Nein, am Donnerstag flogen keine faulen Eier. Früher habe sie mit solchen Wurfgeschossen rechnen müssen, wenn über die neue Spitalfinanzierung diskutiert worden sei, scherzt Santésuisse-Direktorin Verena Nold. Die neue Finanzierung wurde vor rund einem Jahrzehnt eingeführt – und war stark umstritten. Das Hauptstück, die Fallpauschalen in der stationären Akutmedizin, wurde vor acht Jahren eingeführt. Wie sieht das Zwischenfazit aus? Dies wurde am 9. DRG-Forum in Bern aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchtet.
Aus Sicht der Krankenversicherer zog Verena Nold ein insgesamt positives Fazit. Viele der gesetzten Ziele seien gänzlich oder zumindest teilweise erfüllt worden. Das Lob Nolds für das DRG-Modell erstaunt deshalb nicht, weil Santésuisse schon immer für mehr Wettbewerb einsetzte. Und es erstaunt deshalb, weil Santésuisse kaum eine Gelegenheit auslässt, um sich über fehlenden Wettbewerb zu beklagen.
Die Patienten interessieren sich nicht für Qualität
Ja, der Qualitätswettbewerb funktioniere noch nicht wie gewünscht, sagt Nold dazu. Man sei aber auch diesbezüglich viel weiter als bei der Einführung des DRG-Modells. Doch ist ein solcher Qualitätswettbewerb überhaupt ein Bedürfnis der Patientinnen und Patienten? Daran zweifelt inzwischen sogar Nold etwas. Sie sagt, dass die vom Kassendachverband angebotene, auf den Endverbraucher ausgerichtete Spitalvergleichswebseite auf wenig Interesse stosse.
Auch Thomas Christen, Vizedirektor des BAG, sieht diesbezüglich Nachholbedarf. Denn eigentlich komme den Patienten eine «wichtige Position» zu. Sprich, diese sollen durch ihre Spitalwahl jene Spitäler mit guter Qualität wählen. So würden Qualität belohnt. Doch die Patienten gehen lieber weiterhin ins nächste Spital – Qualität hin oder her.
Ist die positive Entwicklung nachhaltig?
Dennoch: Auch Christen vom BAG zieht mehrheitlich ein positives Fazit: Bei der «grössten Revision» seit der Schaffung des KVG «stimmt die Richtung». Grundsätzlich sei das im Kontext «des starken Kostenanstiegs in den Nullerjahren definierte Ziel der Kostenstabilisierung erreicht worden». Der Wachstumsanstieg sei gebremst, sagt Christen. Eine Auswertung des BAG zeige, dass 2016 bereits 91 Prozent der stationären Kosten durch die Pauschalen gedeckt worden seien. Bei der Einführung habe der Wert mit rund 70 Prozent massiv tiefer gelegen. Noch unklar sei, wie nachhaltig die positive Kostenentwicklung sei.
Spitäler entlassen (zu) früh
Auch qualitativ sei die Versorgung mindestens gleich hoch geblieben, sagt Christen. Die Datenlage sei aber aktuell noch etwas diffus, weil Indikatoren in unterschiedliche Richtungen zeigten. Ein Problem gebe es derweil, weil die Verlagerung in nachgelagerte Bereiche klar zugenommen habe. «Gemäss nachgelagerten Leistungserbringern akzentuieren sich in diesem Bereich bestehende Mängel», so Christen. Das bestätigt Nold – und Beatrix Meyer, Leiterin Stationäre Versorgung und Tarife bei der FMH.
Meyer zeigt die Auswertung von jährlich durchgeführten Umfragen bei der Ärzteschaft. Eine tendenziell immer grössere Anzahl der Reha-Ärztinnen und Ärzte findet, dass die Akutspitäler die Patienten zu früh entlassen. 2019 fand dies ein Drittel der befragten Reha-Ärzte.
Die FMH habe bei der Einführung der Fallpauschalen grosse Bedenken gehabt, sagt Meyer. Speziell jene bezüglich eines steigenden administrativen Aufwands seien eingetroffen. Heute verbringe ein Mediziner täglich zwei Stunden mit Dokumentationsaufgaben. Das sei 33 Prozent mehr Zeit als vor der DRG-Einführung, so Meyer. Speziell betroffen seien Assistenzärztinnen und Ärzte. Diese verbrächten gleich viel Zeit mit der Dokumentation wie mit der Arbeit an den Patienten. Das sei ein Unding.
Reguliert sich das System auf ungute Weise selbst?
Doch grundsätzlich scheint die Ärzteschaft inzwischen mit den Fallpauschalen leben zu können. Meyer gibt sich so sanft, dass Nold überrascht ist – und die eingangs geschilderte Aussage macht.
Gleichwohl hat Meyer Forderungen. So müssten unnötige Operationen verhindert werden. Denn Studien aus Deutschland zeigten: Wenn die Fallpauschale um 1 Prozent sinkt, steigt einfach die Fallzahlen um 1 Prozent. Hier braucht es für die FMH Massnahmen. Etwa auch, indem mengenmässige Boni abgeschafft werden. Ebenso brauche es Korrekturen für Hochdefizitfälle – aber ebenso für Hochgewinnfälle. Ziel müsse eine faire Abgeltung sein, welche die effektiven Kosten abbilde, sagt Meyer.
Mehrheit der Ärzte für Mindestfallzahlen
Einig sind sich Nold, Christen und Meyer: Die Diagnose- und Indikationsqualität muss verbessert werden. Gemäss Meyer spricht sich etwa eine Mehrheit der FMH-Mitglieder für Mindestfallzahlen aus. Einig ist man sich auch, dass die überkantonale Zusammenarbeit verbessert werden muss. Der Bundesrat will in mehreren Bereichen aktiv werden. Die von Christen am
Donnerstag präsentieren Massnahmen des Bundesrates dürften zu reden geben. Und Verena Nold will die Mengenausweitung über die Qualität eingrenzen. Man ist sich einig, dass das nicht einfach wird.
Ja, man war sich erstaunlich einig am Donnerstag in Bern. In diesem arbeite man vertrauensvoll zusammen, konstatiert Nold. Ganz anders als bei den ambulanten Tarifen, wo hart gekämpft werde. Es sieht derzeit nicht danach aus, dass sich dies im ambulanten Bereich rasch ändern wird. Aber das dachte man bei den Fallpauschalen vor knapp zehn Jahren ja auch.