Während die Schweiz wie jeden Herbst über steigende OKP-Prämien debattiert, ringen branchenintern die Leistungserbringer und Zusatzversicherer um Tarife. Diese VVG-Tarifverhandlungen sind nicht nur technisch anspruchsvoll, sondern binden auch personelle Ressourcen und kosten Geld. Entsprechend gross ist das gemeinsame Bedürfnis der Tarifpartner: Stabilität und Planungssicherheit. Wer sich einmal einigt, will nicht jedes Jahr von Neuem am Verhandlungstisch Platz nehmen.
Ein bewährtes Instrument aus dem Immobiliensektor kann diese gewünschte Stabilität in die VVG-Vertragspartnerschaft bringen: die Indexklausel. Wer eine Wohnung (ver-)mietet, kennt das Prinzip. Die Miete wird an die Teuerung gekoppelt – gemessen am Landesindex der Konsumentenpreise (LIK). Steigen die Lebenshaltungskosten, steigt die Miete; sinken sie, sinkt auch die Miete. Was bei Geschäftsmieten seit Jahren Standard ist, hält nun auch Einzug in die Tarifverträge zwischen Leistungserbringern und Zusatzversicherern – aus guten Gründen:
- Eine Indexklausel schützt beide Parteien vor den Folgen unvorhersehbarer Inflation. Sie sichert insbesondere den Leistungserbringern den realen Wert ihrer Vergütung – ein legitimes Anliegen in wirtschaftlich volatilen Zeiten.
- Gleichzeitig schaffen Indexklauseln für Zusatzversicherer verlässliche Kalkulationsgrundlagen: Kostensteigerungen sind klar an den offiziell publizierten LIK gebunden, ad-hoc-Forderungen der Leistungserbringer werden minimiert.
- Indexklauseln beenden jährliche Forderungen nach einem Teuerungsausgleich. Sie sparen Zeit und Kosten. Das Vertragsmanagement wird schlanker und berechenbarer.
1. Warum sich Zusatzversicherer mit Indexklauseln schwertun
Obwohl Indexklauseln Planungssicherheit und Kosteneinsparnisse für alle Beteiligten versprechen und damit auch den Versicherern nützen, stossen Leistungserbringer mit entsprechenden Vorschlägen regelmässig auf Widerstand. Der Kern dieser Skepsis ist die Sorge vor regulatorischen Stolpersteinen bei der Prämiengenehmigung.
Die Prämien der Krankenzusatzversicherung unterliegen der präventiven Produktkontrolle der FINMA. Unter diesem Titel prüft die FINMA die von den Versicherungsunternehmen vorgelegten Tarifberechnungen. Die Prämien sollen sich in einem Rahmen halten, der einerseits die Solvenz des Versicherungsunternehmens gewährleistet und andererseits die Versicherten vor Missbräuchen schützt.
«Eine Indexklausel schützt beide Parteien vor den Folgen unvorhersehbarer Inflation. Sie sichert insbesondere den Leistungserbringern den realen Wert ihrer Vergütung.»
In jüngster Vergangenheit legt die FINMA diesen Genehmigungsvorbehalt zunehmend exzessiv aus. Längst geht es nicht mehr nur um Solvenzrisiko oder Missbrauch, sondern auch darum, ob die zugrunde liegende Kalkulation transparent und «angemessen» erscheint. Diese Praxis beeinflusst unmittelbar die Tarifverhandlungen. Unter dem Druck einer möglichen Ablehnung der Prämien agieren Zusatzversicherer hochgradig risikoavers. Sie meiden in der Vertragsgestaltung mit Leistungserbringern jegliche Klausel, die ihre penibel nachvollziehbare Prämienherleitung gefährden und somit regulatorische Beanstandungen nach sich ziehen könnte.
Diese Vorsicht erklärt die verbreitete Zurückhaltung gegenüber Indexklauseln. Juristisch gerechtfertigt ist sie jedoch nicht: Indexklauseln sind zivilrechtlich zulässig und aufsichtsrechtlich unbedenklich. Im Gegenteil: Sie fördern genau jene Transparenz, Nachvollziehbarkeit und Systematik, die die FINMA in der Prämiengestaltung verlangt.
2. Grundsatz der Vertragsfreiheit beherrscht die Zusatzversicherung
Die Tarifverträge bzw. Mehrleistungsverträge zwischen Leistungserbringern und Zusatzversicherern regeln die Abgeltung überobligatorischer Leistungen gemäss dem Versicherungsvertragsgesetz (VVG). Diese Verträge sind rein privatrechtlicher Natur. Das bedeutet: Das Krankenversicherungsgesetz (KVG) findet auf sie keine Anwendung, weder direkt noch indirekt.
Die Basis dieser strikten Trennung ist das Leitbild einer dualen Struktur: Während die medizinische Grundversorgung kollektiv und solidarisch finanziert wird, liegt es in der Verantwortung der Versicherten, darüber hinausgehende Leistungen nach individuellen Bedürfnissen privat abzudecken. Weil diese Leistungen im freien Wettbewerb abgedeckt werden, findet das für die OKP wesensprägende Wirtschaftlichkeitsgebot (Art. 32 KVG) im Bereich der Krankenzusatzversicherung keine Anwendung.
«Gerade im stationären Bereich sind Kalkulationshilfen für ärztliche Mehrleistungen oftmals hochkomplex und austariert.»
Für überobligatorische Leistungen existiert folglich keine Pflicht zur Wirtschaftlichkeit, weder bei der Umschreibung der Leistungen, der Leistungserbringung noch bei der Tarifbildung. Stattdessen werden die Entschädigungen für VVG-Leistungen anhand marktwirtschaftlicher Kriterien festgelegt. Die Parteien legen die Tarife für überobligatorische Leistungen nach eigener Interessenabwägung und betriebswirtschaftlichen Kriterien fest. Es herrscht das Prinzip der Vertragsfreiheit.
Diese Vertragsfreiheit im VVG-Bereich ist jedoch nicht schrankenlos. Wie jede privatrechtliche Vereinbarung müssen auch Tarifverträge zwischen Zusatzversicherern und Leistungserbringern zwingendes Recht einhalten und dürfen keinen unmöglichen, widerrechtlichen oder sittenwidrigen Inhalt aufweisen.
Relevant sind namentlich die Schranken des Kartellrechts. So sind – je nach Konstellation und Ausgestaltung – die Vorgaben der Kalkulationshilfe-Bekanntmachung der WEKO relevant. Gerade im stationären Bereich sind Kalkulationshilfen für ärztliche Mehrleistungen oftmals hochkomplex und austariert. Ziel ist es, klar herauszufiltern, welche Leistungsabrechnungen als echte, über die OKP hinausgehende ärztliche Mehrleistungen gelten – und damit FINMA-konform abgerechnet werden dürfen.
Die genannten Schranken stehen einer korrekt redigierten und je nach Situation bilateral mit dem Versicherer vereinbarten Indexklausel für die Taxpunktbewertung nicht entgegen. Indexklauseln sind rechtlich zulässig und in der Praxis etabliert – etwa in Geschäftsmietverträgen, langfristigen Energielieferverträgen oder im Bau- und Werkvertragsrecht.
3. Aufsichtsrechtliche Schranken: Indexierung ist VAG-konform
Obwohl die Prämien der Krankenzusatzversicherungen der Genehmigungspflicht der FINMA unterstehen, besitzt die Aufsichtsbehörde keine direkte Aufsichtskompetenz über die privatrechtlichen Tarifverträge zwischen Leistungserbringern und Zusatzversicherern. Ihr Einfluss ist nur indirekt: Die FINMA kann von den Versicherern lediglich verlangen, dass sie eine transparente und korrekte Leistungsabrechnung der Leistungserbringer sicherstellen.
Eine Prämienanpassung aufgrund der allgemeinen Teuerung ist vor diesem Hintergrund kein Anlass für eine Nichtgenehmigung. Gemäss dem einschlägigen FINMA-Rundschreiben 2010/3 ist es Versicherern sogar ausdrücklich gestattet, bestehende Prämien um die bisher nicht berücksichtigte «exogene Teuerung» anzupassen. Die FINMA definiert darunter jede Zunahme des Schadenaufwands, die nicht kalkulierbar ist – wozu sowohl die Teuerung der Gesundheitskosten als auch die allgemeine Teuerung zählen.
Indexklauseln in VVG-Tarifverträgen gefährden die Genehmigung von Prämienanpassungen somit nicht. Im Gegenteil: Eine Indexklausel bindet Tarifanpassungen objektiv und transparent an einen externen volkswirtschaftlichen Indikator (LIK). Gerade im Lichte der FINMA-Forderung nach mehr Transparenz in der VVG-Leistungsabrechnung stellt die Indexklausel eine regulatorisch verträgliche Lösung dar, die willkürliche Erhöhungen verhindert und den Wertausgleich sachlich begründet.
4. Praxistipp – Ausgestaltung von Indexklauseln
Die konkrete Ausgestaltung einer Indexklausel ist Verhandlungssache. Entscheidend ist, dass Versicherer und Leistungserbringer die gegenseitigen Risiken anerkennen und in die bilateralen Verhandlungen einbeziehen, um eine faire Lösung zu finden.
- Auf Seiten der Krankenzusatzversicherer liegt das Risiko in der Prämienaufsicht. Die FINMA genehmigt Prämien nach versicherungstechnischen Kriterien und kann Aufschläge ablehnen, wenn sie die erwarteten Kostensteigerungen nicht für ausreichend belegt hält. Steigen die Tarife automatisch aufgrund der Indexklausel, ohne dass die Prämien im gleichen Umfang angepasst werden dürfen, kann eine Deckungslücke entstehen.
- Für Leistungserbringer liegt das Risiko primär in der Entwicklung ihrer Gestehungskosten. Steigende Löhne, Energiepreise, Mieten oder Materialkosten lassen sich nur bedingt steuern. Ohne Indexklausel droht die reale Entwertung der Vergütung, insbesondere bei langfristigen Verträgen mit fixen Taxpunktwerten.
Die genannten Risiken lassen sich abfedern, wenn der VVG-Tarifvertrag mit Indexklausel mindestens jährlich kündbar ist. Etwaige Missverhältnisse der Tarife zu den Gestehungskosten der Leistungserbringer bzw. Prämien der Krankenzusatzversicherung sind dann jedenfalls nicht beständig.
Weitere Punkte, die in einer Indexklausel zu regeln sind, sind insbesondere der Turnus der Teuerungsanpassung (typischerweise jährlich), das Datum der jeweiligen Anpassung (z.B. jeweils per 1. Januar eines Kalenderjahres), der Referenzindex (z.B. «
nach Massgabe des vom Bundesamt für Statistik publizierten LIK, Basis Dezember 2020 = 100»), der Referenzwert (z.B. «
Stand des LIK am Datum des Vertragsabschlusses») und die Modalität der Preisanpassung (z
.B. «Anpassung im Umfang der Veränderung des LIK gegenüber dem Wert des Monats vor Vertragsschluss bzw. des letzten Anpassungsstichtags. Die Anpassung erfolgt unter Verwendung des Teuerungsrechners des Bundesamtes für Statistik; https://lik-app.bfs.admin.ch/de/lik/rechner»). Mit diesen Elementen lässt sich eine vertraglich stabile und aufsichtsrechtlich unbedenkliche Indexierung umsetzen.
Monique Sturny ist Partnerin bei der schweizweit tätigen Anwaltskanzlei Walder Wyss. Sie berät Klienten in allen Aspekten des Kartellrechts sowie im Bereich des Vertrags- und Vertriebsrechts. Sie unterstützt Klienten bei Vertragsverhandlungen und vertritt sie in Gerichtsverfahren und vor Verwaltungsbehörden. Ein besonderer Schwerpunkt ihrer Tätigkeit liegt dabei im Healthcare- und Life Sciences-Sektor.
Fabian Altmann ist als Rechtsanwalt mit Schwerpunkt Health Care & Life Sciences bei der schweizweit tätigen Anwaltskanzlei Walder Wyss tätig. Er berät zu regulatorischen Fragestellungen im gesamten öffentlichen Wirtschaftsrecht und legt dabei einen besonderen Fokus auf die rechtliche Gestaltung von Beziehungen zwischen den verschiedenen Akteuren des Gesundheitswesens. Er unterstützt Klienten bei vielschichtigen Fragen des öffentlichen Rechts, insbesondere an dessen Schnittstellen zum Gesellschafts- und allgemeinen Privatrecht.
- Der «Rechtsfall der Woche» ist ein Partner-Inhalt von Walder Wyss.
Eine dynamische Präsenz im Markt –
Walder Wyss gehört mit mehr als 300 juristischen Experten und Expertinnen an sechs Standorten in allen Sprachregionen zu den führenden Schweizer Kanzleien für Wirtschaftsrecht. Kontinuierliches Wachstum, Kollegialität, Teamarbeit und Leistungswille haben bei Walder Wyss einen hohen Stellenwert – über alle Bereiche und Funktionen hinweg.