Die stark steigenden Kosten gefährden unser Gesundheitswesen

«Damit die Prämien in 10 oder gar 20 Jahren noch bezahlbar sind, müssen wir jetzt reagieren», sagt Verena Nold, die Direktorin von Santésuisse.

, 8. April 2023 um 04:00
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Verena Nold: «Wir müssen handeln und das Problem nicht klein reden.» | zvg
Wir verfügen über eines der besten Gesundheitssysteme der Welt. Dem gilt es Sorge zu tragen. Nur so können die Menschen in der Schweiz darauf zählen, dass sie sich auch in 10 oder 20 Jahren die medizinische Versorgung leisten können, die sie benötigen. Selbstverständlich ist das nicht.
Wir leben in der Schweiz in Wohlstand und Sicherheit. Selbst in der Pandemie blieb das Wirtschaftswachstum robust. Da mag es verlockend erscheinen, die steigenden Gesundheitsausgaben als ein Problem abzutun, das «kaum der Rede wert ist».

«Von 2011 bis 2021 stieg die Prämienbelastung für eine vierköpfige Familie zwischen 30 und 50 Prozent.»

Diese Sichtweise mag für Leute stimmen, die sehr hohe Einkommen haben. Dieses Denken blendet aber die Realität breiter Bevölkerungsschichten aus. Im Zeitraum von 2011 bis 2021 stieg die Prämienbelastung für eine vierköpfige Familie zwischen 30 und 50 Prozent - dies je nach Franchise, Kanton und Versicherer. In der Zwischenzeit bezahlt eine vierköpfige Familie durchschnittlich zwischen gut 840 und 1'200 Franken – pro Monat. Das durchschnittliche Wachstum über alle Franchisen, Kantone und Personen hinweg betrug im selben Zeitraum 26 Prozent pro Kopf.
Zum Vergleich: Die Nominallöhne sind in der gleichen Zeitperiode nur um 6 Prozent gestiegen. Auch das Wirtschaftswachstum liegt im selben Zeitraum mit einem Plus von insgesamt 5 Prozent pro Kopf deutlich unter dem Prämienwachstum.
Auf dieses Jahr hin mussten die Versicherten im Schnitt einen weiteren Prämienaufschlag von 6,6 Prozent hinnehmen. Voraussichtlich vermag selbst dieser Prämiensprung die auch im Jahr 2023 steigenden Kosten nicht auszugleichen. Dementsprechend schmelzen die Reserven der Krankenversicherer dahin. Vor der Pandemie betrugen diese noch über 12 Milliarden Franken, mittlerweile liegen sie gemäss Bundesrat Ende 2022 unter 9 Milliarden Franken.

«Alleine bei Medikamenten könnten wir jährlich mehrere hundert Millionen Franken sparen – ganz ohne Qualitätsverlust.»

Wir müssen also handeln und das Problem nicht klein reden. Damit die Prämien tatsächlich in 10 oder gar 20 Jahren noch bezahlbar sind, müssen wir jetzt reagieren.
Das Potenzial für Einsparungen ist gross, alleine bei Medikamenten könnten wir jährlich mehrere hundert Millionen Franken sparen – ganz ohne Qualitätsverlust. Auch unwirksame Behandlungen bezahlen die Versicherten direkt über ihre Prämien. Zudem sind die Margen bei Labors, Apotheken und andern Leistungserbringern sehr hoch.
Auch leisten wir uns eine Versorgungsstruktur, die viel kostet, aber nicht unbedingt dort Angebote schafft, wo sie tatsächlich notwendig sind. In vielen Regionen, insbesondere den Zentren, haben wir zu viele Ärztinnen und Ärzte, Apotheken und Spitäler – an nur wenigen Orten herrscht tatsächlich Knappheit.

«Veralteter Tarif schafft Fehlanreize – und gehört wo immer möglich durch Pauschaltarife ersetzt.»

Im stationären Spitalbereich haben wir die Kosten erstaunlich gut im Griff, hier haben die Pauschalen dafür gesorgt, dass Transparenz herrscht, die Anreize richtig gesetzt und faire Abgeltungen garantiert sind. Die Kosten sind zwischen 2012 und 2021 mit gut 1 Prozent im Schnitt pro Jahr viel weniger stark als in allen anderen Bereichen gestiegen.
Pauschalen brauchen wir dringend auch im ambulanten Bereich. Sie schaffen Transparenz und sorgen dafür, dass effizient erbrachte Leistungen honoriert werden. Zudem spiegeln Pauschalen die Kostenwahrheit. Hier wird nicht einfach geschätzt, welche Behandlung wieviel kostet. Es wird auch nicht um Vergütungen auf dem Basar des politischen Parketts gefeilt. Nein, bei Pauschalen gelten reale Kostendaten als Richtschnur. Hplus, Santésuisse und die Tariforganisation Solutions Tarifaires Suisse haben dieses bewährte System nun auch für ambulante Pauschalen fertig entwickelt. Bereits haben 30 Spitäler ihre Kostendaten geliefert, so dass ein fein ausbalanciertes System entstanden ist, dass rasch umgesetzt werden kann.
Ambulante Pauschalen sind überall dort durch einen Einzelleistungstarif zu ergänzen, wo Eingriffe respektive Behandlungen häufig sind. Dementsprechend zeigt sich Santésuisse auch bereit, die Pauschalen durch den Einzelleistungstarif Tardoc zu ergänzen und so einen tragfähigen Tarif für die Zukunft zu entwickeln.
Gelingen diese und weitere Reformen, können wir auch in Zukunft auf eine hervorragende medizinische Versorgung für alle Versicherten in diesem Land zählen. Dafür setzen wir uns bei Santésuisse auch in Zukunft mit aller Kraft ein.

Verena Nold ist Direktorin des Krankenkassenverbands Santésuisse.

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