Alzheimer: Neue Warnzeichen zur Früherkennung

Nicht immer stehen Gedächtnisprobleme am Anfang einer Demenz. Es können auch Persönlichkeits- oder Verhaltensänderungen sein, die dann als psychische Erkrankung diagnostiziert werden. Wissenschaftler haben eine Checkliste mit den Symptomen aufgestellt.

, 26. Juli 2016 um 06:00
image
  • forschung
  • alzheimer
Hat die Person das Interesse an Lieblingsbeschäftigungen verloren? Ist sie plötzlich ängstlich oder aggressiv? Oder lässt unvermittelt plumpe Bemerkungen fallen? Diese und ähnliche Verhaltensweisen können Vorboten von Alzheimer oder anderen Formen von Demenz sein. Wissenschaftler haben die Symptome erforscht und unter dem Begriff Mild Behavioral Impairment (MBI) - etwa: Leichte Beeinträchtigung des Verhaltens - zusammengefasst. 
«Bis anhin wurden diese Symptome auf psychische Ursachen oder den normalen Alterungsprozess zurückgeführt», sagt Zahinoor Ismail, Hirnforscher der Universität Calgary, an der Alzheimer's Association International Conference. Die weltweit grösste Konferenz zum Thema Alzheimer findet vom 24. bis am 28. Juli 2016 in Toronto statt. 
«Diese Einschätzung verändert sich nun. Wenn es um Früherkennung geht, stehen Gedächtnisprobleme nicht mehr im Zentrum». Ein Hinweis auf eine Demenz kann es auch sein, wenn jemand plötzlich Dinge tut, die er früher nie getan hat.

Zerfall des Hirns trifft nicht nur Gedächtnis

Alzheimer ist die verbreitetste Form von Demenz und im Begriff, sich zu einer Volkskrankheit zu entwickeln. Alleine in den USA sind 5 Millionen Menschen davon betroffen, in der Schweiz rund 120'000. Nach Schätzungen der Schweizerischen Alzheimervereinigung wird die Zahl bis 2030 auf 200'000 Menschen steigen.  
Bei der Krankheit wird das Gehirn schleichend zerstört. Erste Symptome können ein bis zwei Jahrzehnte, bevor sich die Krankheit manifestiert, auftreten. Häufig suchen Patienten oder deren Angehörige erst dann medizinische Hilfe, wenn das Gedächtnis nachlässt. 
Dabei zeigen Patienten mit einer Demenz meistens auch neuropsychiatrische Symptome wie Depressionen, Nervosität oder Ängstlichkeit. Dies darum, weil die Degeneration des Hirns nicht nur das Gedächtnis trifft. Tatsächlich sind laut Zahinoor Ismail Hirnregionen für die MBI-Symptome verantwortlich, die für das Gedächtnis keine zentrale Bedeutung haben. 

68jährige nimmt plötzlich Kokain

Zusammen mit einem Komitee der Alzheimer Association hat der Wissenschaftler eine Checkliste der Symptome aufgestellt, die auf eine Demenz hindeuten können. Dabei handelt es sich nicht um vorübergehende Verhaltensauffälligkeiten, wie sie bei Stress, Krankheit oder einem Todesfall auftreten können, sondern um Probleme, die mindestens sechs Monate anhalten. 
Sie umfassen Apathie, Ängstlichkeit bezüglich Routinetätigkeiten, mangelnde Impulskontrolle, Überschreiten von sozialen Normen oder Appetitlosigkeit. Ismail erwähnte an der Konferenz einen extremen Fall, bei dem eine Frau im Alter von 68 Jahren anfing, Kokain zu konsumieren. Dies lange bevor sich bei ihr der Gedächtnisverlust auftrat. 
Die Checkliste soll Ärzten helfen, die Risikopatienten zu identifizieren und Symptome zu erkennen, die sich im Lauf der Zeit zeigen. Ziel ist es, Mediziner, Patienten und Angehörige auf den Zusammenhang zwischen Neuropsychiatrie und Demenz zu sensibilisieren und die Behandlungen entsprechend anzupassen.

Die Checkliste

Diese Verhaltensweisen können auf eine beginnende Demenz hinweisen. Veränderungen müssen immer im Vergleich zu früher gesehen werden und über einen Zeitraum von sechs Monaten anhalten. 

  • Hat die Person das Interesse an Freunden, Familie oder Lieblingsbeschäftigungen verloren?
  • Ist die Person weniger aktiv und spontan?
  • Empfindet sich die Person den Angehörigen gegenüber als Last? 
  • Hat die Person Schwierigkeiten, Routineaufgaben zu erledigen?
  • Zeigt die Person Nervosität, Aggressionen oder Temperamentsausbrüche?
  • Hortet die Person plötzlich Dinge, für die sie sich früher nicht interessierte?
  • Hat die Person angefangen zu rauchen, zu trinken, Drogen zu nehmen oder zu stehlen?
  • Macht die Person unvermittelt grobe Bemerkungen?
  • Erzählt die Person intime Geschichten?
  • Sieht sich die Person in Gefahr oder verdächtigt andere, ihr zu schaden oder sie zu bestehlen? 
  • Berichtet die Person von Stimmen im Kopf oder verhält sie sich so?  

Artikel teilen

Loading

Comment

2 x pro Woche
Abonnieren Sie unseren Newsletter.

oder

Mehr zum Thema

image

Ein Bluttest erkennt Alzheimer so genau wie Standard-Verfahren

Es könnte der nächste Schritt sein, um Alzheimer-Früh-Screenings gängig zu machen.

image

Alzheimer: «Für die Früherkennung eröffnen sich neue Perspektiven»

Demenz-Erkrankungen dürften sich in den nächsten 25 Jahren verdoppeln. Alzheimer-Forscher Julius Popp von der Klinik Hirslanden erläutert, welche Hoffnungen bestehen.

image

Neues Prognosemodell weist auf Risiko für Opioidabhängigkeit hin

Unter der Leitung von Maria Wertli (KSB) und Ulrike Held (USZ) haben Forschende der ETH Zürich und der Helsana ein Modell zur Risikoeinschätzung einer Opioidabhängigkeit entwickelt.

image

Hirntumor-Risiko für Kinder: Entwarnung

Schuld könnten die kleinen Fallzahlen sein: Dass Kinder im Berner Seeland und im Zürcher Weinland mehr Hirntumore haben, ist wohl das Zufalls-Ergebnis einer Studie.

image

Seltene Krankheiten: «Oft spürt die Mutter, dass etwas nicht in Ordnung ist»

Wird dereinst das gesamte Genom des Neugeborenen routinemässig auf Krankheiten untersucht? In manchen Ländern wird das schon getestet, sagt Stoffwechselspezialist Matthias Baumgartner.

image

Schweizer Hoffnung in der Krebsmedizin

Ein neues Medikament gegen das unheilbare Glioblastom schafft Hoffnung: bei manchen Patienten schrumpfte der Tumor um bis zu 90 Prozent.

Vom gleichen Autor

image

Pflege: Zu wenig Zeit für Patienten, zu viele Überstunden

Eine Umfrage des Pflegeberufsverbands SBK legt Schwachpunkte im Pflegealltag offen, die auch Risiken für die Patientensicherheit bergen.

image

Spital Frutigen: Personeller Aderlass in der Gynäkologie

Gleich zwei leitende Gynäkologen verlassen nach kurzer Zeit das Spital.

image

Spitalfinanzierung erhält gute Noten

Der Bundesrat zieht eine positive Bilanz der neuen Spitalfinanzierung. «Ein paar Schwachstellen» hat er dennoch ausgemacht.