«Die Tierversuche waren erfolgreich – jetzt fehlt der Nachweis beim Menschen»

Rocketvax entwickelt drei Impfstoffe gegen Sars-CoV-2. Vladimir Cmiljanovic verrät, weshalb er sich kein 4. Mal mit mRNA impfen lassen würde und erklärt, weshalb es sein Vakzin überhaupt noch braucht.

, 12. April 2023 um 05:52
image
Vladimir Cmiljanovic ist CEO des Basler Startups Rocketvax. | zvg
Im April 2021 sorgte Vladimir Cmiljanovic mit seinem neuartigen Covid-Impfstoff für Hoffnung. Wie der CEO des Basler Startups Rocketvax AG damals erklärte, wollte er mit RVX-13 die Pandemie beenden.
Im Vergleich zu den mRNA- und vektorbasierten Vakzinen sollte der Lebendimpfstoff der zweiten Generation eine stärkere Immunantwort, einen länger anhaltenden Schutz, eine breitere Wirksamkeit gegen Covid-Mutationen sowie weniger bis keine Nebenwirkungen bieten.
Eigentlich hätte das beschleunigte Verfahren für die Zulassung von RVX-13 Ende 2022/Anfang 2023 bei den entsprechenden Behörden eingereicht werden sollen. Allerdings schreitet die Entwicklung des Impfstoffs weniger schnell voran als geplant.
In der Zwischenzeit wurde das Portfolio mit den beiden Lebendimpfstoffen RVX-sCPD9 und RVX-OTS4578 erweitert; Ende 2022 konnte Cmiljanovic eine weitere Finanzierungsrunde für deren Entwicklung sichern.
In die Weiterentwicklung der Vakzine investieren neben privaten Personen, der Bund und Kantone sowie zahlreiche europäische Behörden. Über die Höhe der Entwicklungs- und Produktionskosten der Impfstoffe wollte Cmiljanovic keine Angaben machen.

Herr Cmiljanovic, die Pandemie ist längst beendet. Das BAG und die EKIF haben ihre Impfempfehlung angepasst, weil die zirkulierenden Omikron-Subvarianten nur noch milde Infektionen auslösen. Kommt Ihr Impfstoff nun doch zu spät, bzw. braucht es ihn überhaupt noch?

Wir sind davon überzeugt, dass es unseren Impfstoff dringend braucht. Im Moment haben wir das Virus unter Kontrolle, doch das kann sich schnell ändern. Es mutiert ständig und wird nach wie vor grosse Auswirkungen auf die Gesundheit der Weltbevölkerung haben.

Können Sie das konkretisieren?

Neben Post-Covid-Symptomen kann das Virus verschiedene chronische Erkrankungen wie zum Beispiel Herz-Kreislauf- oder chronische Atemwegserkrankungen auslösen. Neue Studien haben sogar aufgezeigt, dass Reinfektionen zu neurokognitiven Veränderungen führen und Demenz oder – wie das Epstein-Barr-Virus – Multiple Sklerose zur Folge haben können. Deshalb braucht die Welt einen besseren Impfstoff.

Einen Impfstoff, der besser ist als die mRNA-Vakzine, die bekanntlich ebenso Herzprobleme auslösen können.

mRNA-Vakzine können selten zu Herzproblemen führen oder auch selten Autoimmunerkrankungen auslösen, das ist inzwischen bewiesen. Leider gibt es kein Medikament ohne Nebenwirkungen. Die zugelassen Impfstoffe haben geholfen, dass nicht noch mehr Menschen sterben, dass wir die Wildtyp-Varianten besser ertragen und die Gesundheitsinstitutionen nicht noch mehr an den Anschlag kommen. Meine Familie und ich haben sich auch drei Mal mit einem mRNA-Vakzin impfen lassen. Einen neuen Booster als vierte Dosis würde ich mir aber nicht setzen lassen.

Weshalb würden Sie sich kein viertes Mal mit mRNA boostern lassen?

Ohne schlecht über den Impfstoff reden zu wollen – mRNA-Vakzine sind keine Multiwirkstoffe. Sie schützen weder vor einer Übertragung noch vor einer Ansteckung. Hinzu kommt, dass der Schutz lediglich drei bis sechs Monate anhält, was regelmässige Booster zur Folge hat. Der Druck, der dabei auf den Körper entsteht, wird einfach zu gross. Davor habe ich grossen Respekt. Deshalb warte ich auf unseren Impfstoff.

Unter der Federführung von Rocketvax entwickeln Forschende drei Impfstoffe in Form von Nasensprays mit drei verschiedenen Techniken. Weshalb hinkt die Entwicklung dem Zeitplan hinter her?

Die Forschenden arbeiten mit einem lebend-abgeschwächten Sars-CoV-2-Virus. Wir mussten zusätzliche Experimente machen, um die Behörden in Deutschland, Holland und der Schweiz zu überzeugen, dass unser Impfstoffvirus sicher ist. Es gelang uns, eine Hochsicherheitsstufe 3 Zertifizierung auf eine Hochsicherheitsstufe 2 herunterzubringen. Das bedeutet, dass das Rocketvax-Impfstoffvirus sicher ist und dass wir unter normalen Arbeitsbedingungen den Impfstoff herstellen können. Das wird die Kosten deutlich reduzieren.

Die Tierversuche waren offenbar erfolgreich. Welche der eingangs erwähnten Vorteile konnten inzwischen bestätigt werden?

Unsere drei Impfstoff-Kandidaten aktivieren die sogenannten T-Zellen, die eine starke und längerfristige Immunantwort des Körpers auslösen. Durch die nasale Applikation wird eine starke Immunität der Schleimhaut in den oberen Atemwegen induziert, wodurch ein hervorragender Schutz direkt an der Eintrittsstelle der virushaltigen Tröpfchen entsteht. Das bietet einen besseren und längeren Immunschutz sowie einen Schutz gegen Wildtyp-Viren und Virusmutationen. Auch die Übertragung des Virus scheint kein Thema mehr sein. Das alles konnten wir in den Tierversuchen mit Hamstern, Mäusen und Nerzen beweisen. Jetzt fehlt der Nachweis beim Menschen.

Können Sie schon sagen, wie die lange der Schutz genau anhalten wird und wie es hinsichtlich Nebenwirkungen aussieht?

Wir gehen davon aus, dass der Impfstoff kaum Nebenwirkungen haben wird. Wie lange der Schutz anhalten wird, können wir noch nicht ganz genau sagen. Aktuell sieht es nach einem saisonalen Wirkstoff aus.

Beim letzten Interview war der Impfstoff RVX-sCPD9 aus Berlin am meisten fortgeschritten. Wie ist der Stand der Dinge heute?

Alle drei Impfstoff-Kandidaten befinden sich in der präklinischen Phase. RVX-sCPD9 – entdeckt und weiterentwickelt von Dusan Kunec, Jakob Trimpert der Freien Universität Berlin und Volker Thiel von der Universität Bern – und RVX-OTS4578 – entdeckt und weiterentwickelt von Volker Thiel und seinem Team am Institut für Virologie und Immunologie und der Universität Bern – wurden inzwischen sehr erfolgreich in Tieren getestet. Am weitesten fortgeschritten und bereits in der Produktionsphase für die klinischen Studien im Menschen ist der Berliner Impfstoff RVX-sCPD9.

Wird es der erste Rocketvax-Impfstoff, RVX-13, auch in die klinische Phase I und II schaffen?

Wir wollen alle drei Impfstoffe in die klinische Phase I und II hereinbringen mit dem Ziel, den besten zu vermarkten. Wir werden während den klinischen Phasen I und II sehen, welcher sich bei gesunden Probanden und bei den immunkomprimierten Patientinnen am besten verhält. Bei immunokomprimierten Patienten handelt sich dabei um Krebs- und Transplantationspatienten, deren Immunsystem stark reduziert ist. Für diese Risikogruppe ist das Sars-CoV-2-Virus lebensbedrohlich.

Welchen Personengruppen werden Sie die Impfung empfehlen?

Seien es Personen mit Risikofaktoren, Personen ab 60 Jahren, Erwachsene, Jugendliche oder Kinder: wir empfehlen unseren Impfstoff allen Menschen. Wie eingangs gesagt, sind Reinfektionen mit Corona gefährlich und Post-Covid-Effekte ebenso. Hinzu kommt, dass wir nicht voraussehen können, wie gefährlich künftige Sars-CoV-2-Mutationen sein werden. Deshalb müssen wir das Virus weltweit in den Griff bekommen und Mutationen verhindern, auch in Ländern wie Afrika, Asien oder Lateinamerika.

Wie sieht der aktuelle Zeitplan aus?

Wir wollen Ende 2023 mit den klinischen Phasen I und II starten. Diese werden etwa ein halbes Jahr Zeit in Anspruch nehmen. Sobald Phase II abgeschlossen ist und wir die Wirksamkeit am Menschen bewiesen haben, werden wir weltweit bei den entsprechenden Behörden Gesuche für ein beschleunigtes Verfahren einreichen. Nach der angestrebten bedingten Zulassung werden wir wie Moderna und Biontech parallel mit der klinischen Phase III weitermachen. Der Impfstoff soll 2024 auf den Markt kommen. Wir führen bereits Gespräche mit den europäischen Behörden.

Die klinische Phase III ist besonders wichtig und bedingt, dass das Medikament an einer grösseren Gruppe von Personen verabreicht werden muss, um die Wirksamkeit aber auch Nebenwirkungen zu überwachen. Nochmals: Begeben wir uns wie bei den mRNA-Vakzinen auf ein unsicheres Feld mit unverhofften und gefährlichen Nebenwirkungen?

Die ersten drei Dosen von mRNA-Impfungen gegen Covid wurden weltweit in Millionen von Menschen getestet. Deshalb haben wir die Nebenwirkungen gut studieren können. Weitere Analysen der klinischen Studien sind notwendig, um die Nebenwirkungen noch genauer zu definieren und wie wir diese verbessern können.

Gibt es eigentlich eine Konkurrenz?

Ja, es gibt eine amerikanische Firma Codagenix aus New York mit ähnlichen Ansätzen wie Rocketvax. Wir werden jedoch alles daran setzen, um so schnell wie möglich auf den Markt zu kommen. Wie gesagt, die Welt braucht dringend einen besseren Impfstoff.

Zur Person

Vladimir Cmiljanovic ist Biotech-Unternehmer, Krebswissenschaftler und medizinischer Chemiker mit über 15 Jahren Erfahrung in der Entwicklung von Onkologie-Medikamenten.
Der 42-Jährige ist Co-Autor zahlreicher wissenschaftlicher Artikel und Abstracts sowie Erfinder von fünf Patentfamilien mit mehr als 500 registrierten Patenten. Seine Expertise und unternehmerischen Leistungen wurden mit zahlreichen Preisen gewürdigt, darunter der Nikola Tesla Award (2021).
Als Gründer der Swiss Rockets AG leitet er heute den Biotech-Inkubator und Accelerator für Start-up-Unternehmen. 2021 erwarb er Piqur AG und gründete die Torqur AG, um mitunter die unabhängige Entwicklung des Krebs-Medikament Bimiralisib fortzusetzen.
Das Schweizer Biotech-Startup Rocketvax mit Sitz in Basel wurde 2020 ins Leben gerufen. Das Unternehmen vereint sowohl wissenschaftliche als auch operative Expertise verschiedener Institutionen in der Schweiz und in Deutschland und hat sich zum Ziel gesetzt, ein weltweit führendes Kompetenzzentrum für die Entwicklung neuartiger Impfstoffe zu werden.
Der ehemalige Profi-Handballer und Nationalspieler für Serbien ist verheiratet und hat vier Kinder.
w
  • medikamente
  • impfstoff
  • Corona
  • rocketvax
Artikel teilen

Loading

Comment

2 x pro Woche
Abonnieren Sie unseren Newsletter.

oder

Mehr zum Thema

image

Polymedikation: Grosse Unterschiede zwischen den Heimen

Rund 50’000 Menschen erhalten in den Schweizer Pflegeheimen mehr als 9 Wirkstoffe pro Woche.

image

Neuer Lonza-Chef kommt vom kleinen Hersteller Siegfried

Der neue Chef von Lonza heisst Wolfgang Wienand. Er löst den Interims-Chef Albert Baehny ab.

image
Der Ticker

Schritte und Fortschritte im Gesundheitswesen

Spital Grabs: Knieersatz mit Roboter ++ USA: Abnehmspritze für Herz-Kreislauf-Risiken ++ Reha Tschugg mit neuer Privatstation ++ Reha Bellikon eröffnet Neubau ++ Neues Brustzentrum im Bernbiet ++ So sieht das neue Spital fürs Tessin aus ++

image

Krebsliga will keine Geheimpreise mehr bei Medikamenten

Ausgerechnet die Krebsliga ist dagegen: Der Bundesrat soll künftig keine vertraulichen Rabatte mehr mit der Pharmaindustrie vereinbaren.

image

Fencheltee im Visier von Swissmedic

Das Heilmittelinstitut rät Schwangeren, Säuglingen und Kindern unter 4 Jahren von einer Einnahme ab. Das in Fencheltee enthaltene Estragol könnte die Gesundheit schädigen.

image

Viele neue Krebs-Medikamente haben wenig Nutzen

Besonders enttäuschend erscheinen dabei die Wirkstoffe, die in Europa nach einem beschleunigten Verfahren zugelassen wurden.

Vom gleichen Autor

image

Kinderspital verschärft seinen Ton in Sachen Rad-WM

Das Kinderspital ist grundsätzlich verhandlungsbereit. Gibt es keine Änderungen will der Stiftungsratspräsident den Rekurs weiterziehen. Damit droht der Rad-WM das Aus.

image

Das WEF rechnet mit Umwälzungen in einem Viertel aller Jobs

Innerhalb von fünf Jahren sollen 69 Millionen neue Jobs in den Bereichen Gesundheit, Medien oder Bildung entstehen – aber 83 Millionen sollen verschwinden.

image

Das Kantonsspital Obwalden soll eine Tochter der Luks Gruppe werden

Das Kantonsspital Obwalden und die Luks Gruppe streben einen Spitalverbund an. Mit einer Absichtserklärung wurden die Rahmenbedingungen für eine künftige Verbundlösung geschaffen.