«Es gab keinen Aderlass im Spital Einsiedeln»

Svenja Wulf ist die oberste HR-Leiterin der Klinik-Gruppe Ameos, zu der unter anderem das Spital Einsiedeln gehört. Ein Interview über Personalmanagement in Zeiten des Personalmangels.

, 9. Januar 2024 um 04:46
image
Svenja Wulf  |  Bild: PD
Frau Wulf, Sie leiten seit gut 100 Tagen das Personalmanagement von Ameos mit etwa 18'000 Angestellten. Was beschäftigt Sie derzeit am meisten?
Aktuell konzentrieren wir uns stark auf die Schaffung einer neuen, attraktiven Arbeitgebermarke, um Talente und Fachkräfte auf uns aufmerksam zu machen und unsere Mitarbeitenden noch stärker an das Unternehmen zu binden. Der Mangel an medizinischem und pflegerischem Personal ist ein bekanntes und dringend zu lösendes Problem, weshalb die Entwicklung innovativer Rekrutierungs- und Bindungsstrategien von elementarer Bedeutung ist.
Svenja Wulf ist seit September 2023 Leiterin Personalmanagement der Ameos-Gruppe mit Sitz in Zürich. In Ihrer Funktion verantwortet die studierte Betriebswirtschafterin das Personalmanagement für 18'000 Angestellte in 107 Einrichtungen an 60 Standorten in der Schweiz, in Österreich und in Deutschland. Hierzulande gehören das Seeklinikum Brunnen und das Ameos Spital Einsiedeln zur Gruppe.
In den vergangenen Wochen haben wir uns konkret auf den Weg zu einer neuen Arbeitgeberpositionierung gemacht und festgehalten, was uns als Arbeitgeber ausmacht. Im Fokus stehen die Kernprofilfelder «Gesundheit dank Qualität», «Sicher für die Zukunft», «Unterschiedliche Aufgaben, aber ein Team» sowie «Engagement, das sich lohnt». Daraus wird der sogenannte 'Mitarbeitenden-Fit' abgeleitet, der beschreibt, welche Menschen gut zu uns passen und welche Eigenschaften sie auszeichnen.
Was sind Ihrer Ansicht nach die besten Ideen beziehungsweise Angebote, um Personal zu gewinnen und zu halten?
Um Personal zu gewinnen, sind vielfältige Ansätze erforderlich: Attraktive Vergütungspakete, Weiterbildungsmöglichkeiten, flexible Arbeitszeiten, Gestaltung von individuellen Lösungen für individuelle Herausforderungen und ein positives Arbeitsumfeld sind entscheidend. Zudem ist eine gezielte Ansprache potenzieller Kandidatinnen und Kandidaten über soziale Medien und digitale Kanäle sowie die Förderung einer starken Unternehmenskultur von grosser Bedeutung.
«Es ist wichtig, eine nachhaltige Rekrutierungsstrategie zu entwickeln und diese regelmässig anzupassen.»
Um Mitarbeitende langfristig zu halten, müssen wir auf deren Bedürfnisse eingehen. Dazu gehören kontinuierliche Entwicklungsmöglichkeiten, Karrierepfade, Mentoring-Programme und ein unterstützendes Arbeitsumfeld. Ein wertschätzendes Miteinander, der Zusammenhalt im Team und die Förderung von Mitarbeiter-Engagement spielt ebenfalls eine zentrale Rolle.
Was kann ein Unternehmen wie Ameos konkret mittel- und langfristig tun, um zuverlässig genügend medizinisches Personal zu haben?
Es ist wichtig, eine nachhaltige Rekrutierungsstrategie zu entwickeln und diese regelmässig an die Bedürfnisse der Mitarbeitenden und Interessenten anzupassen. Dazu gehören ebenfalls die Förderung von Ausbildungsprogrammen, wettbewerbsfähige Löhne, Partnerschaften mit Bildungseinrichtungen, internationale Rekrutierung sowie die Schaffung attraktiver Arbeitsbedingungen und Aufstiegsmöglichkeiten.
Schweizer Kliniken rekrutieren in den Nachbarländern, teils sogar auf den Philippinen – derweil rekrutieren die Spitäler in Italien inzwischen in Südamerika. Findet sich hier eine Lösung?
Die grenzüberschreitende Rekrutierung und Nachwuchsförderung ist ein wichtiger Lösungsansatz, aber langfristig müssen wir auch noch mehr strukturelle Herausforderungen angehen. Das bedeutet eine verstärkte Investition in die Ausbildung und Förderung von Fachkräften. Im Gesundheitswesen werden wir auch in den kommenden Jahren immer wieder vor Herausforderungen stehen. Ich bin mir sicher, dass wir angesichts der Struktur innerhalb der Ameos Gruppe alle kommenden Themen gut meistern werden und uns stetig weiterentwickeln.
«Strenge Budgetbeschränkungen und politische Entscheidungen beschränken die Ressourcen für Lohnerhöhungen.»
Was beschäftigt das Pflege- und das ärztliche Personal in der Schweiz besonders im Vergleich zu Deutschland und Österreich?
In der Schweiz sind die Herausforderungen vielfältig und ähneln im Grunde denen in Deutschland und Österreich. Allen voran geht es um die hohe Arbeitsbelastung und die Balance zwischen Beruf und Privatleben. Was uns an all unseren Standorten auffällt, ist der starke Zusammenhalt der Teams. Ein kollegiales und wertschätzendes Miteinander ist ein wesentlicher Bestandteil einer angenehmen Arbeitsatmosphäre. Wir sind stolz darauf, dass wir diese auch in Zeiten grosser Herausforderungen in unseren Teams bewahren und gemeinsam an unseren Zielen arbeiten.
Warum steigen die Löhne im Gesundheitswesen weniger als in anderen Branchen?
Die geringere Lohnentwicklung im Gesundheitswesen im Vergleich zur Industrie hängt von verschiedenen Faktoren ab: Dazu gehören strenge Budgetbeschränkungen und politische Entscheidungen, die die Ressourcen für Lohnerhöhungen begrenzen. In der Industrie beispielsweise können steigende Kosten in Form von Preiserhöhungen an Endkunden weitergegeben werden. Das ist im Gesundheitswesen in der Form nicht möglich.
Können Sie Neues zur Personalsituation im Spital Einsiedeln sagen? Wie viele Stellen sind noch offen?
Derzeit sind im Ameos Spital Einsiedeln 9 Stellen ausgeschrieben, einschliesslich Ausbildungs- und Praktikantenpositionen. Es gab keinen Aderlass, sondern auf die letzten 2 Jahre und alle Berufsgruppen bezogen eine relativ normale Fluktuationen. Das Team in Einsiedeln ist hochmotiviert und stolz auf seine qualitativ hochwertige Arbeit. Das Ameos Spital in Einsiedeln nimmt eine zentrale Rolle als grösster Arbeitgeber in der Region ein.
  • Spital Einsiedeln: Geburtsabteilung öffnet erst nächstes Jahr wieder. Die Geburtenabteilung des Ameos Spitals bleibt wegen Personalmangel geschlossen.
Bei welchen Positionen beziehungsweise Funktionen mangelte es vor allem, dass die Geburtenstation geschlossen werden musste?
Derzeit mangelt es an Hebammen. Unsere fortlaufenden Bemühungen, das erforderliche Fachpersonal zu gewinnen, haben erste positive Ergebnisse gezeigt. Wir freuen uns, dass sich zwei Hebammen aus dem Ausland beworben haben und sich derzeit im Schweizer Anerkennungsverfahren zur Berufsausübung befinden. Beide möchten unser Team so bald wie möglich verstärken. Dies ist ein ermutigender Fortschritt und unterstreicht unser Engagement, hochqualifizierte Fachkräfte für unser Spital zu gewinnen.
«Wir sind zuversichtlich, dass die Fortschritte uns näher an unser Ziel bringen, die Geburtsabteilung bald wieder öffnen zu können.»
Wir sind bestrebt, die höchsten Standards in der Geburtshilfe zu gewährleisten und werden die Öffnung unserer Geburtsabteilung nur vornehmen, wenn wir sicher sind, dass wir die bestmögliche Versorgung bieten können. Daher haben wir uns entschlossen, die Wiedereröffnung der Abteilung erst vorzunehmen, wenn die Anerkennungsverfahren abgeschlossen sind und wir alle notwendigen Fachkräfte sicher an Bord haben. Wir sind zuversichtlich, dass die bisherigen Fortschritte uns näher an unser Ziel bringen, die Geburtsabteilung in naher Zukunft wieder öffnen zu können und bedanken uns für das Verständnis und die Geduld unserer Patientinnen und Patienten sowie für den vielen positiven Zuspruch, den wir in den letzten Wochen aus der Bevölkerung und der Belegschaft erhalten haben.
  • Spital Einsiedeln
  • ameos
  • Fachkräftemangel
Artikel teilen

Loading

Comment

2 x pro Woche
Abonnieren Sie unseren Newsletter.

oder

Mehr zum Thema

image

Verschwendetes Potenzial: Der Preis der Bürokratie in den Spitälern

Könnte man den täglichen Papierkram in Medizin und Pflege um nur eine Stunde senken, so würde die Arbeitskraft von über 3000 Ärzten und 9000 Pflege-Profis frei. Eine Rechnung.

image

GZO Spital Wetzikon: Der 38-Stunden-Test geht weiter

Das neue Arbeitszeitmodell half, in der kritischen Phase des Spitals die Fluktuation zu stabilisieren.

image

Lohnerhöhungen? Die Luft ist dünn im Gesundheitswesen

Die Gehälter in der Branche dürften in den nächsten Monaten stagnieren – und sich damit unterduchschnittlich entwickeln. Dies besagt die neue Lohnerhebung der ETH.

image

Ärztemangel: Praxisgruppe Südland gibt auf

Ob auf dem Land, ob in der Grossstadt: Das Beispiel zeigt, wie sehr die Personalnot den Hausarzt-Praxen die Luft nimmt.

image

Chirurgie: Taskforce für bessere Arbeits-Bedingungen

Im Kanton Zürich spannen die Chirurgengesellschaft und der VSAO zusammen – quasi generationenübergreifend.

image
Gastbeitrag von Anton Widler

Physiotherapie: Eine Aktion gegen den Bewilligungs-Wildwuchs

Bei der Frage, ob bei den Gesundheitsberufen eine Berufsausübungs-Bewilligung nötig ist, gibt es grosse kantonale Abweichungen. Jetzt spielt die Physio-Branchen-Organisation SwissODP nicht mehr mit.

Vom gleichen Autor

image

Medizinprodukte: Swissmedic moniert Mängel in vielen Spitälern

Die Aufsichtsbehörde kontrollierte unter anderem Endoskopie und Instandhaltung – und fand so viele Probleme, dass sie jetzt die Überwachung intensiviert.

image

Thierry Carrel gründet Unternehmen: Carrel Cardio Consulting

Der ehemalige Chefarzt und Klinikleiter arbeitet nun als selbstständiger Chirurg mit Sprechstunden im Bern.

image

Wie die BAB-Vorschriften die Versorgung erschweren

Ambulant statt stationär? Was politisch gewollt ist, wird amtlich verhindert – dazu ein neues Beispiel aus dem Aargau.