenn"-Szenarien üben. Die Forschung hat auch gezeigt, dass selbst erfahrene Chirurgen bessere Ergebnisse erzielen, wenn sie vor der Operation üben.
Was zu tun ist
Es ist höchste Zeit, dass auch die Schweiz Schulungs- und Zertifizierungsprogramme für Chirurgen und alle an invasiven Verfahren beteiligten Ärzte einführt. Die Ärzteverbände müssen die entscheidende Bedeutung der Ausbildung anerkennen und die notwendigen Ressourcen und Zeit einfordern. Sie müssen vor allem eine Regelung fördern, die sicherstellt, dass die Menschen, die uns behandeln, dafür jederzeit bestmöglich qualifiziert sind.
Lassen Sie uns die Qualität der medizinischen Behandlung und die Patientensicherheit in der Schweiz auf ein höheres Niveau bringen!
Christoph A. Gamma ist Gründer und CEO von Reavita AG. Die Schweizer Firma ist auf medizinische Simulation, Diagnostik und Reanimation spezialisiert.
Informationen zu Skills- und Patientensimulatoren
Literatur: