Es war eigentlich zu erwarten. In der vergangenen Woche kündigte die CSS die bestehenden Verträge mit den Leistungserbringern beziehungsweise Programm-Organisationen, welche in den einzelnen Kantonen die Brustkrebs-Früherkennung sicherstellen. Die Kassen-Organisation Tarifsuisse wiederum signalisierte, dass sie die bestehenden Verträge im Bereich Mammographie-Screening prüft, da sie ohnehin ihre Gültigkeit verlieren – und dass mit der Einführung des neuen Systems 2026 Anpassungen notwendig sein werden.
In den folgenden Tagen und Stunden setzte es dann weitere Kündigungen. Denn die einschlägigen Organisationen, die in den Kantonen die Screening-Programme sicherstellen, stehen nun vor dem Dilemma: Sie sehen sich gezwungen, sicherheitshalber ihre eigenen Verträge zu beenden – ob mit den Kantonen oder mit den radiologischen Leistungserbringern. Denn angesichts eines drohenden Rückschlags bei den Einnahmen wollen sie die Verantwortung nicht weiter tragen.
Es geht um 96 Franken. Um so viel tiefer fällt die Kassenleistung womöglich aus, wenn sich eine Frau ab Januar 2026 zu einer Mammographie-Vorsorgeuntersuchung begibt. Wurde die radiologische Arbeit bislang mit 169 Franken vergütet, so dürfte die Bezahlung laut den neuen Tardoc-Tarifen bei 73 Franken liegen.
Wann ist kostenneutral zu teuer?
Dahinter steht die politische Grundidee, dass der Wechsel zum neuen System die Grundversorger besser stellen soll, aber zugleich kostenneutral erfolgen muss: Folglich sollten die Leistungen von Spezialärzten tiefer vergütet werden – also beispielsweise die Leistungen der Radiologen.
Für die Radiologengesellschaft SGR SSR ist klar, dass sich das nicht rechnen kann und wird. Sie beziffert die betriebswirtschaftlichen Kosten solch einer Mammographie-Untersuchung bei 220 bis 240 Franken; es entsteht also eine Deckungslücke von mindestens 150 Franken. «Ich bin ganz froh, dass ich keinen Vertrag für solch ein Screening-Programm habe», kommentiert der Leiter eines mittelgrossen Radiologieinstituts die Entwicklung.
Kurz: Die Früherkennungsprogramme für Brustkrebs sehen sich akut bedroht. Dazu haben die Krebsliga und Swiss Cancer Screening am Montag ein Warn-Communiqué veröffentlicht: «Schon heute ist es in einzelnen Regionen schwierig, genügend Radiologie-Institute für die Umsetzung von Früherkennungsprogrammen zu finden.» Tardoc gefährde nun die Mammografie-Screening-Programme vollends und drohe eine eine langjährige Aufbauarbeit zunichte zu machen.
Brustkrebs-Früherkennungsprogramme in der Schweiz, Stand Juni 2025 | Grafik: SCS
Zugleich warnen Krebsliga und SCS auch vor Lücken bei der Darmkrebsprävention. Sie fordern allgemein «kostendeckende Tarife und gleiche Rahmenbedingungen für Früherkennungsuntersuchungen innerhalb und ausserhalb von Programmen.»
Eine Tarifsenkung würde die Programme zusätzlich schwächen, befinden die Organisationen, «insbesondere gegenüber opportunistischen Untersuchungen, deren Tarife mit TARDOC deutlich höher angesetzt sind.» Letztlich wären zentrale Stärken der organisierten Programme bedroht, insbesondere Qualitätskontrolle und Zugangsgerechtigkeit – «mit potenziell höheren Gesamtkosten für das Gesundheitssystem.»
Jetzt eilt es
Auf jeden Fall wird die Sache nun dringlich. Bis Ende Jahr müssen sich die Anbieter mit den Kassen auf einen Satz einigen, der das Angebot weiterhin sichert – wobei die Krankenkassen durch die jüngsten Schritte signalisiert haben, dass sie den Ist-Zustand kaum fortführen wollen.
Tarifsuisse teilt beispielsweise mit, dass man die Verträge im Bereich Mammographie-Screening per Ende 2025 nicht gekündigt habe – die zusammengeschlossenen Versicherer zeigten damit auch, «wie wertvoll die Mammographie-Screening-Angebote der Kantone sind. Die tarifsuisse ag unterstützt diese Angebote weiterhin. Es ist aber klar, dass mit der geplanten Einführung des ambulanten Arzttarifs per 1.1.2026 Anpassungen notwendig sein werden.»
Was also tun? Zum einen könnten öffentliche Einrichtungen in die Bresche springen und private Radiologie-Firmen ersetzen; dies würde aber zu längeren Wartezeiten führen. Zum anderen wären flächendeckend ergänzende Ansätze denkbar: Schon jetzt werden die Brustkrebs-Screenings in bestimmten Kantonen mit Pauschalen vergütet, die in kantonalen Tarifverträgen ausgehandelt wurden. «Uns ist die Prävention in verschiedenen Bereichen ein Anliegen und aus diesem Grund sind wir offen für Vorschläge», meint etwa die CSS: «Diese erwarten wir von den Kantonen, da sie die Regeln in den jeweiligen Kantonen bestimmen und die Verträge dazu aushandeln.»
Und schliesslich geistert die Idee herum, dereinst auf die Doppelbefundung durch zwei Ärzte zu verzichten und verstärkt KI als Kontroll-Instanz einzusetzen. Aber das wäre allenfalls eine mittel- oder langfristige Lösung.
Der Bundesrat, der die Tardoc-Sätze bewilligt hatte, widersprach all jenen Warnungen bereits vor einem Jahr: Die Vergütung einer Mammografie-Untersuchung verschlechtere sich nicht allzu arg. Ein direkter Vergleich Tarmed und Tardoc zeichne ein falsches Bild, da sich die Tarifpositionen nicht 1:1 von einer Struktur auf die andere übertragen lassen,
antwortete die Landesregierung auf eine Interpellation der Nationalrätin (und Ärztin) Brigitte Crottaz. Andererseits würden bestimmte Leistungen in der Radiologie heute zu hoch vergütet: «Diese Überbewertung ist vor allem auf den medizinisch-technischen Fortschritt seit der Einführung von Tarmed im Jahr 2004 zurückzuführen.»
Die Radiologengesellschaft SGR-SSR konzedierte, dass man in der Mammographie durchaus qualitative Fortschritte erzielt habe: «Es gab jedoch keine effizienzsteigernden resp. beschleunigenden Innovationen. Die Untersuchungen dauern somit unverändert lange und nehmen zwischenzeitlich mehr Zeit für die Befundung in Anspruch. Dies nicht zuletzt aufgrund ausufernden administrativen Vorgaben».