Herr Schmid, am eHealth Forum von letzter Woche warfen Sie hohe Wellen mit Ihrer Aussage, dass die Einführung des EPD 2020 erst der Start ist, und es noch Jahre dauern wird, bis wir am Ziel sind... Wir stellen häufig fest, dass beim EPD der Einführungstermin „April 2020“ als Ziel der Anstrengungen wahrgenommen wird. Das ist zu kurzsichtig. Wir starten wie geplant im Frühling 2020 und das EPD wird dann in einer ersten, einfachen Form vorhanden sein. Damit ist die Einführung jedoch nicht abgeschlossen, sondern erst dann kommen die Menschen hinzu, die das EPD mit Leben füllen – die Bevölkerung und ihre Spitäler, Ärzte, Apotheken und Pflegenden. Es wird sicherlich einige Jahre dauern, bis das EPD ein ausgereiftes Projekt ist, bei dem sich die verschiedenen Akteure wohl fühlen. Bei meiner Aussage am eHealth Forum ging es um diese Botschaft und nicht um ein konkretes Datum für den Abschluss.
Alain Berset sagte jüngst, dass die Schweiz den Anschluss an andere digitale Länder noch nicht gefunden hat. Wie sehen Sie die Situation? Wir haben einen Rückstand im Vergleich zu vielen anderen Ländern. Daran Schuld sind jedoch nicht böser Wille oder Unfähigkeit, sondern vielmehr unsere Strukturen. Andere Länder haben ein Gesundheitswesen mit mehr staatlichem Einfluss und weniger privaten Gesundheitsinstitutionen. In der Schweiz wiederum ist die Zuständigkeit zwischen Bund und Kantonen aufgeteilt, hinzu kommen viele private Akteure. Wir haben in unserem System somit viel höhere Hürden zu überwinden, um etwas Einheitliches zu schaffen. In der Schweiz denken wir gerne in kleinen Räumen - am Verständnis für die digitale Vernetzung müssen wir noch viel arbeiten.
Wo sehen Sie, abgesehen vom EPD, derzeit die wichtigsten Fortschritte im E-Health Bereich? Ich sehe viele interessante Initiativen in Einzelprojekten. Allerdings sind dies meistens isolierte, schnelle Einzellösungen ohne nachhaltige Vernetzung. Hier wünschen wir uns, dass diese in Zukunft technisch und inhaltlich interoperabel sind wie das EPD. Die Konkurrenz soll sehr wohl bei den Marktangeboten stattfinden, jedoch nicht bei den technischen und inhaltlichen Standards.
Was waren die bisher grössten Hürden, die das Schweizer Gesundheitswesen in Bezug auf die digitale Transformation überwinden musste? Auf der politischen Ebene ist das sicherlich die föderale Struktur der Gesundheitsversorgung. Die nicht sehr starken Kompetenzen des Bundes sowie die starken privaten Akteure machen die digitale Transformation nicht einfach. Diese Hürde zu überwinden, um etwas Gemeinsames zu schaffen, ist aus meiner Sicht die grösste Herausforderung.
Inwiefern werden vernetzte elektronische Gesundheitsdienste einen Kulturwandel im Gesundheitswesen auslösen? Das zunehmende Verständnis für die Vernetzung kann sicherlich als Kulturwandel bezeichnet werden. Gleichzeitig kann das EPD auch das Rollenverständnis zwischen Gesundheitsfachpersonen und Patient beeinflussen. In anderen Ländern hat man festgestellt, dass die Patientenberichte, die über ein EPD ausgetauscht werden, kürzer, prägnanter und besser verständlich sind. Dies im Wissen, dass die Informationen auch andere Gesundheitsfachpersonen und die Patienten verstehen müssen. Damit ein Kulturwandel gelingen kann, muss die Notwendigkeit allen bewusst sein. Dieses Bewusstsein ist am Wachsen. Ebenso werden konkrete politische Initiativen nötig sein, um die Vernetzung voranzutreiben. Und nicht zuletzt wird sich auch unser Finanzierungs- und Anreizsystem in den nächsten Jahren verändern müssen.
Wie schwierig ist es derzeit für Gesundheitsfachleute, den Überblick im Bereich E-Health zu bewahren? Hier gibt es zwei Ebenen. Einerseits stehen wir vor einer Veränderung des Berufsumfeldes. Gleichzeitig besteht die grosse Schwierigkeit darin, dass viele technische Systeme, die in Arztpraxen oder bei anderen Gesundheitsfachpersonen stehen, noch nicht den Reifegrad haben, um eine gute digitale Vernetzung zu unterstützen. Damit die Bereitschaft der Gesundheitsfachpersonen erhöht werden kann, müssen die Informationssysteme besser werden und mehr strukturierte Daten verarbeiten können. Hier sind wir noch nicht da, wo wir hinmüssen. Und für die Gesundheitsfachpersonen, die von Papier auf digital umstellen wollen, braucht es Begleitungs- und Beratungsangebote.
Datensicherheit ist bei E-Health ein grosses Thema. Welches Potential könnte die Blockchain im Gesundheitswesen haben? Beim EPD ist sicherlich ein grosser Vorteil, dass in den rechtlichen Grundlagen hohe Anforderungen an die Datensicherheit definiert wurden und das Projekt damit so sicher gemacht wird, wie es nur geht. Blockchain spielt derzeit keine Rolle, was aber nicht heisst, dass sich dies in Zukunft nicht ändern könnte.
Swiss eHealth Barometer 2019
Die Digitalisierung hinterlässt im Gesundheitswesen seine Spuren. Das zeigt die widerholte Befragung von Gesundheitsfachpersonen und Einwohnern der Schweiz. Das Internet wird heute ebenso häufig als Informationsquelle für Gesundheitsinformationen genutzt wie beispielsweise das Fernsehen. Auch auf Seiten der Gesundheitsfachpersonen wird das Internet langsam aber zunehmend als Chance für Bürger wahrgenommen. Zudem verfügen immer mehr Gesundheitseinrichtungen über eine eHealth-Strategie.
Vernetzung:
Das Internet prägt zunehmend den Austausch zwischen Gesundheitsfachpersonen und Patienten in der Schweiz. Eine Mehrheit (70%) geht davon aus, dass sie gut bis sehr gut qualifiziert ist, um über die Freigabe ihrer Gesundheitsdaten für Fachpersonen zu entscheiden. 23 Prozent der Bevölkerung tauscht sich bereits heute mit ihren Gesundheitsfachpersonen via Mail aus und 9 Prozent nutzen Messenger-Dienste. 69 respektive 67 Prozent geben zudem an, dass sie bei der Arztwahl auf die Möglichkeit online einen Termin zu vereinbaren oder Rezepte anzufordern/zu erneuern achten.
Einstellung zum Elektronischen Patientendossier EPD
Das EPD wird von der Mehrheit der befragten Gesundheitsfachpersonen grundsätzlich positiv wahrgenommen. Die Unterstützung für das EPD ist dieses Jahr bei allen befragten Berufsgruppen mehrheitlich vorhanden. Auch bei der Bevölkerung ist eine (wachsende) Mehrheit von 78 Prozent dem elektronischen Patientendossier gegenüber positiv eingestellt. 2019 gibt erstmals eine Mehrheit von 55 Prozent an, dass sie selbst ein EPD eröffnen und verwenden würden.
Quelle: gfs.bern