Warum Statistiken derzeit so beliebt sind - aber oft untauglich

Zahlen zu Corona sind gefragt: Sie vermitteln wissenschaftliche Seriosität. Doch oft sind sie wertlos.

, 4. November 2020 um 06:48
image
  • statistik
  • coronavirus
  • fallzahlen
  • spital
«Zu den neusten Corona-Zahlen»: Diese Ankündigung im Radio und Fernsehen gehört bereits zum Pflichtprogramm. Zahlen – je genauer desto besser - vermitteln: Wir haben es im Griff. Und sie lenken davon ab, dass die zugrundeliegenden Daten sehr ungenau sind. So veröffentlicht das Bundesamt für Gesundheit (BAG) unverdrossen exakte Zahlen darüber, wie viele Personen in Quarantäne oder in Isolation sind.
image
Screenshot Bundesamt für Gesundheit (BAG)
Nur: Die meisten Kantone können gar keine so genauen Zahlen liefern. Der Kanton Bern weiss nicht mehr, wie viele Personen sich in Quarantäne befinden. Und auch im Kanton Zürich sind die Contact-Tracer so überlastet, dass nicht mehr alle Kontakte seriös verfolgt werden können.

«Spurious relationship»: Die zufälligen Zusammenhänge

Doch auch wenn die Zahlen, welche gesammelt werden, zuverlässig erhoben und fehlerlos weitergeleitet werden, gibt es zwar einigermassen gesicherte Daten, doch dann kann ein zweiter Fehler ins Spiel kommen: Je mehr Daten man hat, umso grösser ist das Risiko, einen Zusammenhang zu entdecken, den es gar nicht gibt.

Humbug und Verschwörungstheorien

So könnten Maskengegner mithilfe der BAG-Statistik zur Positivitätsrate zeigen: Je mehr in der Schweiz die Maskenpflicht ausgedehnt wurde, desto mehr positive Tests gab es. Denn just am 10. Juli, also kurz nach der Einführung der Maskenpflicht im öffentlichen Verkehr, begann in der Schweiz der Anteil der positiven Tests zu steigen. Dies in einen Zusammenhang zu stellen, ist natürlich Humbug.
image
«Spurious relationship» - also zufällige Übereinstimmung – heisst dieses Phänomen in der Statistik. Zwei Grössen entsprechen einander, doch es gibt keinen Kausalzusammenhang, sondern nur eine zufällige oder eine indirekte Beziehung.

Bedeutsame Zusammenhänge übersehen

Je mehr Daten vorhanden sind, desto grösser wird die Anzahl zufälliger Zusammenhänge. Und umso schwieriger ist es, tatsächliche Zusammenhänge von vermeintlichen zu unterscheiden. Konkret:
Wer bei der Positivitätsrate einen Zusammenhang mit der Maskenpflicht vermutet, sieht vielleicht einen anderen Zusammenhang nicht, der einen Einfluss haben könnte: Nämlich, dass die Statistik die Anzahl der positiven Tests und nicht die Anzahl der positiv getesteten Personen zeigt. Unter Umständen steigt also die Positivitätsrate auch deswegen, weil sich immer häufiger positiv Getestete ein zweites Mal testen lassen.

Auch Absurdes lässt sich zeigen

Mit Corona-Statistiken ist es also ähnlich wie bei der Corona-Impfung: Man hat zwar viele mögliche Impfstoffe. Doch ob sie wirksam und sicher sind, weiss man noch nicht. Genauso ist es mit den wissenschaftlichen Daten zur Pandemie: Man hat unzählige Daten und Statistiken. Doch wie gut die Daten stimmen und was für gesicherte Zusammenhänge sich daraus ableiten lassen, weiss noch niemand mit Bestimmtheit.

So lassen sich Verschwörungstheorien erstellen

So lässt sich Absurdes mittels einer Grafik zeigen. Etwa auch die erstaunliche Feststellung, dass sich die Scheidungsrate im US-Staat Maine zu 99,26 Prozent deckt mit dem Pro-Kopf-Konsum von Margarine. In Betracht zu ziehen, dass Margarine-Essen bei Paaren den Entscheid, sich scheiden zu lassen, beeinflusst, wäre eine klare Verschwörungstheorie.
image
Artikel teilen

Loading

Comment

Mehr zum Thema

image

Neuer Leistungsauftrag für die Oberwaid

Die Klinik Oberwaid ist neu auch mit muskuloskelettaler Rehabilitation auf der Spitalliste der Kantone St. Gallen, Appenzell Ausserrhoden und Appenzell Innerrhoden. So kann die Oberwaid auch in diesem Fachgebiet grundversicherte Patienten behandeln und leistet einen wichtigen Beitrag in der Region.

image

Zurück in die Vergangenheit: Spitäler wollen Geld vom Kanton

An sich sollten die Kantone ihre Spitäler nicht mehr finanzieren. Doch immer häufiger zahlen die Regierungen trotzdem – und verzerren möglicherweise den Wettbewerb.

image

Luzerner Kantonsspital braucht wohl bald Geld

Die Höhenklinik des Spitals machte 180'000 Franken Verlust - pro Monat. Die Kantonsregierung rechnet damit, dass das Kantonsspital Hilfe braucht.

image

Spital Samedan gehört bald zum Kantonsspital Graubünden

Dadurch werden wohl einzelne Stellen neu ausgerichtet oder aufgehoben. Andererseits dürften in den medizinischen Bereichen rund 20 zusätzliche Stellen entstehen.

image

100 Millionen Franken? Danke, nicht nötig.

Der Kanton Graubünden plante einen Rettungsschirm für notleidende Spitäler und Gesundheits-Institutionen. Die Idee kam schlecht an.

image

LUKS Gruppe baut Verwaltungsrat um

Elsi Meier, Giatgen A. Spinas und Pauline de Vos verlassen das Gremium. Die Nachfolge-Suche hat bereits begonnen.

Vom gleichen Autor

image

Im Schaufenster stehen vor allem unwirksame Medikamente

Bieler Ärzte schlagen eine neue Etikette für rezeptfreie Arzneimittel vor. Sie soll zeigen, wie verlässlich die Wirksamkeit nachgewiesen worden ist.

image

«Hausarzt ist kein Beruf, den man subventionieren muss»

Ein Arzt macht vor, wie eine Berggemeinde zu medizinischer Versorgung kommt. Und er kritisiert Kollegen, die einfach ihre Praxis schliessen.

image

Medikamente: Diese fünf Irrtümer müssen alle kennen

Epinephrin statt Ephedrin? Solche Verwechslungen können tödliche Folgen haben. Gut zu wissen, wo die grössten Gefahren lauern.