Nachgefragt bei: Kerstin von Plessen, Chefärztin Kinder-und Jugendpsychiatrie am Unispital Lausanne
Stellen Sie einen zunehmenden Trend zur Selbstdiagnose via Social Media fest?
Ja. Der Trend zur Selbstdiagnose via Social Media, aber auch überhaupt generell der Zugang (zu oft nicht sehr gut strukturierten Informationen) im Internet ist weit verbreitet und Teil der neuen «Klinik» und kann sowohl zu positiven als auch zu negativen Effekten führen.
Welche positiven Effekte erkennen Sie?
Auf der positiven Seite kann man von einer «Destigmatisierung» oder «Enttabuisierung» sprechen. Der direkte Zugang erleichtert es, gleichgesinnte Menschen zu finden. Dieser Trend führt möglicherweise zunehmend auch dazu, dass die «Neurodiversität» ein Thema geworden ist, wo besonders junge Menschen sich keine Diagnosen mehr wünschen. Viel eher steht die Zugehörigkeit zu einer «anderen» Community, den Neurodiversen, im Vordergrund.
Welche Herausforderungen in der Diagnostik ergeben sich für Fachspezialisten?
Die medizinische Diagnostik wird dadurch verändert, dass Jugendliche oder deren Eltern, bereits mit vielen Informationen zu uns kommen. Manchmal haben sie eine fertige Diagnose im Gepäck und möchten sich diese bestätigen lassen. Die Fragen des medizinischen Personals, etwa auf mögliche Komorbiditäten, können dann als nicht notwendig und störend empfunden werden.