Warum Google ins Geschäft mit den elektronischen Patientendaten einsteigt

Die Google-Tochter DeepMind bekommt in Grossbritannien die Gesundheitsdaten von 1,6 Millionen Patienten. Mit der App «Streams» will der Tech-Gigant diese Informationen durchleuchten – nur zu Forschungszwecken, wie es heisst.

, 25. November 2016 um 15:00
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Google hat eine Firma für künstliche Intelligenz «DeepMind». Und diese Firma hat mit dem britischen National Health Service nun Partnerschaft über fünf Jahre beschlossen. Ihr gemeinsames Fernziel: Patienten und Ärzte frühzeitig vor schweren Krankheiten zu warnen – und die Medizin zu entlasten.
Geplant ist, dass der Tech-Riese ab 2017 die Daten der Patienten in mindestens drei vom NHS betriebenen Londoner Spitälern auf Anzeichen einer Nierenschwäche oder Blutvergiftungen analysiert – inklusive Testresultate und elektronische Patientengeschichte. 

Eine halbe Million weniger Arbeitsstunden

Das konkrete Produkt ist eine App namens «Streams». Diese enthält alle relevanten Gesundheitsinformationen eines Menschen – ob aktuelle Blutwerte oder die Patientengeschichte –, und sie soll dereinst auch in der Lage sein, anhand der aufgezeichneten Kurven Risiken zu erkennen und beispielsweise den zuständigen Arzt zu informieren.
DeepMind hofft, mit dem Projekt «Streams» die Ärzte massiv zu entlasten und künftig auch bei der Diagnose anderer schwerer Leiden unterstützen zu können. Am Ende, so die jetzt angekündigte Hoffnung, sollen mit den neuen Datenmanagement-Chancen bis zu 10'000 Todesfälle pro Jahr verhindert werden.

Behörde untersucht Datenaustausch

Mehr noch: «Indem wir die Ärzte davon befreien, mit verschiedenen papier- oder computergestützten Systemen herum zu jonglieren, könnten jährlich eine halbe Million Arbeitsstunden von administrativen Tätigkeiten in direkten Patientenkontakt verwandelt werden», schreibt DeepMind-Mitgründer Mustafa Suleyman in einem Blog auf der Webseite von DeepMind.
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Welche Krankheiten wurden wann diagnostiziert? Wie entwickeln sich Kreatin-Werte? Beispiele für die Informationen auf «Streams».
Dass für das Vorhaben auch mit heiklen Daten über HIV-Infektionen, Abtreibungen, Drogen-Überdosen oder schwere Erkrankungen hantiert wird, ruft Skeptiker auf den Plan. Das britische Information Commissioner's Office untersucht den Datenaustausch zwischen den Spitälern und DeepMind bereits.
«Unsere Sorge ist, dass Google Daten über jeden Patienten erhält, der in den letzten fünf Jahren im Spital war. Oder einen monatlichen Datenreport über alle Patienten, die im Spital waren, selbst wenn diese es wieder verlassen haben und nie wieder kommen», warnt jetzt auch die britische Datenschutzorganisation MedConfidential.
Bei DeepMind sieht man «Streams» dadurch aber nicht gefährdet, da man einen «beispiellosen Level der Datensicherheit» an den Tag legen werde und die Patientendaten in keiner Form mit Google-Daten verknüpfe, heisst es. 

In diesem Video erklärt DeepMind-Mitgründer Mustafa Suleyman die Idee hinter «Streams»:


Mehr/Quellen:
  • «NHS agrees to hand over 1.6 Million patient records to Google in controversial five year data deal to develop a new mobile app they claim could ‘save 10,000 lives a year’», in: «Dailymail»
  • «Fears raised over Google’s DeepMind deal to use NHS medical data», in: «Financial Times» (kostenpflichtig)
  • «Google DeepMind, NHS partnership sparks privacy fears», in: «FierceHealthcare»
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