Weshalb sich Pflegefachleute nicht impfen lassen

Angesichts der rollenden Grippewelle ist die Frage akut: Weshalb ist die Impfrate der Pflegenden derart tief? Laut Sabina Heuss von der FHNW hat das viel mit Kommunikation zu tun. Und überhaupt: Nicht die Impfrate ist relevant, sondern die Prävention.

, 21. Januar 2019 um 21:57
image
  • trends
  • impfung
  • sabina heuss
  • coronavirus
  • pflegefachleute
Was macht ein erwachsener Mensch, wenn es von oben heisst: Du musst...... Dann überlegt man sich, ob man wirklich muss. Und wenn der «Befehl» erst noch die persönliche Integrität beeinträchtigt, dann lehnt man die Anweisung von oben erst recht ab. 
Dies ist laut Sabina Heuss mit ein Grund, weshalb die Impfquote bei Pflegenden derart tief ist: Gemäss eigenen Angaben beträgt sie am Zürcher Universitätsspital 15 Prozent, am Universitätsspital Basel 25 und am Berner Inselspital 36 Prozent. 
Sabina Heuss ist Dozentin am Institute for Competitiveness and Communication an der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW). Sie ist Mitglied einer Forschungsgruppe, die der Frage nachgeht, wie Pflegefachpersonen zu einer wirksamen Grippeprävention befähigt werden können. Sie interessiert speziell, warum die Gesundheitsfachpersonen die Influenza-Impfung mehrheitlich ablehnen. Medinside berichtete

«Die Kommunikationskampagnen zu einer verbesserten Durchimpfungsrate bewirken oft eine Schuldzuweisung der nichtgeimpften Berufsgruppen.»

Das vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) finanzierte Projekt trägt den Namen HaIP, was für «Healthcare associated Influenza Prevention study» steht. Initiiert wurde es von Dunja Nicca, Professorin am Institut für Pflegewissenschaft an der Universität Basel, und Matthias Schlegel, Leitender Arzt Spitalhygiene am Kantonsspital St. Gallen. Das Projekt dauert von 2015 bis 2020. 
«Die aktuellen Kommunikationskampagnen zu einer verbesserten Durchimpfungsrate bewirken oft eine Schuldzuweisung der nichtgeimpften Berufsgruppen», erklärt Sabina Heuss im Gespräch mit Medinside. Aus vielen Studien sei bekannt, dass Blaming, eben Vorwürfe erheben, zu Reaktanzreaktionen führe. 
«Statt einer Erhöhung der Durchimpfungsrate bei Pflegemitarbeitenden führt die Blamingstrategie zu einer Abwertung der Kommunikationsinhalte, Animositäten gegenüber den Absendern und der Verneinung einer Gefährdung», sagt Sabina Heuss in einem Studienzimmer an der FHNW in Olten.
Man müsse bei der Team- und Führungskultur ansetzen. Ob sich nämlich Pflegefachpersonen impfen liessen, ob sie die Händehygiene korrekt umsetzten, die Schutzmasken tragen und die Hustenetikette befolgten, hange von der persönlichen Einstellung, aber sehr stark auch von der Team- und Führungskultur der Klinik ab.

«Erkenntnisse der Studie bestätigen, dass sich Pflegefachpersonen einem starken Druck und einer moralisierenden Kommunikation ausgesetzt sehen».  

Hier anzusetzen sei wirkungsvoller als das einseitige Blaming. Erste Erkenntnisse der Studie bestätigten, dass sich Pflegefachpersonen einem starken Druck und einer moralisierenden Kommunikation ausgesetzt sehen.
Und überhaupt ist nach Auffassung von Sabina Heuss schon das Ziel falsch formuliert. Nicht eine Erhöhung der Durchimpfungsrate sollte das Ziel sein, sondern die Vermeidung von Spitalinfektionen, so genannte nosokomialer Infektionen. Da sei aber die Impfung nur eine von mehreren Massnahmen.
Ebenso relevant sei  die Händehygiene; aber ebenfalls nicht zu vernachlässigen seien Isolationen, das Maskentragen oder die Hustenetikette und die frühe Behandlung. Dass trotzdem  nur von der Impfung die Rede ist, hängt laut Heuss damit zusammen, dass die Impfrate im Unterschied zu den anderen Massnahmen einfacher zu messen sei.

Will man die Patienten wirklich über die Impfung schützen, braucht es laut Infektiologen eine Durchimpfungsrate von über 80 Prozent.

Das Forschungsprojekt HaIP legt deshalb den Schwerpunkt nicht auf die Impfung, sondern auf die Evaluation von kombinierten Präventionsmassnahmen. Wissenschaftliche Arbeiten zeigen, dass alle Massnahmen verbessert werden müssen, nicht nur die Impfung alleine.
Würden alle Massnahmen ergriffen, liessen sich die Krankenhausinfektionen um 40 bis 50 Prozent reduzieren. Doch will man die Patienten wirklich über die Impfung schützen, braucht es laut Infektiologen eine Durchimpfungsrate von über 80 Prozent

«Die Pflegefachpersonen schätzen die Wirkung der eigenen Grippeimpfung geringer ein als andere Massnahmen wie Händehygiene und Maskentragpflicht.»

Sabina Heuss ist überzeugt,  dass alle Pflegefachleute sich und ihre Patienten vor Infektionen schützen wollen. Die Studie bestätige dies. Nur schätzten eben die Pflegefachpersonen die Wirkung der eigenen Grippeimpfung geringer ein als andere Massnahmen wie Händehygiene und Maskentragpflicht.
Artikel teilen

Loading

Comment

Mehr zum Thema

image

Pflegeinitiative: Kommission drückt aufs Tempo

Mit nur einer Stimme Mehrheit spricht sich die nationalrätliche Gesundheitskommission für eine attraktivere Passerelle von HF zu FH aus.

image

Wegen hoher Fluktuation: Lups reduziert Betten

Personalmangel zwingt die Luzerner Psychiatrie, eine Station zu schliessen. Patienten müssen teilweise nach Sarnen ausweichen.

image

Erstmals sind mehr Kinder über- als untergewichtig

Es gibt immer weniger Kinder, die unterernährt sind – dafür immer mehr, die zu viel essen. Auch in der Schweiz. Das zeigt der neuste Uno-Bericht.

image

Deutschland: Drogerieriese drängt in Gesundheitsvorsorge

Die Drogeriekette DM bietet neu auch Gesundheitsservices an. Der Konzern arbeitet mit professionellen Partnern – Fachärzte äussern Kritik.

image

Gelder für Pflege-Studierende landen bei Betrieben

Ausbildungsbetriebe nutzen die kantonalen Beiträge für Pflege-Studierende teils zur Senkung der Lohnkosten. Bildungs- und Gesundheitsdirektionen sehen sich nun gezwungen, die Regeln klarzustellen.

image

«Im Gesundheitswesen braucht es Visionen statt Pflästerlipolitik»

Andreas Kistler über wirtschaftliche Zwänge, sinnentleerte administrative Aufgaben und die Entstehung von immer mehr Tätigkeiten, die keinen direkten Nutzen für Patienten stiften.

Vom gleichen Autor

image

«Die Angehörigenpflege darf nicht zu einem Geschäftsmodell werden»

Ambitionslos und verantwortungslos - die SP-Nationalrätin Ursula Zybach ist vom Bericht des Bundesrats enttäuscht.

image

Spitallisten: Druck auf Kantone nimmt zu

Wie der Ständerat macht auch der Nationalrat Druck, damit die Kantone die Spitalplanung und die Leistungsaufträge aufeinander abstimmen.

image

«Der Kanton hat zur Lohnpolitik des Spitals nichts zu sagen»

Das Thurgauer Kantonsspital ist deutlich besser aufgestellt als alle anderen grossen Spitäler der Schweiz. Gesundheitsdirektor Urs Martin nennt die Gründe.