«Efas ist ein Etikettenschwindel»

Laut Heinz Locher steckt das neue Finanzierungsmodell Efas voller Minen. Der Gesundheitsökonom zweifelt, dass es fristgerecht umgesetzt wird.

, 5. Januar 2024 um 15:48
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Heinz Locher: «Man braucht doch nicht sieben Jahre, um Daten zu erfassen. Das ist absolut lächerlich.»
Herr Locher, warum sagen Sie, Efas sei ein Etikettenschwindel? Voller Minen?
Weil man tut, als hätte man jetzt einen grossen Wurf gelandet, als wäre die Sache geritzt. Potemkisches Dorf wäre treffender. Bei Medviu steht: «Endlich steht die Gesundheitsreform». Die «Handelszeitung» schreibt: «Efas nimmt letzte Hürde». Die einzigen, die es verstanden haben, ist Competence, das Fachorgan von Hplus. Sie sprechen von einem «Meilenstein».
Also Meilenstein statt letzte Hürde? Welche Hürden sind noch zu nehmen?
Es wimmelt von Vorbehaltsklauseln.
Bezweifeln Sie, dass in drei Jahren, also auf Anfang 2027, die Finanzierung stationärer und ambulanter Leistungen nach dem neuen Schlüssel erfolgt?
Ich habe die Fahne gelesen, die den Parlamentariern als Grundlage für die Beratung dient. Sie ist 50 Seiten lang. Um jeden Satz, um jedes Wort ist gerungen worden. Zig Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit das Gesetz am 1. Januar 2027 in einem ersten Ausbauschritt nicht nur in Kraft treten, sondern die gewünschte Wirkung entfalten kann. Aber was passiert, wenn sich die Tarifpartner nicht einigen können? Das wäre ja nicht das erste Mal.
Dann könnte der Bundesrat ein Verfahren einleiten.
Ja, aber wir haben keine Gewähr, dass es funktionieren wird. Siehe das Trauerspiel um den Tardoc.
Sie zweifeln also, dass wir bis in drei Jahren Tarifverträge haben, auf deren Basis der Finanzierungsschlüssel zwischen den Kantonen und den Krankenversicherern bestimmt werden kann?
Ja, ich spreche von Tarifverträgen mit Qualitätsklauseln. Seit 1996 wird verlangt, dass jeder Tarifvertrag einen Anhang hat über Qualitätssicherung. Das wurde bisher gar nicht beachtet. All diese – notabene jeweils von den Kantonsregierungen genehmigten – Tarifverträge sind KVG-widrig.

Zur Person

Generalsekretär der Gesundheitsdirektion des Kantons Bern; Partner von PricewaterhouseCoopers und selbständiger Berater im Bereich Entwicklung und Regulierung des Gesundheitssystems – das sind einige Funktionen, die der Gesundheitsökonom Heinz Locher, Jahrgang 1943, innehatte. 2021 gründete der Berner die Care at Home Schweiz GmbH.
Locher war auch Mitglied der 14-köpfigen Expertengruppe unter alt-Ständerätin Verena Diener, welche im September 2017 im Auftrag des Bundesrates einen Bericht über Kostensenkungsmassnahmen zur Entlastung der obligatorischen Krankenpflegeversicherung erstellte.
Wenn sich die Krankenkassenverbände weiter bekämpfen und keine neuen Tarifverträge zustande bringen, könnte doch der Verteilschlüssel aufgrund der bestehenden, gültigen, KVG-widrigen Tarifverträge bestimmt werden, oder?
Das ist nicht der Zweck der Übung. Wir haben im ambulanten Spitalbereich eine Unterdeckung von rund 20 Prozent. Die Spitäler können es sich gar nicht leisten, den ambulanten Bereich zu pushen, solange wir keine neuen, kostendeckende Tarifverträge haben.
Was meinen Sie konkret?
Wenn man die ambulante Spitalmedizin rationell betreiben will, muss eine entsprechende Infrastruktur aufgebaut werden. Nehmen Sie das Beispiel des Berner Sonnenhof-Spitals. Es hat im Zentrum von Bern ein orthopädisches Operationszentrum für ambulante Eingriffe erstellt – und nicht etwa beim Spital am Stadtrand.
Das ist doch die Zukunft.
Ja, aber denken Sie das zu Ende. Wenn die Entlastung des stationären Bereichs so vorangetrieben wird, wie sich das manche vorstellen, so haben wir leere Spitalabteilungen. Die müssen laut Rechnungslegungsvorschriften sofort abgeschrieben werden. Das verschärft die vielerorts prekäre Eigenkapitalsituation und damit die Schwierigkeiten bei der Finanzierung von Bauten und Anlagen.
Dann wird das eine oder andere Spital schliessen. Das ist politisch gewollt. Wir haben zu viele Spitalbetten.
Auch das ist nicht zu Ende gedacht. Auch die Spitäler, die wir benötigen, werden in finanzielle Schwierigkeiten geraten.
Efas: Einheitliche Finanzierung von ambulanten und stationären Leistungen
Am 22. Dezember 2023 stimmte das Parlament für eine neue Gesundheits-Finanzierung. Künftig werden ambulante und stationäre Leistungen aus einer Hand finanziert. Der Kostenteiler zwischen Steuer- und Prämienzahlern bleibt derselbe, egal ob ambulant oder stationär behandelt wird.
Konkret: Bis zum Einbezug der Pflege werden 24,5 Prozent von den Kantonen und 75,5 Prozent von den Versicherern über die OKP finanziert. Vier Jahre später, nach erfolgter Integration der Pflegeleistungen, liegt der Verteilschlüssel bei 26,9 Prozent für die Kantone und bei 73.1 Prozent für die Versicherer.
Sie kritisieren auch, dass der Pflegebereich erst nach sieben Jahren laut den Vorgaben von Efas finanziert werden soll.
Sieben Jahre. Das ist doch ein Witz. Man braucht doch nicht sieben Jahre, um Daten zu erfassen. Das ist absolut lächerlich.
Das sehen nicht alle so. Mitte-Ständerat Peter Hegglin erklärte in der Ratsdebatte, dass die Pflege heute je nach Kanton unterschiedlich erbracht, finanziert und kontrolliert werde. Ungenaue Zahlen über Kosten und Leistungen seien die Folge. Er meinte, der Bundesrat müsse den Zeitpunkt bestimmen, sobald alle Daten auf dem Tisch lägen.
Diese Behauptung ist eine Respektlosigkeit diesen Unternehmungen gegenüber. Das hiesse ja, Pflegeorganisationen und Spitex hätten keine Ordnung in den Finanzen.
Die sieben Jahre sind ein Kompromiss, weil die Krankenkassen die Pflege gar nicht Efas unterstellen wollten.
Ein Gesetz, das in sieben Jahre in Kraft tritt, ist weniger wert als ein Gesetz, das heute in Kraft tritt. Discounted cashflow nennt sich das. Das Votum von Peter Hegglin ist ein weiterer Beweis, dass die Krankenkassen die Pflege nicht einbeziehen wollen.
Das ist bekannt. Die Krankenkassenlobby hat nur zugestimmt, weil die Kantone sonst nicht mitgemacht hätten.
Ja, und so haben sie überall Streuminen gelegt, um die Pflege nicht unter Efas stellen zu müssen. Siehe Römisch Vier der Übergangsbestimmungen. Dort steht, dass bis in sieben Jahren sicherzustellen ist, «dass bis zu diesem Zeitpunkt Tarife für die Pflegeleistungen vorliegen, die auf einer einheitlichen und transparenten Kosten- und Datenbasis basieren und die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllen, also namentlich kostendeckende Tarife, bezogen auf die für eine effiziente Leistungserbringung erforderlichen Kosten».
Sie meinen, die Pflege werde nicht laut Efas finanziert, solange die gesetzlichen Voraussetzungen nicht erfüllt sind?
Es steht, die Tarife müssen die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllen, also namentlich kostendeckend sein. Dabei gilt Artikel 64 Absatz 5bis. Das ist der «Bschiss-Artikel». Um Efas umzusetzen, werde eine klare einheitliche transparente Kosten- und Datenbasis verlangt. Nun sind laut diesem Artikel die Beiträge, die die Versicherten leisten müssen, in Franken festzulegen. «Der Bundesrat legt die maximale Höhe des Beitrags in Franken fest». Das ist verdächtig. Im ganzen KVG ist stets die Rede von Prozentsätzen. Einerseits wird eine klare einheitliche transparente Kosten- und Datenbasis verlangt. Und im gleichen Artikel steht, dass die maximale Höhe in Franken festgelegt wird.
Was schliessen Sie daraus?
Dass der Wille nicht vorhanden ist, um Transparenz zu schaffen. Die Kassen werden dann in sieben Jahren behaupten, eine transparente Kostenbasis liege nicht vor. Damit sei es unmöglich, Efas einzuführen. Damit ist die Mine gelegt.
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