Kinderspital Zentralschweiz testet «Martha’s Rule»

Nach einem tragischen Todesfall führt das KidZ ein neues Warn- und Eskalationssystem ein: Es stellt sicher, dass Eltern gehört werden, wenn sie Alarm schlagen.

, 17. September 2025 um 10:20
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Die Warnungen verhallten ungehört: Martha Mills | Bild: Merope Mills / Wikimedia Commons CC BY-SA 4.0
Das Kinderspital Zentralschweiz startet ein Pilotprojekt für die Patientensicherheit: Es wird das britische Modell «Martha’s Rule» einführen. Diese Initiative will, dass Eltern bei akuten Sorgen besser gehört werden: Sie können sich bei einem unabhängige Behandlungsteam melden; und danach folgt ein definierter Eskalationsweg.
Auslöser für das Projekt war ein tragischer Todesfall im Februar 2025: Die Ärzte hatten einen kleinen Buben nach Hause entlassen, obwohl die Mutter auf seine kritische Lage hinwies. Wenig später wurde eine Wiederaufnahme nötig, aber das Kind konnte nicht mehr gerettet werden.
Die anschliessende Fallaufarbeitung am Kinderspital Zentralschweiz (KidZ) habe gezeigt, wie wichtig es ist, die Perspektive der Eltern systematisch in die Entscheidungsfindung einzubeziehen, so die Mitteilung der LUKS-Gruppe.
«Eltern kennen ihr Kind oft besser als jeder medizinische Test», sagt KidZ-Leiter Martin Stocker: «Ihre Sorgen ernst zu nehmen, kann für eine erfolgreiche Behandlung essenziell sein.»

129 lebensrettende Reaktionen

Die Idee stammt aus England. Benannt wurde «Martha’s Rule» nach einem 13-jährigen Mädchen, das 2021 gestorben war: Die Ärzte hatten eine Sepsis unterschätzt, obwohl die Familie mehrfach auf gesundheitliche Verschlechterungen hingewiesen hatte.
Die Einsicht aus dem Schicksal von Martha Mills lautete: Man soll Bedenken von Angehörigen oder Aussenstehenden ernst nehmen. Mehr noch: Man benötigt ein System, damit diese Bedenken systematisch in die Behandlung eingespeist werden.
Bislang haben sich 143 britische Spitäler beziehungsweise NHS-Trusts der Martha's-Rule-Initiative angeschlossen. Einige Daten dazu:
  • Von September 2024 bis Februar 2025 gab es 2'289 Interventionen im Rahmen des Martha's-Rule-Verfahrens. In einem Fünftel dieser Fälle führten diese Einmischungen zu Veränderungen oder Verlegungen.
  • 129-mal wurde so ein lebensrettender Eingriff ausgelöst; unter anderem wurden 57 Patientinnen oder Patienten auf eine Notfall- oder Intensivstation verlegt.
  • In weiteren 336 Fällen gab es Anpassungen bei der Behandlung, nachdem Angehörige im Rahmen von Martha's Rule vorstellig wurden.
  • In 340 Fällen führte eine Einmischung der Angehörigen zur Lösung klinischer Probleme (etwa, wenn es zuvor Verzögerungen bei der Medikation gegeben hatte); und in 448 Fällen wurden so Kommunikationsprobleme behoben.
Intervenieren sollen nicht nur Angehörige, sondern beispielsweise Personal, das am Rande involviert ist. Damit dies wiederum funktioniert, muss ein Eskalationspfad eingerichtet werden.
«Martha’s Rule ist noch nicht einmal ein Jahr in Kraft und schon jetzt handelt es sich um eine der bedeutendsten Veränderungen in der Patientensicherheit der letzten Jahre.» — Stephen Powis, University College London.
Das Pilotprojekt in Luzern sieht einen vierstufigen Weg vor:
  • Stufe 0: Systematische Befragung der Eltern bei jedem Schichtantritt.
  • Stufe 1 und 2: Kontaktaufnahme der Eltern mit Pflegepersonal und ärztlichem Team der behandelnden Abteilung.
  • Stufe 3: Direkte telefonische Kontaktaufnahme der Eltern mit der Patientenanmeldung. Dies aktiviert ein unabhängiges Behandlungsteam; Reaktion innert 4 Stunden.
Laut den jüngsten Auswertungen in England sind es in drei Vierteln der Fälle (73 Prozent) Angehörige, die solch einen «escalation request» anbringen.
«Martha's Rule»: Die Prinzipien
«Martha’s Rule ist noch nicht einmal ein Jahr in Kraft und schon jetzt handelt es sich um eine der bedeutendsten Veränderungen in der Patientensicherheit der letzten Jahre», sagte jüngst Stephen Powis, der oberste ärztliche Leiter des NHS: «Hunderte von Anrufen haben zu Verbesserungen in der Patientenversorgung geführt – und zweifellos Leben gerettet.»
Das Pilotprojekt in Luzern startet im November 2025 und läuft bis April 2026. Danach wird das weitere Vorgehen festgelegt. Die Umsetzung erfolgt ohne zusätzliches Personal, da die Fachpersonen innerhalb ihrer regulären Arbeitszeit agieren.
«Wir schaffen ein System, das Eltern ernst nimmt und gleichzeitig das Behandlungsteam unterstützt», so Martin Stocker.
Angehörige erkennen oft früher als medizinische Profis, wenn sich der Zustand eines Kindes verschlechtert. Eine neue Studie belegt die Bedeutung solcher Bedenken – und plädiert für einen Kulturwandel in der Notfallmedizin.
Laut dem neuen Sepsis-Bericht sterben in der Schweiz jährlich rund 4’000 Menschen an Sepsis. Die Geschichte des 14-jährigen Elia zeigt, wie schnell eine Infektion lebensbedrohlich werden kann.

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