Ärzte gegen neue WZW-Verträge: «So zementiert man Unrecht»

Rund 250 Ärztinnen und Ärzte wenden sich gegen die geplante Reform der Wirtschaftlichkeitsprüfung. Sie beklagen, die FMH lasse sich von den Kassen vereinnahmen – und fordern eine Urabstimmung über den Umgang mit statistischen Sanktionen.

, 8. Mai 2025 um 22:43
image
Verhältnis von Krankenkasse zu Arzt, Symbolbild  |  KI-Darstellung: Medinside.
Die WZW-Verfahren und die Fahndung der Kassen nach Überarztung sind ein Dauerproblem, bei dem es seit jeher an überzeugenden Lösungen mangelt. Im Februar 2024 befand das Bundesgericht, dass es nicht genügt, einem Arzt durch statistische Methoden vorzurechnen, er habe seine Patienten zu aufwendig und damit zu teuer behandelt (womit er sich womöglich ein unstatthaftes Gehalt verschaffte). Vielmehr sei zwingend «eine komplette Einzelfallprüfung» erforderlich.
Zugleich bemühen sich die Krankenkassen gemeinsam mit der FMH, durch einen neuen WZW-Vertrag Klarheit zu schaffen und die statistische Kontrolle zu legitimieren. Eine neue Vereinbarung soll ab 2026 gelten und den alten Vertrag von 2023 ablösen. Und sie soll festlegen, wie die Regressionsmethode verfeinert und das statistische Screening verbessert werden soll.
Nun fordert jedoch eine Gruppe von Ärzten, dass innerhalb der FMH eine Urabstimmung darüber stattfindet.

«Appeasement-Politik»

Konkret engagieren sich die Fairfond Stiftung für Fairness im Gesundheitswesen und der Verein Ethik und Medizin im Widerstand. Sie greifen ganz grundsätzlich die Idee an, dass Ärzte letztlich dafür sanktioniert werden, dass sie zugelassene und OKP-gelistete Medikamente verschreiben – bloss weil sie dies statistisch auffällig tun.
«Die FMH als Standesvertretung der Medizin sollte sich im Sinne ihres Codes dafür einsetzen, dass in den WZW-Verfahren keine Medizinerin und kein Mediziner dafür gebüsst wird, diese Medikamente zu verschreiben», schreibt die Stiftung Fairfond: «Wenn sie dies zulässt und in den WZW-Verträgen mit den Versicherern verbrieft, dann handelt und kommuniziert sie entgegen ihrem Code, und in der Folge löst sich die Medizin zusehends in der Wirtschaft auf.»
Mittlerweile haben sich rund 250 Ärzte der Unterschriftenaktion angeschlossen. Als treibende Kraft hinter dem Widerspruch steht der Kardiologe Michel Romanens, der von 2013 bis 2017 in der technischen Arbeitsgruppe WZW und in den entsprechenden Verhandlungen zwischen Santésuisse und FMH involviert war. Er sieht eine Urabstimmung als letzte Chance, die freien Praxen vor Übergriffen der Versicherer zu schützen: «Es gilt zu verhindern, dass die FMH mit einem neuen WZW-Vertrag das alte Unrecht zementiert.»
Die Standesorganisation habe sich von den Versicherern letztlich über den Tisch ziehen lassen – während viele Praxen zu Unrecht in Verfahren verwickelt wurden.

Wo liegt die Beweislast?

Die «Appeasement-Politik» der FMH gegenüber den Tarifpartnern drohe «zum gefährlichen Krankenkassen-Konformismus, um nicht zu sagen zur Krankenkassen-Unterwerfung zu werden, wenn die Positionen von ihrem Wesen her unvereinbar sind und sich der Tarifpartner als nicht lernfähig und nicht kompromisswillig erweist», so Fairfond in einem offenen Brief an FMH-Präsidentin Yvonne Gilli.
Ziel ist es nun, mit der Unterschriftensammlung letztlich einen «Stopp der untauglichen Screening-Methode» zu bewirken: Die FMH soll den alten Vertrag aus dem Jahr 2023 kündigen. Und: «Der neue Vertrag soll Wirtschaftlichkeit aus ärztlicher Sicht definieren: Wirtschaftlich ist jede ärztliche Verordnung, welche zweckmässig ist», heisst es im Antragsentwurf zuhanden der Ärztekammer: «Bei gleicher Wirksamkeit ist das kostengünstigere Vorgehen zu wählen. Sanktionen gegen Leistungserbringerinnen und Leistungserbringer erfolgen nur mit Nachweis unzweckmässiger Behandlungen auf der Individualebene pro gestellte Rechnung, die Beweislast liegt dabei immer bei den Krankenversicherern. Statistische Methoden mit Einschluss von Durchschnittskosten (Level I) oder pharmazeutische Kostengruppen bzw. Hospitalisationen im Vorjahr sind prinzipiell aus den Prüfverfahren ausgeschlossen.»
Weil er so fundamental ist, richtet sich der Widerstand gegen einen Prozess, dessen Ergebnisse noch gar nicht vorliegen. Zurzeit finden immer noch die Verhandlungen zwischen Ärzten und Versicherern statt. Ziel sei es, die Realität in der heutigen Praxis abzubilden und unter anderem auch die Aufnahme von Gruppenpraxen zu ermöglichen, teilt die FMH dazu mit: «Noch bestehen aber erhebliche Differenzen bezüglich der Integration der jüngsten Rechtsprechung des Bundesgerichts in den neuen Vertrag.» Die FMH setze sich dabei mit Nachdruck für Lösungen ein, die der gesamten Ärzteschaft optimal gerecht werden.
Erst nach Abschluss der Verhandlungen würden dann die Verträge im üblichen Prozess den Mitgliederorganisationen zur Abstimmung vorgelegt.
  • wzw-verfahren
  • WZW
  • grundversorgung
  • fmh
Artikel teilen

Loading

Kommentar

Mehr zum Thema

image

Beschwerde gegen das SIWF: Der medizinische Nachwuchs verliert die Geduld

Eine Gruppe von Nachwuchsmedizinern geht vor das Bundesverwaltungsgericht: wegen «ungerechtfertigter Verzögerung» bei der Vergabe von Facharzttiteln.

image

Migros und Novo Nordisk starten Initiative gegen Adipositas-Stigmatisierung

Die Migros-Plattform iMpuls und das Pharmaunternehmen Novo Nordisk wollen Tabus brechen.

image

Ostschweizer Kantone packen die Spitalversorgung gemeinsam an

Die Ostschweizer Kantone St. Gallen, Appenzell Ausserrhoden, Appenzell Innerrhoden und Thurgau führen einheitliche Spitallisten ein und schaffen eine integrierte Gesamtversorgung.

image

Das Spital Oberengadin soll in Nachlassstundung

Die Stiftung Gesundheitsversorgung Oberengadin wird aufgeteilt: Einige Betriebe erhalten eine neue Trägerschaft – das Spital wiederum muss grundlegend saniert werden.

image

Auch eine Parlaments-Rede konnte die Geburtshilfe in Muri nicht retten

Die Mütter hätten entschieden: Sie wollen nicht mehr im Spital Muri gebären. Deshalb wollten die Aargauer Grossräte gestern auch keine Kehrtwende.

image

Hospital at Home: Zürcher Vorreiter ziehen Bilanz

Das Spital Zollikerberg und die Hospital at Home AG haben bislang 750 Patienten zu Hause behandelt. Die Ergebnisse sind positiv, die langfristige Finanzierung bleibt jedoch ungewiss.

Vom gleichen Autor

image

Mehr Pflegepersonal = weniger Ärzte-Burnout

Eine grosse Erhebung in sieben Ländern zeigt: Dort, wo Pflege stark vertreten ist und Arbeitsumgebungen stimmen, bleiben Ärztinnen und Ärzte länger im Beruf.

image

Notfall: Warum die Bagatellgebühr verpufft – und was stattdessen nötig wäre

Kurz vor der Nationalratsdebatte warnen die Notfallmediziner vor den «Bagatellgebühr»-Ideen. Sie schlagen vier konkrete Alternativen vor.

image

SMN: Nello Castelli wechselt zu Pharmasuisse

Der Generalsekretär von Swiss Medical Network wird Leiter Public Affairs beim Apothekerverband.