Frankreichs Gesundheitssystem kommt vor Gericht

Nach mehreren Suiziden in Krankenhäusern klagen Angehörige und Gesundheitsprofis gegen französische Minister. Der Vorwurf: Totschlag – weil das Spitalsystem in einem untragbaren Zustand sei.

, 16. April 2025 um 09:47
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Catherine Vautrin, Yannick Neuder, Élisabeth Borne |  Bilder: Wikimedia Commons / PD
Die öffentlichen französischen Krankenhäuser stecken in einer tiefen Krise. Die Arbeitsbedingungen sind ein Dauerthema, und in jüngster Zeit erregten Suizide von mehreren Pflegenden und jungen Ärzten viel Aufmerksamkeit. Um hier Druck aufzusetzen und die «Omertà» zu durchbrechen, haben nun 19 Personen eine Klage eingereicht.
Die Klage vor dem Court de Justice de la République – quasi dem nationalen Verwaltungsgericht von Frankreich – richtet sich gegen drei Regierungsmitglieder: Catherine Vautrin, Arbeitsministerin; Élisabeth Borne, Ministerin für Hochschulbildung; Yannick Neuder, Minister für Gesundheit. Dies berichteten zuerst «Le Monde» und «France Inter».
Die Klage wurde von 19 Personen eingereicht; teils sind es Angehörige von Suizid-Opfern, teils Vertreterinnen und Vertreter von Gesundheitsberufen. Vorgeworfen wird den Ministern unter anderem «Mobbing, fahrlässige Tötung, vorsätzliche Gewalt mit Todesfolge und Gefährdung von Personen».
Die Klageschrift konkretisiert dies mit Fällen von Selbstmord, Burnout, Mobbing, unerträglichen Arbeitsrhythmen und gefährlichen Arbeitsbedingungen.

«Alle Warnungen ignoriert»

«Das Spital befindet sich seit vielen Jahren in einer schweren Krise, die sich seit 2012-2013 unter dem Einfluss der neoliberalen öffentlichen Politik verschärft hat», heisst es einleitend: «Trotz besonders besorgniserregender Warnsignale, darunter mehrere Selbstmorde, wurde keine Wende eingeleitet – ganz im Gegenteil.» Und weiter: «Alle Warnungen, ob individuell oder systemisch, wurden ignoriert.»
Die Anwältin der Kläger, Christelle Mazza, prangerte gegenüber «Radio France» eine zentralisierte Personalpolitik an, die auf drei Säulen beruhe: «Eine chronische institutionelle Desorganisation, die sich in der Vielzahl der Reformen widerspiegelt, ein zunehmender Druck auf das Personal und eine Instrumentalisierung seines Pflichtbewusstseins – und das alles unter ständigem Haushaltszwang».
Die Kläger verweisen auch auf die anhaltenden Folgen der Covid-19-Krise, welche die Situation in den Spitälern notorisch verschlechtert habe.

Einen Präzedenzfall schaffen

Die Anwältin entschied sich dafür, verschiedene Fälle in einer einheitlichen Klage zusammenzufassen, in der Hoffnung, dass daraus ein Präzedenzfall entsteht. Mazza stützt sich dabei insbesondere auf den Fall France Télécom, wo Kaderleute wegen institutionellen Mobbings verurteilt wurden. «Diese Rechtsprechung muss im Namen der Gleichheit vor dem Gesetz wie für jeden Firmenleiter auch für Minister gelten, insbesondere angesichts solcher Angriffe auf die Integrität von Personen», erklärte die Anwältin gegenüber AFP.
Würden sich die Regierenden ans Gesetz halten, so müssten alle Spitäler geschlossen werden, so das Argument. Ein Unternehmens-Manager, der eine Umstrukturierungspolitik mit solchen menschlichen Folgen inszeniert hätte, wäre bereits verurteilt – und sein Unternehmen geschlossen.
Und wer das Amt eines Ministers übernimmt, trage auch die Verantwortung für die entsprechenden Dossiers.
Der Beschwerdeausschuss des Gerichtshofs der Republik muss nun darüber befinden, ob ein Verfahren eingeleitet wird. Seine Entscheidung wird für den Herbst erwartet.
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