Der Preis des Erfolgs: Ein Kleinspital im Überlebenskampf

Der Pôle Santé Vallée de Joux galt als Musterfall der integrierten Versorgung. Nun muss die Organisation massiv sparen, eine Spitalschliessung droht. Was sind die Folgen? Das Interview (Teil 1).

, 22. Juli 2025 um 03:00
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Das Vallée de Joux im Kanton Waadt | Bild: DR
Die Botschaft kam mitten in der Sommerpause: Die Kantonsregierung der Waadt will bei den Spitälern ab nächstem Jahr rund 20 Millionen Franken einsparen. Zu den am stärksten betroffenen Einrichtungen gehört der Pôle Santé Vallée de Joux. Die Gesundheitsorganisation betreibt im abgelegenen Jura-Tal unter anderem ein kleines Spital.
Nun sieht sie sich womöglich gezwungen, die stationären Angebote zu streichen und auch bei den ambulanten Aktivitäten abzubauen.
Dazu ein Treffen mit zwei Verantwortlichen: Pascale Meylan, Generaldirektorin, und Surennaidoo Naiken, medizinischer Direktor und Chefarzt der Chirurgie. Beide kritisieren, dass die harte Entscheidung ohne Absprache getroffen wurde. Und sie warnen, dass die Kürzungen schwerwiegende Folgen für die Region haben könnten.
Frau Meylan, Herr Naiken: Welche Details hat der Staatsrat über Ihre Einrichtung mitgeteilt?
Surennaidoo Naiken: Eine Kürzung um 10'000 Franken mehr als ohnehin schon angesagt worden war. Wir sollen also 3'010'000 Franken weniger erhalten. Sie sagen auch, dass sie sich bewusst sind, dass dies Auswirkungen auf uns haben wird, und erwähnen insbesondere, dass diese Massnahmen eine Einstellung der stationären und ambulanten Aktivitäten bedeuten können. Sie formulieren es so: Das Ausmass dieser Kürzungen würde unsere Aufgaben grundlegend in Frage stellen, und es wäre «unerlässlich», dass wir Umstrukturierungen ergreifen – einschliesslich dem Stopp bei stationären und ambulanten Tätigkeiten.

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Pascale Meylan ist seit der Gründung Generaldirektorin des Pôle Santé Vallée de Joux; davor arbeitete sie im Management des CHUV. Surennaidoo Naiken ist Facharzt für Allgemeinchirurgie und Viszerale Chirurgie und Medizinischer Leiter des Pôle.
Der 2018 gegründete Pôle Santé Vallée de Joux bietet ein integriertes und in der Region einzigartiges Angebot: ein Spital, ein Alters- und Pflegeheim und eine Spitex-Organisation. Darüber hinaus offeriert er Leistungen in der Akut- und präklinischen Versorgung – inklusive eines 24-Stunden-Notfalldienstes und eines Operationssaals – sowie ambulante Pflegeleistungen. Der Pôle beschäftigt heute 250 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Pascale Meylan: Wir sind aufgefordert, bis Mitte September einen Massnahmenplan vorzulegen. Sie können sich vorstellen, dass diese Ankündigung – ohne vorherige Diskussion – in dieser Form nicht akzeptabel ist. Für alle Institutionen, die besonders betroffen sind, ist das ein Schock.
Werden Sie sich bis September mit dem Gesundheitsdepartement austauschen können?
Meylan: Wir hoffen, dass wir vorher mit der Gesundheitsdirektion sprechen können – das ist in der Tat notwendig, wenn wir einen Massnahmenplan ausarbeiten sollen. Im Übrigen hätten wir zumindest gehofft, vor den Entscheidung diskutieren zu können. Das ist nicht geschehen. Die Form ist wirklich auch eine Botschaft.
«Versuchen Sie einmal, das Gesundheitsamt anzurufen und einen Ansprechpartner zu finden: Die meisten sind im Urlaub.»
Naiken: Wir bedauern die Art und Weise, wie das gemacht wurde. Versuchen Sie einmal, das Gesundheitsamt anzurufen und versuchen Sie, einen Ansprechpartner zu finden: die meisten sind im Urlaub. Das ist auch das Problem. Sie haben das nicht nur gleichzeitig an alle Einrichtungen geschickt, sondern auch noch mitten in der Sommerzeit.
Wurden diese Entscheidungen also einseitig getroffen?
Meylan: Ja, und das ist bedauerlich. Die Entscheide fielen ohne eine Bewertung der Auswirkungen auf die Institution, die Region und das Personal. Es geht um die Kontinuität der Pflege und die Erfüllung unserer Aufgaben.
«Sie wissen, dass es im Gesundheitssystem in der Westschweiz wie der Deutschschweiz nur sehr wenige Einrichtungen gibt, die finanziell ausgeglichen sind. Das heisst, das System ist auch an einen Endpunkt gelangt.»
Naiken: Und Sie können sich vorstellen, wie sich das auf die Angestellten und die Bevölkerung auswirkt. Das ist katastrophal. Die Leute verstehen es nicht: Der Pôle Santé wurde vor fünf Jahren auf Anregung und mit Unterstützung des Kantons in Betrieb genommen. Die Bevölkerung schenkt uns heute volles Vertrauen in unsere Aufgaben und Leistungen. In der Öffentlichkeit stösst das überwiegend auf Unverständnis.
Hatten Sie zuvor Warnsignale erhalten?
Meylan: Es war bekannt, dass es Ankündigungen für das Jahr 2026 geben würde, aber nicht in diesem Ausmaß.
Naiken: Sie wissen, dass es im Gesundheitssystem in der Westschweiz und sogar in der Deutschschweiz nur sehr wenige Einrichtungen gibt, die finanziell ausgeglichen sind. Das heisst, das System ist auch an einen Endpunkt gelangt. Wir sind etwas ratlos, weil es seit 2018 einen Lenkungsausschuss mit den drei Gemeinden des Tals und dem Staat gab. Man kannte auch das Einzugsgebiet. Es war ein Risiko, das man damals auch eingehen wollte, indem man versprach, die Aufgaben nicht anzutasten. Wir haben im Rahmen der Spitalplanung viel Arbeit geleistet. Auch hier bewilligte man uns das Basispaket – die Notaufnahme, den Operationssaal, alles. Und heute habe ich das Gefühl, dass wir den Preis dafür zahlen, dass wir ein guter Schüler sind.
Sie zahlen den Preis dafür, ein guter Schüler zu sein? Was bedeutet das?
Naiken: Jetzt heisst es: «Ihr habt nicht genug Spitalaufenthalte». Aber wir sind anders als andere Krankenhäuser.
«Alle Ärzte der Region sind in diesem Zentrum tätig. Das ist ein echtes Konzept der integrierten Versorgung. Wir haben es klar gezeigt und wurden dafür auch gelobt.»
Wir haben einerseits die Akutversorgung, die Notaufnahme und alles, was zu einem Krankenhaus gehört. Aber unter dem gleichen Dach bieten wir auch Langzeitpflege, Spitex oder Sozialdienste: Alle Ärzte der Region sind in diesem Zentrum tätig. Das ist ein echtes Konzept der integrierten Versorgung. Unsere Betreuung steht in direktem Zusammenhang mit der kantonalen Politik der Pflege daheim.
Wie wirkt sich das konkret auf Ihren Pflegeansatz aus?
Naiken: Wenn Sie sich alle Indikatoren ansehen und mit anderen Einrichtungen vergleichen, sehen Sie es. Viel präklinische Arbeit übernehmen bei uns dieselben Ärzte, welche die Patienten auch in der Praxis betreuen. Dank einer verstärkten Zusammenarbeit gelingt es, Patienten zu Hause zu behalten. Das bedeutet weniger Ausgaben für das Gesundheitssystem – und auf der anderen Seite auch weniger Gewinn für uns. Man muss einfach wissen, was man will.
«Dank einer verstärkten Zusammenarbeit gelingt es, Patienten zu Hause zu behalten. Das bedeutet weniger Ausgaben für das Gesundheitssystem – und auf der anderen Seite auch weniger Gewinn für uns.»
Parallel dazu werden bei uns mehr ambulante Eingriffe durchgeführt als in anderen Einrichtungen, weil wir in der integrierten Versorgung ein ganzes Gemeinschaftsdispositiv in Zusammenarbeit mit dem behandelnden Arzt und/oder den Teams des amulanten Zentrums haben. All das kostet weniger Geld. Wenn wir wie ein Unternehmen wirtschaften wollten, würden wir alle stationär ins Spital einweisen: Das wäre viel teurer, aber wir würden als Einrichtung schwarze Zahlen schreiben. Sehen Sie, was ich meine? Wir haben uns wirklich auf die ambulante Versorgung eingestellt, die auch vom Kanton gewollt war.
Werden Ihre Bemühungen in dieser Richtung anerkannt?
Naiken: Im Allgemeinen haben wir ein Gefühl der Ungerechtigkeit: Wir haben die Politik der «Quasi-Hospitalisierung» daheim und die ambulante Wende gefördert. Schauen Sie sich das Alter der Menschen an, die in unser Pflegeheim kommen: Die Leute gelangen viel später hierher als in anderen Heimen. Und dahinter steht das gesamte Gemeinschaftssystem, das wir aufgebaut haben. Aber das ist leider nicht greifbar: Es scheint in den Excel-Tabellen der Gesundheitsbehörde nicht sichtbar zu sein. Wir fordern die Leute auf, sich wirklich einmal die Realität vor Ort anzusehen.
Also sollten bestimmte Kriterien in Bewertung durch das Gesundheitsdepartement stärker berücksichtigt werden?
Naiken: Das ist offensichtlich. Eine andere Sache ist, dass wir geografisch weit entfernt sind. Das Vallée de Joux ist 45 Minuten vom nächsten Spital entfernt. Im Winter gibt es schneebedeckte Strassen: Unter diesen Bedingungen schaffen Sie die 45 Minuten nicht. Wenn ich Sie heute bitte, nach Yverdon zu fahren, werden Sie mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zwei bis zweieinhalb Stunden brauchen. Für jene Menschen, die aus verschiedenen Gründen nicht Auto fahren, ist das ein organisatorischer Aufwand.
«Das Vallée de Joux ist 45 Minuten vom nächsten Krankenhaus entfernt. Im Winter gibt es schneebedeckte Strassen, unter diesen Bedingungen sind die 45 Minuten nicht zu schaffen.»
Es wird auch nicht genug über das Risiko gesprochen, dass wegen der Entfernung auf medizinische Versorgung verzichtet wird. Immer weniger Menschen nehmen Darm- oder Hautkrebsscreenings in Anspruch, da diese mit einem grossen organisatorischen Aufwand verbunden sind. Daher ist es wichtig, eine Einrichtung in der Nähe zu haben.
  • Fortsetzung: «Schliessung bedeutet: ein Ausbildungsstandort weniger» – Pascale Meyland und Surennaidoo Naiken zu den Folgen einer Spitalschliessung für Bildung, Personal, Region.

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