«Fandino wurde wohl unter entwürdigenden Randbedingungen aus dem KSA verwiesen»

Neurochirurg Lars Flöter spricht im Interview über die Freistellung von KSA-Chefarzt Javier Fandino. Und über seine eigene Kündigung, die er vom Kantonsspital Aarau erhalten hat.

, 2. Juni 2020 um 09:37
image
Herr Flöter, stört es Sie, dass die «Aargauer Zeitung» Sie in einem Beitrag jüngst als «Fandino-Fan» bezeichnet hat?
Wissen Sie, ich war damals schon ein erfahrener Assistent als Javier Fandino als junger Oberarzt nach Aarau ins Kantonsspital kam. Da gab es spannende Operationen und eine Menge für mich zu lernen. Für mich ist aber «ein paar auf die Finger zu bekommen», kein «Klima der Angst», wie kolportiert wird. An meinem ersten Arbeitstag als Assistenzarzt hat mir mein Vater gesagt: «Lerne von jedem, der Dir etwas beibringt, und wenn es die Putzfrau ist. Aber bedanke Dich auch bei jedem dafür!» Ich glaube nicht, dass man mit dieser Einstellung sich nun als kleines Groupie fühlen muss.
Das KSA hat Ihnen inzwischen auch gekündigt. Sie sollen sich in den Medien negativ über das Spital geäussert haben. Es heisst, der Vertrag sei «gegenseitig» gekündigt worden, da er ohnehin «inaktiv» gewesen sei?
Die Kategorie «inaktiver Vertrag» kennen mein Rechtsbeistand und ich nicht. In der Tat ich habe ich in Aarau nicht viel operiert, denn meine Hauptstandorte sind Uri und Winterthur. In der Regel kann ich dort die anfallenden Fälle behandeln. Nur gibt es immer wieder einmal Ausnahmen von der Regel: Beispielsweise Spitalangestellte in Uri, die aus privaten Gründen bei eigenen Operationen mehr Diskretion wollen. Oder auch einmal schwierigere Fälle bei denen es präoperative Angiographien und intraoperative Schnellschnitte braucht. Es ist natürlich dann auch klar, dass diese letzteren Operationen auch für das KSA nicht «uninteressant» gewesen sein können.
Wie waren denn die genauen Abläufe der Kündigung des Belegarztvertrags?
Um den 19. Mai 2020 bekam ich den Brief, «ein Juwel der KSA Kommunikationskultur». In diesem Schreiben steht klipp und klar, dass ich mich in der Presse negativ über das KSA geäussert habe und damit gegen Punkt 2.9 meines Vertrages verstossen hätte. In der Tat bin ich auch erst allmählich in dieser Angelegenheit zur Höchstform aufgelaufen. Ich hatte es von einem Vertreter im OP gehört, dass Fandino wohl unter entwürdigenden Randbedingungen aus dem KSA verwiesen wurde. Ich habe dann erst einmal vorsichtig bei ihm nachgefragt, was dort passiert sei. 
Und was haben Sie da erfahren?
Er hat auch noch nicht gleich geantwortet und ganz schnell fing die Gerüchteküche an zu kochen. «Frauen und Geld» sind ja in der Regel die Hintergründe für diese nicht ganz alltäglichen Vorkommnisse, wenn man einen verdienten Chefarzt stehenden Fusses rausschmeisst. Es wurde aber schnell klar, dass auch bei Fandino und einigen aus dem Team eine gewisse Ratlosigkeit bestand. Ich hatte deshalb das Gefühl, es könnte sich hier auf der Stufe der «Alpha-Männchen» zu einem head on gekommen sein und irgendetwas aus dem Ruder gelaufen sein.
Sie haben sich also nichts zu Schulden kommen lassen?
Wir haben das rechtlich angeschaut und kamen zu dem Ergebnis, dass die angeführten Gründe für meine Kündigung nicht zu akzeptieren sind. Ich denke meine Äusserungen sind vollumfänglich durch die Meinungsfreiheit gedeckt und ich habe auch nicht durch die Form meiner Berufsausübung in irgendeiner Form einen ideellen Schaden für das KSA verursacht. Nur was soll eine Zusammenarbeit unter Argwohn? Und ein finanzieller Schaden auf meiner Seite lässt sich nicht dokumentieren. Einige Dinge sollte man sich nicht zur persönlichen Aufgabe machen. Das gehört dazu.
Wie kommt das KSA aber zu der Aussage, der Vertrag sei im «beiderseitigen Einvernehmen» gekündigt worden?
Ich fühlte mich durch den Schritt des KSA von meinen Überlegungen entbunden, fast erleichtert und fand es konsequent, nun nicht noch bis Ende August zu warten. Ich möchte auf jeden Fall möglichst schnell meinen Patienten eine Alternative bieten und zahlreiche alte Aargauer sehen die Vorgänge im Kantonsspital Aarau ähnlich wie ich. Es geht darum, hier schnell nach vorne zu blicken. Die kommende Urlaubszeit ist ja dafür geradezu ideal.
Das heisst auch keine Patienten mehr für das Kantonsspital Aarau?
Ich habe gerade in dieser Woche ein Chronisches Subduralhämatom anderweitig verlegen lassen. Normalerweise hätten wir die kleinen Eingriffe in Uri machen können. Nachkontrollen in unserem kleinen Kanton, was für die Patienten eine Riesen-Vereinfachung ist. Ich fürchte, dass KSA sieht hier bei dem «inaktiven Vertrag» nur die Spitze des Eisbergs. Ich bin mal gespannt, wie die 90 Prozent unter dem Wasser dann in der nächsten Bilanz aussehen.
Aber Sie hätten sich vorstellen können, weiter mit dem KSA zu arbeiten?
Ich war in einem echten Dilemma. Denn Fandino hin oder her: Ich bin zuerst meinen Patienten verpflichtet und wollte mich nicht dem Vorwurf aussetzen, diese für eine persönliche Parteinahme im Stich zu lassen. Mittlerweile haben sich nun schon Patienten, die ich in Aarau operiert habe, gemeldet und Fandino nochmals danken lassen. Ich kann mir schwer vorstellen, dass man diese persönliche Basis, die diese Qualität gebracht hat, irgendwie künstlich tradieren kann. Dazu waren meine Fallzahlen in Aarau wirklich zu gering. Mich hat aber auch gestört, dass mir der Verwaltungsrat erst vollmundig versichert, dass die Qualität auch unter der neuen Leitung ohne Wenn und Aber erhalten bleiben wird. Dann kam die Berufung von Prof. Steiger und die Angelegenheit wurde noch undurchsichtiger.

  • image

    Lars Flöter

    Facharzt für Neurochirurgie

    Lars Flöter ist Facharzt für Neurochirurgie und selbständiger Belegarzt am Kantonsspital Uri sowie bei der Privatklinik Lindberg. Er arbeitete unter anderem mehrere Jahre am Kantonsspital Aarau (KSA).

Mehr und mehr sickert ja durch, dass die Kündigung von Javier Fandino nicht grundlos erfolgte?
Schauen Sie, wenn man das als Arbeitgeber betonen muss, sagt man ja indirekt, dass es auch grundlose Kündigungen geben könnte. Vergleichen Sie das mal mit dem neuen Spital Motto.
Warum stört es Sie, dass über die Kündigungsgründe Stillschweigen vereinbart wurde. Das ist doch üblich?
Wir sind am Ende der Corona Zeit und die Nerven liegen ja nun erkennbar überall blank. Mich störte, dass ich als Belegarzt nicht direkt über die doch entscheidende personelle Veränderung informiert wurde und nutzte das als Aufhänger für ein Mail an den Verwaltungsrat, welchen nach einer für mich gefühlten Ewigkeit mit den bekannten Plattitüden beantwortet wurde. Natürlich kann man sich dahinter verstecken, dass «Stillschweigen» vereinbart wurde. Wer allerdings Erfahrung mit dieser Art der Freistellung hat, weiss, dass sich dahinter nur «ich zahle Dir den Lohn weiter, halte Du die Klappe» steckt. Es ist also ein absolutes Machtungleichgewicht besonders für jemand, der eine Familie zu ernähren hat.
Was hat es mit dem «Klima der Angst» zu tun, von dem einige sprechen, die unter Javier Fandino arbeiteten?
Ich war in meiner Zeit bis zum Facharzt in Aarau, Muri im Freiamt, Aarau, Winterthur, Zürich, Aarau unterwegs. Dann als Oberarzt in Olten und Winterthur, als Leitender Arzt dann in Schwyz. Ich kenne Leute in Aarau, die mit mir um die Jahrtausendwende angefangen haben und immer noch dort arbeiten. Ich habe Fandino wenn ich richtig rechne, vier junge Kollegen als Assistenten empfohlen. Alle haben anschliessend in Aarau ihren Facharzt abschliessen können. Zwei haben sich habilitiert. Wenn das ein «Regime des Terrors» ist, wie sieht dann das Paradies aus?
Und die vielen unzufriedenen Patienten, die an die Öffentlichkeit gelangten?
Bisher werden in der Presse immer wieder zwei Fälle aufgewärmt.
Aber diese Fälle, die Sie erwähnen, sind doch ganz klar dokumentiert?
Erstaunlich, dass das KSA das so laufen lässt, denn die Kosten aus einem verlorenen Verfahren gehen ja zu Lasten der Haftpflichtversicherung. Offenbar überwiegt ja die Rufschädigung von Fandino da gegenüber ökonomischen Überlegungen für das Spital. Die eine Patientin darf ja ihre Geschichte in jedes Mikrophon und in jede Kamera erzählen. Dass man als Chefarzt einer Klinik als in die Behandlung «nicht involviert» bezeichnet wird, ist ja nun lächerlich. Wenn die Bilder, die da schnell gezeigt werden, tatsächlich der Patientin zuzuordnen sind, stellt sich die Sache anders da. Das was ich dort in dem Augenblick sehe, ist ein mit Platte versehener ACIF und darüber wohl ein «neuer» stand-alone PEEK Cage. Das kann funktionieren, tut es aber meistens nicht. Ein Halskragen spielt da wohl eher keine Rolle. Da bin ich dann gespannt auf die Gutachtermeinung.
Und der Vorwurf, Fandino habe eine Patientin als «Versuchskaninchen» eingesetzt?
Da werden nun ganz übler Bilder bedient und die übelsten Vertreter unseres Berufsstandes reanimiert. Aber auch dort liest man zwischen den Zeilen, dass es um die Gabe von 5-ALA ging. Ich habe diese Methode Anfang der 2000er Jahre in Aarau kennengelernt und natürlich hat man damit Erfahrungen sammeln müssen. Dazu gehörten auch Nebenwirkungen, über die die Patienten aufgeklärt wurden. Der Vorwurf, wie ich es verstehe, ist wohl nicht die Nebenwirkung , sondern die fehlende Aufklärung darüber. Das war zu meiner Zeit Aufgabe vom Assistenten oder Unterassistenten. Für mich spricht es eher für Fandino, dass er sich dort nicht herausredet. «Auch den ganzen Temporallappen» herausgeschnitten, erscheint mir doch als mediale Überzeichnung. Ein Blick auf die Überlebenszeit nach der OP sagt dazu wohl genug. Da man immer nur auf das für Fandino ungünstige Gutachten verweist, bin ich einmal auf das Gegengutachten gespannt. Aber wenn man mit genügend Schmutz wirft, bleibt immer etwas hängen. Ob nach den entsprechenden Urteilen dann Gegendarstellungen folgen, liegt im Aufgabenbereich der Medien. Die meisten Medien haben dann längst «die nächste Sau» gefunden, die man durch das Dorf treibt.
  • spital
  • neurochirurgie
  • javier fandino
Artikel teilen

Loading

Comment

2 x pro Woche
Abonnieren Sie unseren Newsletter.

oder

Mehr zum Thema

image

Basel: Adullam-Stiftung engagiert Jörg Leuppi

Der CMO des Kantonsspitals Baselland wird Stiftungsrat bei der Organisation für Altersmedizin.

image

USZ macht Verlust von 49 Millionen Franken

Verantwortlich dafür sind unter anderem inflations- und lohnbedingte Kosten. Zudem mussten Betten gesperrt werden.

image

Auch das KSW schreibt tiefrote Zahlen

Hier betrug das Minus im vergangenen Jahr 49,5 Millionen Franken.

image

...und auch das Stadtspital Zürich reiht sich ein

Es verzeichnet einen Verlust von 39 Millionen Franken.

image

Kantonsspital Olten: Neuer Chefarzt Adipositaschirurgie

Urs Pfefferkorn übernimmt gleichzeitig die Führung des Departements Operative Medizin.

image

SVAR: Rötere Zahlen auch in Ausserrhoden

Der Einsatz von mehr Fremdpersonal war offenbar ein wichtiger Faktor, der auf die Rentabilität drückte.

Vom gleichen Autor

image

Arzthaftung: Bundesgericht weist Millionenklage einer Patientin ab

Bei einer Patientin traten nach einer Darmspiegelung unerwartet schwere Komplikationen auf. Das Bundesgericht stellt nun klar: Die Ärztin aus dem Kanton Aargau kann sich auf die «hypothetische Einwilligung» der Patientin berufen.

image

Studie zeigt geringen Einfluss von Wettbewerb auf chirurgische Ergebnisse

Neue Studie aus den USA wirft Fragen auf: Wettbewerb allein garantiert keine besseren Operationsergebnisse.

image

Warum im Medizinstudium viel Empathie verloren geht

Während der Ausbildung nimmt das Einfühlungsvermögen von angehenden Ärztinnen und Ärzten tendenziell ab: Das besagt eine neue Studie.