Zu viele Fehlalarme auf der Intensivstation: Pflegepersonal ist gefährdet

Unnötige Alarmtöne auf der Intensivstation schaffen zu viele Lärmreize. Sie müssen auf ein Minimum reduziert werden. Sonst leidet das Pflegepersonal.

, 11. Oktober 2019 um 07:11
image
  • spital
  • intensivmedizin
  • careum
Die Alarmtöne auf der Intensivstation können Leben retten – aber auch die Gesundheit gefährden. Für die Patienten überwiegt die erste Wirkung: Dank der ständigen Überwachung haben sie die Chance, eine lebensbedrohende Situation zu überleben.
Und nach einigen Tagen oder Wochen verlassen sie die Station und sind dem ständigen Lärm nicht mehr ausgesetzt. Anders das Intensivpflegpersonal. Es ist über Monate und Jahre den stetigen Lärmreizen ausgesetzt.

Arbeitsablauf wird unterbrochen

Die täglich hohe Geräuschkulisse beeinträchtige den Arbeitsalltag des Intensivpersonals, schreibt Samanta Septinus in einem Artikel im Rahmen ihres Studiums. Die Autorin ist selber Fachfrau: Sie arbeitet als Expertin Intensivpflege im St. Claraspital in Basel auf einer interdisziplinären Intensivstation und absolviert berufsbegleitend an der Careum Hochschule Gesundheit ein Studium zum Bachelor of Science in Nursing.
Zu viele unnötige Alarme unterbrechen unnötigerweise den Arbeitsablauf und die Patientenversorgung. Die Pflegeperson muss ihre Arbeit unterbrechen, um zu prüfen, wo der Alarm ausgelöst wurde und in welche Prioritätsstufe dieser einzuordnen ist. Ursache und Sicherheitsrelevanz des Alarms müssen stets überprüft werden.

Fehlerrisiko steigt

Solche Unterbrüche erfordern ein hohes Mass an Konzentration. Fehlalarme führen deshalb zu einer unnötigen Arbeitsbelastung. Weiter steigt dadurch auch das Fehlerrisiko, es entstehen Kommunikationsprobleme, und der Stresslevel der Mitarbeitenden steigt. Die dauernde akustische Belastung kann krankmachende Mechanismen aktivieren, die Herz-Kreislauf-Erkrankungen mit sich ziehen können.
Neben physischen und psychischen Folgen des Lärms kann auch das soziale Verhalten negativ beeinflusst werden und sich beispielsweise in Aggressivität oder Isolation äussern. Dies kann zu fehlerbehafteten Pflegehandlungen gegenüber Patienten oder zu unprofessionellem Verhalten in der Zusammenarbeit mit anderen Mitarbeitenden führen.

Im Nachtdienst ist Reizschwelle tiefer

Eine ständige Belastung beeinträchtigt auch das Sozialleben. Der Stress kann sich in psychischen Erkrankungen wie Burn-out oder Depressionen äussern. Oft führt dies zu einer längeren Krankheitsphase. Das noch verbleibende Personal muss die Krankheitsausfälle kompensieren. Und so kommt es zu einem Teufelskreis.
Auch der Schichtdienst wird durch den Arbeitslärm zusätzlich erschwert, da vor allem im Nachtdienst die Reizschwelle für das Lärmempfinden tiefer ist.

Viele Fehlalarme löst das Personal selber aus

Die Autorin kommt zum Schluss, dass auf Intensivstationen Massnahmen zum Schutz vor zu viel Lärmreizen nötig sind. «Alarm sollte nur dann ausgelöst werden, wenn Gefahr droht», schreibt sie, fügt aber sogleich hinzu: «Einfach in der Theorie, schwierig in der Praxis.» Ein Grossteil der Alarme werde von den Pflegefachpersonen selbst ausgelöst, beispielsweise Blutdruckalarme bei falscher Messhöhe, Verrutschen des Sauerstoffsättigungsklipps, Bewegungsartefakte und so weiter.
Eine bewusste Pflegeplanung und individuelle Alarmeinstellungen könnten dabei helfen, die Fehlalarme zu reduzieren. Das Personal müsse geschult darin sein, die Geräte mit Überwachungsumfang und Alarmgrenzen den individuellen Bedürfnissen eines Patienten anzupassen.

Auch Frühgeborene im Brutkasten leiden

Piepsende Alarme und viele Menschen, die sprechen, können auch Spätfolgen für Frühgeborene im Brutkasten haben. Der Lärm kann bei ihnen zu Hörschäden führen, welche die Sprachentwicklung behindern und eine Aufmerksamkeitsstörung zur Folge haben kann. Medinside berichtete über ein Forschungsprojekt, das helfen soll den Lärm auf neonatologischen Stationen zu reduzieren.
Artikel teilen

Loading

Comment

Mehr zum Thema

image

«Binnen weniger Tage starb Elia an einem septischen Schock»

Laut dem neuen Sepsis-Bericht sterben in der Schweiz jährlich rund 4’000 Menschen an Sepsis. Die Geschichte des 14-jährigen Elia zeigt, wie schnell eine Infektion lebensbedrohlich werden kann.

image

Sparprogramme reichen nicht: Das Spitaljahr im Check

Kooperationen, weniger Angebote, effizientere Abläufe, Schliessungen, Nullrunden bei den Löhnen: Die öffentlichen Akutspitäler haben viel getan, um die Finanznot zu bekämpfen. Fazit: So geht es trotzdem nicht weiter.

image

Spitäler 2025 und 2026: Bessere Margen – aber grosse Tarif-Fragezeichen

Die Finanzchefs der Schweizer Spitäler erwarten fürs Erste eine etwas bessere Rentabilität. Zugleich sorgt das neue Tarifsystem für Unsicherheit. Die Erwartungen reichen von Mehreinnahmen bis zu spürbaren Einbussen.

image

Die 10-Prozent-Illusion der Schweizer Spitäler

Eine Betriebsrendite von zehn Prozent galt lange als Überlebensregel für Akutspitäler. Womöglich ist dieser Richtwert inzwischen zu tief. Die Beratungsfirma PwC fordert mehr Effizienz – die Spitäler höhere Tarife.

image

Spitalhygiene: Geschlechtsneutrale WCs bergen ein Risiko

In schottischen Krankenhäusern wurden Damen-, Herren- und Unisex-Toiletten auf Keime geprüft. Heraus kamen drastische Unterschiede.

image

Eine Zusammenarbeit, vernetzt wie das Gefässsystem

Wie in den meisten anderen medizinischen Fachbereichen setzt das Spital Lachen auch in seinem Gefässzentrum auf eine enge interdisziplinäre Zusammenarbeit. Sie garantiert den Patientinnen und Patienten eine professionelle und ganzheitliche Diagnostik, Behandlung und Nachbehandlung.

Vom gleichen Autor

image

«Das Inselspital ist noch lange nicht über den Berg»

Das Inselspital wartete mit guten Meldungen auf. Doch der Insel-Kritiker Heinz Locher gibt keine Entwarnung.

image

So entgehen Sie dem Hochstapler-Syndrom

Viele Ärztinnen und Ärzte überfordern sich – und glauben dann selber, dass sie über ihrem Können spielen. Das ist schlecht für die Psyche.

image

Im Schaufenster stehen vor allem unwirksame Medikamente

Bieler Ärzte schlagen eine neue Etikette für rezeptfreie Arzneimittel vor. Sie soll zeigen, wie verlässlich die Wirksamkeit nachgewiesen worden ist.