Die Zusatzversicherung im Visier der Politik

Nach dem Preisüberwacher und der Finanzmarktaufsicht nehmen nun auch Nationalräte die intransparenten Spitalkostenzusatzversicherungen ins Visier.

, 28. März 2021 um 18:30
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Der im Dezember 2020 veröffentlichte Bericht der Finanzmarktaufsicht (Finma) über die Spitalzusatzversicherungen warf hohe Wellen, die bis heute nicht verebbten und nun auch das Bundeshaus einholten. Die Finma prangert die Tarifverträge zwischen Krankenversicherern und Leistungserbringern an, die derart intransparent und heterogen seien, dass sie zu Fehlanreizen führten.

Roduit, Michaud Gigon, Hurni

Eine Nationalrätin und zwei Nationalräte haben in der zurückliegenden Session in der Fragerunde das Thema aufgegriffen: «Beabsichtigt der Bundesrat, eine Untersuchung durchzuführen, um den Schaden zu eruieren, den die Versicherten durch eine allfällige Erhöhung der Prämien dadurch erlitten haben?» wollte der Mitte-Politiker Benjamin Roduit vom Bundesrat wissen.
Weil gemäss Finma mehrere Leistungserbringer den Zusatzversicherungen ungerechtfertigte Beträge in Rechnung stellten, fragte die Waadtländerin Sophie Michaud Gigon von den Grünen, ob der Bundesrat beabsichtige herauszufinden, inwiefern Spitäler sowie Ärztinnen und Ärzte für diese mutmassliche Missbräuche verantwortlich sind.
Und der Neuenburger Sozialdemokrat Baptiste Hurni, Advokat von Beruf, fragte den Bundesrat, ob dieser nicht der Ansicht sei, dass diese Praxis der zu hohen Rechnungen aufgrund des systematischen Vorgehens strafrechtlich verfolgt werden könnte.

3 Parteien aus 3 Kantonen

Es war eine konzertierte Aktion einer Nationalrätin und zweier Nationalräte von drei verschiedenen Westschweizer Kantonen und drei verschiedenen Parteien.
Der Bundesrat blieb bei allen drei Fragen unverbindlich: Weder Bundesrat noch Finma verfügten über die Kompetenz, allfällige Verantwortlichkeiten von Ärzten oder Spitälern festzustellen oder über Ersatzansprüche von Versicherten infolge allfällig zu hohen Prämien zu befinden, erklärte er am 8. März 2021 in seiner schriftlichen Antwort.

Sache der Kantone

Gegenüber den Leistungserbringern seien die Kantone als Bewilligungs- und Aufsichtsbehörden zuständig. Und ob ein strafrechtlich massgebliches Verhalten angezeigt sei, sei in jedem Einzelfall abzuklären.
Benjamin Roduit gibt sich damit nicht zufrieden. Der Walliser macht gegenüber Medinside klar, dass er in der Sondersession der ersten Maiwoche oder in der Junisession eine Interpellation einreichen werde – womöglich wieder zusammen mit den beiden anderen. 
Benjamin Roduit will unter anderem wissen, wie das Bundesamt für Gesundheit (BAG) die Kontrolle sicherstellen könne, damit eben Ärzte und Spitäler für ein und dieselbe Leistung nicht zweimal kassierten. Zudem will er wissen, wie Bundesrat und Parlament garantieren, dass die Strafbehörden im Fall eines Betrugs auch tatsächlich informiert würden.

Finma, Preisüberwacher, Bundesbern

Nach der Finma und dem Preisüberwacher ist nun auch Bundesbern hellhörig geworden, dass mit dem Geschäft der Spitalkostenzusatzversicherungen einiges im Argen liegt. Seit die Finma nun transparente Bottom-up-Verträge verlangt, bei welchen klar hervorgeht, wie sich die Mehrleistung einer Zusatzversicherung rechtfertigt und beziffert, ist zwar einiges besser geworden.
Doch gegenüber den Spitälern hat die Finma keine Handhabe. Wenn ein Spital nicht gewillt ist, Transparenz zu schaffen und nachvollziehbare  Preise zu verlangen, so kann man höchstens hoffen, dass die Krankenversicherer die Unterschrift verweigern. Was wiederum ein Problem ist, weil sie mit ihren Spitalversicherungen die freie Arzt- und Spitalwahl versprechen, so dass sie gewissen Spitälern, zumindest den grossen, ausgeliefert sind. Der Preisüberwacher nennt dies einen «faktischen Vertragszwang».

Flutwelle

«Da kommt eine Flutwelle auf uns zu», sagte Annamaria Müller hier im Interview mit Medinside. «Etwa so, wie wenn sich in den Bergen im Gebüsch Geröll anstaut und dann ein Gewitter kommt», so die VR-Präsidentin der Freiburger Spitäler HFR.
Das Gewitter bahne sich an zwei Fronten an: Zum einen bei den Tarifen, die nun unter Druck gerieten. Zum andern bei der nachlassenden Nachfrage nach den teuren Zusatzversicherungen. 
Die Krankenkassen hätten es bisher nicht geschafft, echte Alternativen zu ihren Spitalversicherungen zu entwickeln, so Annamaria Müller weiter: «Das ist ein Super-Gau, sowohl für die Krankenkassen, wie für die Spitäler und die Belegärzte.»

Das sagt Sophie Michaud Gigon

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Auch Sophie Michaud Gigon, Waadtländer Nationalrätin der Grünen, will die Sache nicht auf sich sitzen lassen. Sie ist Generalsekretärin bei der Fédération romande des consommateurs, dem Westschweizer Pendant zur Stiftung für Konsumentenschutz.
Die Konsumentenschützerin weist darauf hin, dass die Prämien der Zusatzversicherungen seit den frühen 2000er-Jahren im Schnitt um 30 Prozent gestiegen sind, bei gewissen Modellen gar um 70 Prozent. Für ältere Versicherte, die bereits aufgrund der teureren Altersgruppe stets höhere Prämien in Kauf nehmen müssten, komme dieser Prämienanstieg von durchschnittlich 30 Prozent noch obendrauf.
Alte Menschen könnten sich laut Michaud Gigon die Spitalversicherung oft nicht mehr leisten, ausgerechnet dann, wenn sie sie am nötigsten hätten. Zumal im Alter der Wechsel zu einem anderen Anbieter nicht mehr möglich sei.  
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