Das grosse Geschäft mit der Fruchtbarkeit

Eine befruchtende Zusammenarbeit: Immer mehr Kliniken bieten Reproduktionsmedizin – und die Krankenkasse Sanitas hat die entsprechende Zusatzversicherung im Angebot.

, 12. Februar 2020 um 10:36
image
180 Franken im Jahr zahlt eine 25-jährige Frau bei der Sanitas, wenn sie ihren Kinderwunsch versichern lassen will. Kein grosser Posten. Doch stellt die Frau das Schwangerwerden noch ein paar Jahre zurück, wird es plötzlich massiv teurer.

Maximal 12 000 Franken Beteiligung

Hat sie als 41-Jährige ihren Kinderwunsch noch nicht begraben, zahlt sie 2400 Franken – eine hohe Summe im Vergleich zu dem, was die Versicherung leistet: Im besten Fall zahlt Sanitas nämlich 12 000 Franken an die Befruchtungsversuche ihrer Versicherten. In jedem Fall müssen die Patientinnen einen Viertel der Kosten selber tragen, denn die neue Versicherung deckt nur 75 Prozent.
Es ist kein Zufall, dass die Sanitas ausgerechnet eine Kinderwunsch-Versicherung anbietet. Laut einer Studie des Bundesamts für Statistik (BFS) von 2018 wollen nur ganz wenige der kinderlosen 20- bis 29-Jährigen auch künftig kinderlos bleiben. 93 Prozent der befragten Männer und Frauen wünschen sich mindestens ein Kind.

Viele Spitäler bieten Befruchtungen an

Gleichzeitig gehören In-Vitro-Fertilisationen (IVF) bei vielen Spitälern mittlerweile zum Standardangebot. Die Universitätsspitäler in Zürich, Bern, Basel und Genf betreiben Abteilungen für Reproduktionsmedizin, die mit jeweils acht bis zehn Ärztinnen und Ärzten bestückt sind. Aber zum Beispiel auch das Kantonsspital St. Gallen führt eine Abteilung für Reproduktionsmedizin. In St. Gallen werden pro Jahr 700 neue Patientinnen behandelt und rund 400 Kindern zur Geburt verholfen.
Dabei gehören viele Befruchtungsangebote gar nicht zu den Leistungen, welche die obligatorische Krankenversicherung übernimmt. Nur die intrauterine Insemination, also die künstliche Befruchtung durch direkte Injektion der Spermien in die Gebärmutter, wird bezahlt. Allerdings höchstens drei Versuche pro Schwangerschaft.

Pro Crea lockt Italienerinnen in die Schweiz

Die IVF, das heisst die Befruchtung ausserhalb des Mutterleibs, mit anschliessendem Embryotransfer in die Gebärmutter, ist von der Krankenkasse nicht gedeckt. Doch IVF ist teuer: Ein Behandlungszyklus kostet 5000 bis 7000 Franken. Für Spitäler ist es offenbar trotzdem ein Geschäft, obwohl die Patientinnen die Behandlung selber zahlen müssen.
Auch Privatkliniken bieten immer mehr IVF an. So ist die internationale Klinikgruppe Nextclinic vor zwei Jahren in der Schweiz ins Befruchtungs-Geschäft eingestiegen. Sie betreibt das IVF-Zentrum Zech in Niederuzwil und das Zentrum Pro Crea in Lugano. Letzteres hat innerhalb von zehn Jahren gut 5000 Paare behandelt und 2800 Kinder erzeugt. Das Zentrum richtet sich vor allem an ausländische – insbesondere italienische – Paare. Ein IVF-Zyklus kostet ausländische Patienten 5600 bis 5900 Euro.

Geschützter Markenname für «natürliche» IVF

Mehr den Schweizer Patientinnen widmet sich das Berner Inselspital. In dessen Reproduktionsabteilung vermarktet Chefarzt Michael von Wolff sogar eine selber entwickelte «Befruchtungs-Art», die den geschützten Markennamen IVF-Naturelle trägt. Bei der IVF-Naturelle verzichten die Ärzte weitgehend auf eine Hormonstimulation, da der natürliche Zyklus angeblich bessere Embryonen hervorbringe. Ausserdem ist das Verfahren nur etwa halb so teuer wie eine konventionelle IVF.
Sanitas-Versicherte können davon allerdings nicht profitieren. Denn die Kinderwunsch-Zusatzversicherung bezahlt die Befruchtungs-Behandlungen nur in sieben ausgewählten Kliniken: An den drei Hirslanden-Standorten CPMA in der Klinik Cecil Lausanne, Fiore in der Klinik Stephanshorn St. Gallen, St. Anna Luzern, ausserdem im Berner Lindenhof, bei Gyn A .R .T. in Zürich, im Pro-Crea-Zentrum in Lugano und im Universitätsspital Basel.
Bereits wird allerdings der Ruf laut, dass die Schweizer Krankenkassen IVF aus der Grundversicherung zahlen sollen. In Deutschland übernimmt die Krankenversicherung bei den ersten drei IVF-Versuchen die Hälfte der Kosten.
Artikel teilen

Loading

Comment

Mehr zum Thema

image

Verhandlungen zwischen Versicherern und Spitälern: ein «halber Misserfolg»

In Genf gibt es keine Einigung bei den Zusatzversicherungen. Patienten erhalten für bestimmte Behandlungen keine Kosten mehr zurückerstattet.

image

Peter Indra geht zur Sanitas

Der Arzt und ehemalige Chef des Zürcher Amts für Gesundheit soll beim Krankenversicherer die Grundversorgung gezielt weiterentwickeln.

image

In Genf und Waadt geht es um die «Geiselnahme» der Zusatzversicherten

Der Konflikt zwischen Ärzten und Versicherern über die Kostenübernahme für Halbprivat- und Privatpatienten schwelt weiter: Die Waadtländer Ärztegesellschaft wendet sich an die Finma, während Genf ein Ultimatum stellt.

image

CSS fahndet nach Missbrauch und spart damit 38 Millionen Franken

Die CSS fällt immer wieder auf, wenn es um die Aufdeckung von Betrugsversuchen bei Krankenversicherungen geht.

image

Spital Riggisberg: Nur noch vier Operationstage pro Woche

Die Insel Gruppe reduziert die OP-Tage am Spital Riggisberg: Statt an fünf wird ab April an vier Tagen operiert – aus Kostengründen und wegen geringer Auslastung.

image

USB hat wieder mehr Patienten behandelt als USZ

Ob sich die höheren Behandlungszahlen am Universitätsspital Basel auch finanziell lohnen, wird Ende Mai bekannt.

Vom gleichen Autor

image

«Das Inselspital ist noch lange nicht über den Berg»

Das Inselspital wartete mit guten Meldungen auf. Doch der Insel-Kritiker Heinz Locher gibt keine Entwarnung.

image

Im Schaufenster stehen vor allem unwirksame Medikamente

Bieler Ärzte schlagen eine neue Etikette für rezeptfreie Arzneimittel vor. Sie soll zeigen, wie verlässlich die Wirksamkeit nachgewiesen worden ist.

image

«Hausarzt ist kein Beruf, den man subventionieren muss»

Ein Arzt macht vor, wie eine Berggemeinde zu medizinischer Versorgung kommt. Und er kritisiert Kollegen, die einfach ihre Praxis schliessen.