Lange Zeit galt Temporärarbeit in der Pflege als notwendiger Lückenfüller. Langsam aber scheint sich ein Stimmungswandel abzuzeichnen. Immer mehr Spitäler reduzieren den Einsatz von temporären Fachkräften oder wollen ganz auf sie verzichten. Die Begründung: hohe Kosten, aufwendige Einarbeitung und Unruhe in den Teams.
Ein Beitrag in der
«SRF-Tagesschau» zeigte jüngst: Das Universitätsspital Zürich hat die Zahl der temporären Vollzeitstellen von 60 auf 10 reduziert, das Spital Bülach vermeldet einen Rückgang von 185 auf 30. Auch das Universitätsspital Basel setzt weniger auf Temporärkräfte. Das Kantonsspital Luzern will ganz darauf verzichten.
Bernhard Pulver, der Verwaltungsratspräsident der Insel Gruppe, meldete Mitte Februar ebenfalls, dass der Berner Spitalkonzern im vergangenen Halbjahr beim Temporärpersonal abgebaut habe. Und das Spitalzentrum Oberwallis setzt ebenfalls weniger Zeitarbeit ein, meldete der «
Walliser Bote». Ganz darauf zu verzichten wolle man aber nicht: «Saisonale Schwankungen wie etwa während
der Wintersaison und kurzfristige Personalausfälle lassen sich so besser abfe
dern», erklärte Dominik Lorenz, der Leiter HR am SZO.
«Problematischer Richtungswechsel»
«Ich kann den Trend bestätigen», sagt Philipp Balscheit zu Medinside; er leitet den Bereichs Gesundheitswesen beim Temporäranbieter Coople. Balscheit hält den Richtungswechsel jedoch für problematisch: «Jede Institution versucht krampfhaft, Pflegepersonal für sich zu gewinnen und langfristig zu binden. Doch die Zahl der verfügbaren Fachkräfte bleibt begrenzt. Wenn sich alle Spitäler auf Festanstellungen fokussieren, reicht das Personal nicht für alle.»
Die Spitäler argumentieren, dass sie derzeit ihre Stellen gut besetzen können. Das Universitätsspital Basel verweist auf verstärkte Nachwuchsförderung, höhere Löhne und eigene interne Springerpools. Doch reicht das langfristig?
Wirtschaftlich sinnvoll?
Balscheit hat Zweifel. Statt rein auf Festanstellungen zu setzen, bräuchte es flexiblere Modelle, die es ermöglichen, Fachkräfte institutionenübergreifend einzusetzen. Temporärarbeit könne nicht nur kurzfristige Engpässe abfedern, sondern auch das Kernteam gezielt entlasten – und damit die Fluktuation reduzieren.
«Der Verlust frustrierter und ausgebrannter Mitarbeitender verursacht weit höhere Kosten als der Einsatz von temporären Arbeitskräften. Richtig eingesetzt, kann Temporärarbeit die Arbeitsbedingungen verbessern und langfristig sogar Kosten senken», zeigt er sich überzeugt.
Auch Dominik Lorenz vom SZO teilt diese Einschätzung. Trotz der höheren Kosten für temporäres Personal hält er den gezielten Einsatz für wirtschaftlich sinnvoll: «In manchen Bereichen gibt es schlicht zu wenig Fachkräfte auf dem Markt», sagte er gegenüber dem «Walliser Boten». Zudem könne eine temporäre Anstellung über einen strategischen Partner oft schneller realisiert werden als eine aufwendige Rekrutierung.
Zudem könne Temporärarbeit Pflegefachpersonen eine Möglichkeit bieten, verschiedene Häuser kennenzulernen, bevor sie sich für eine Festanstellung entscheiden, merkt Balscheit an. «Bestenfalls lassen sich aus diesem Pool immer wieder neue Mitarbeitende für eine Festanstellung gewinnen.».
Michael Simon, Leiter des Instituts für Pflegewissenschaften der Universität Basel, sieht die Entwicklung eben falls kritisch. «Dass die Zahl der Temporärkräfte überhaupt so stark gestiegen ist, liegt an der Personalpolitik der letzten Jahre. Die Bedürfnisse der Mitarbeitenden wurden nicht ausreichend berücksichtigt», sagte er im «SRF-Beitrag».
Nun auf einen Schlag umzusteuern, sei schwierig: «Das braucht viel Einsatz, eine durchdachte Strategie und gute Führung. Weiterbildung, gezielte Mitarbeiterentwicklung und flexible Arbeitsmodelle sind entscheidend, um wieder mehr Fachkräfte langfristig zu binden.»
«Spitäler wollen Temporärseinsätze reduzieren»: Beitrag SRF-«Tageschau», 8. Februar 2025.