Krankenkassen – gute Regulierung gegen steigende Kosten und Prämien

Verena Nold, Fridolin Marty und Reto Wyss haben sich hier im April zu den steigenden Kosten und Krankenkassenprämien geäussert. Für Felix Schneuwly hat Fridolin Marty die besten Argumente.

, 2. Mai 2023 um 10:00
image
Santésuisse-Direktorin Verena Nold warnt in ihrem Beitrag vom 8. April, dass die steigenden Kosten unser Gesundheitswesen gefährden, und fordert von der Politik Sparmassnahmen, anstatt ihre Mitglieder zu ermuntern, zusammen mit innovativen medizinischen Leistungserbringern, den Spielraum in den alternativen Versicherungsmodellen besser zu nutzen, damit sich Effizienz und Qualität statt bloss Mengen lohnen. Am 22. April erklärt Economiesuisse- Gesundheitsökonom Fridolin Marty, dass die durchschnittliche Prämienbelastung pro Haushalt in den letzten 20 Jahren von 4.5 auf 6.7 Prozent gestiegen ist und die Gesundheitsausgaben in absoluten Zahlen erst ab 2158 stärker wachsen als das BIP, wenn beide weiter wachsen wie bisher. Gewerkschaftsbund-Zentralsekretär Reto Wyss reagiert am 27. April auf Fridolin Marty, kritisiert Kopfprämien sowie Kostenbeteiligungen als unsozial und meint, dass gemäss einer Sotomo-Umfrage jede fünfte Person aus finanziellen Gründen auf medizinische Leistungen verzichtet.

«Verena Nold sollte nicht immer nach noch mehr Staat rufen, sondern ihre Mitglieder ermuntern, den Spielraum bei den alternativen Versicherungsmodellen im Interesse der Versicherten besser zu nutzen.»

Verena Nold sollte nicht immer nach noch mehr Staat rufen, sondern ihre Mitglieder ermuntern, den Spielraum bei den alternativen Versicherungsmodellen im Interesse der Versicherten besser zu nutzen. Nold und Wyss irren sich mit ihren Forderungen noch mehr falsche Regulierung. Das Instrument der individuellen Prämienverbilligungen (IPV) funktioniert nur in den Kantonen schlecht, die ihren Anteil nicht wie der Bund den steigenden Prämien anpassen. Das Prämienmonitoring des BAG betrachtet nur die hohe Prämienbelastung der vulnerablen Personengruppen. Es ist besser, wenn alle Kantone und nicht bloss einige dieser Personen spezifischer mit IPV zu unterstützen als mit der Giesskanne der 10-Prozent-Initiative der SP beziehungsweise des indirekten Gegenvorschlags. Nold und Wyss ignorieren auch, dass Deutschland, Frankreich, Österreich und Grossbritannien trotz Sparmassnahmen wegen falscher Regulierung die Schweiz in Sachen Gesundheitsausgaben in Prozent des BIP überholt haben. Sie ignorieren den guten Zugang zu medizinischen Leistungen, die kurzen Wartezeiten und den umfangreichen Leistungskatalog in der Schweiz. Sogar die zahnmedizinische Versorgung ist in der Schweiz gut, obwohl sie in der Regel nicht kassenpflichtig ist. Die schlechte Regulierung der letzten 10 Jahre macht einen Teil dieser Vorteile zunichte. Ausnahmen sind die Umsetzung der Spitalfinanzierung, der verbesserte Risikoausgleich und die Psychotherapie auf ärztliche Anordnung.

«Die jüngsten Beschlüsse der nationalrätlichen Gesundheitskommission sind gut für uns alle und erlauben Bundesrat Berset einen versöhnlichen Rücktritt nach 12 Jahren.»

Beim Vergleich der Löhne mit den Krankenkassenprämien ist die prozentuale Betrachtung von Nold und Wyss irreführend. Die Studie CLER hat gezeigt, wie sich das Medianeinkommen (50 Prozent sind reicher, 50 Prozent sind ärmer) entwickelt hat. 2007 bis 2019 ist dieses Medianeinkommen um 9 Prozent gestiegen, die Prämien aber um 44 Prozent. Löhne und Prämien werden aber in Franken und nicht als Prozentwert von irgendetwas bezahlt. 2007 hatten wir pro Jahr nach Abzug der Krankenkassenprämien 46'488 Franken zur Verfügung, 2019 waren es 49'828 Franken, also 3'340 Franken mehr. Der Einkommensanstieg betrug nämlich 4'500 Franken und der Prämienanstieg 1'160 Franken mehr. Das bedeutet, dass mehr als 50 Prozent der Personen trotz hohen Prämien stetig mehr Geld zur freien Verfügung haben, weil das BIP in Franken stärker wächst als die Krankenkassenprämien steigen.
Die jüngsten Beschlüsse der nationalrätlichen Gesundheitskommission sind gut für uns alle und erlauben Bundesrat Berset einen versöhnlichen Rücktritt nach 12 Jahren. Ein Lichtblick sind die Beschlüsse der nationalrätlichen Gesundheitskommission vom 26. bis 28 April in den Bereichen einheitliche Finanzierung ambulant und stationär (EFAS), koordinierte medizinische Versorgung und Medikamentenpreise. Mittlerweile hat eine Mehrheit der Kommission begriffen, dass es bessere Reformprojekte gibt als die bundesrätlichen Sparpakete.
Felix Schneuwly ist Gesundheitsexperte beim Internet-Vergleichsdienst Comparis.

  • gastbeitrag
  • felix schneuwly
  • politik
Artikel teilen

Loading

Comment

2 x pro Woche
Abonnieren Sie unseren Newsletter.

oder

Mehr zum Thema

image

Monsieur Prix mag das Réseau de l’Arc

Preisüberwacher Stefan Meierhans schlägt vor, dass die Politik viel stärker auf grosse Gesundheitsnetze mit festen Budgets setzt.

image

Keine Zulassungserleichterung für Orphan Drugs

Eine schnellere Zulassung für Arzneimittel bei seltenen Krankheiten hätte laut dem Bundesrat hohe Kostenfolgen.

image

Kinder- und Jugendpsychiatrie: Nun soll's der Bundesrat richten

Der Nationalrat verlangt, dass der Bundesrat in die Kompetenz der Kantone und der Tarifpartner eingreift.

image

Forschung muss Frauen und Alte mehr berücksichtigen

Der Bund regelt die Forschung an Menschen stärker. Künftig sollen mehr Frauen und Alte teilnehmen.

image

Braucht es ein Bundesgesetz über die Gesundheit?

Ja, findet die Akademie der Medizinischen Wissenschaften – und formuliert gleich einen Vorschlag: So sähen ihre Paragraphen aus.

image

Bei der Gesundheit gibt es keine Bundes-Subventionen zu kürzen

Die Eidgenössische Finanzkontrolle will bei den Subventionen sparen. Der Gesundheitsbereich wird aber vom Bund kaum subventioniert.

Vom gleichen Autor

image
Gastbeitrag von Felix Schneuwly

Ein Gruss aus der sozialistischen Planwirtschaft

Unklare Ziele, diffuse Verantwortung, aber viel Bürokratie: Der Qualitätsartikel im KVG ist ein fehlkonstruiertes Monster.

image
Gastbeitrag von Felix Schneuwly

EPD: Noch mehr Geld und Zwang machen es auch nicht besser

Ein brauchbares elektronisches Patientendossier wäre überfällig. Aber weiterhin sind wichtige Fragen offen. Zum Beispiel: Wie müsste das EPD sein, damit es auch genutzt wird? Warum fehlen viele praktische Features?

image
Gastbeitrag von Felix Schneuwly

«Berset hätte die Fehler von Dreifuss und Couchepin nicht wiederholen dürfen»

Der Krankenkassen-Experte erklärt im Gastbeitrag, weshalb das Bundesamt für Gesundheit bei der Prämiengenehmigung fundamentale Fehler macht.