Wann ist der Blutdruck zu hoch?

Im November 2015 ist in den USA eine viel beachtete Studie zum Bluthochdruck erschienen – die Sprint-Studie. Sie erhitzt auch heute noch die Gemüter.

, 29. April 2018 um 12:56
image
  • forschung
  • bluthochdruck
Ein Blutdruck unter 140 und unter 90 gilt als normal. So steht es in den Leitlinien der Schweizerischen Gesellschaft für Hypertonie. Doch gemäss amerikanischen Fachärztegesellschaften gelten bereits Werte über 130 und 80 Millimeter Quecksilber als zu hoch. Das ist soweit bekannt.
Nun zitiert die «Sonntagszeitung» australische Gesundheitswissenschafter, welche die Empfehlungen der Amerikaner ebenfalls als problematisch betrachten. Die Ausweitung der Krankheitsdefinition führe dazu, dass immer mehr Menschen mit dem Etikett leben müssten, nicht gesund zu sein, auch wenn sie nur ein geringes Risiko auswiesen, schrieben sie im Fachmagazin «Jama Internal Medicine». Die Australier sind nicht die ersten, die an der US-Studie vom November 2015 Kritik äussern. 

Erhöhtes Risiko für Depressionen

Mit zu hohem Blutdruck abgestempelt zu werden, erhöhe zudem das Risiko für Ängste und Depressionen. Das sei nachgewiesen. So führten die neuen Grenzwerte dazu, dass 46 statt wie bisher 32 Prozent aller Erwachsenen einen zu hohen Blutdruck aufwiesen.
Nicht zu vergessen seien auch die starken Nebenwirkungen als Folge der Senkung des Blutdrucks. Neben Nierenversagen könnten forcierte Therapien zu Ohnmacht und Stürzen führen. «Da im Alter häufig Blutdrucksenker verschrieben werden, sind Frakturen des Oberschenkels eine grosse Gefahr, weil manche Patienten nach einem Sturz dauerhaft bettlägerig bleiben», so die SonntagsZeitung.

Kritik an der Methodik

Zitiert im Artikel wird auch Andreas Schönenberger, seit dem 1. April 2015 Chefarzt Geriatrie im Tiefenau-Spital, das zur Insel-Gruppe gehört. Auch er übt Kritik an den neuen Leitlinien der US-Fachgesellschaften. Er zweifelt grundsätzlich an der Methodik der von den Amerikanern erstellten so genannten Sprint-Studie, da nur die Werte relativ gesunder Senioren gemessen wurden. «Je nach den Umständen muss man den Blutdruck nicht bei allen Patienten gleich aggressiv senken», wird Schönenberger zitiert.
Der Geriater vom Tiefenau-Spital befindet sich damit in bester Gesellschaft: Am 30. August 2016 publizierte «Medscape» einen Artikel, wonach Professor Sverre Erik Kjeldsen von der Universität Oslo am Europäischen Kardiologenkongress in Rom der zweifelhaften Studie eine Absage erteilte. Die Ereignisse seien aufgrund einer unüblichen Messmethode falsch interpretiert worden. Doch die Art und Weise, wie sie an die Öffentlichkeit gelangt seien, sei unethisch und gefährde vielleicht sogar Menschenleben. «Ihretwegen die Leitlinien auf niedrigere Zielwerte zu ändern, wäre geradezu fahrlässig.»
Artikel teilen

Loading

Comment

2 x pro Woche
Abonnieren Sie unseren Newsletter.

oder

Mehr zum Thema

image

Seltene Krankheiten: «Oft spürt die Mutter, dass etwas nicht in Ordnung ist»

Wird dereinst das gesamte Genom des Neugeborenen routinemässig auf Krankheiten untersucht? In manchen Ländern wird das schon getestet, sagt Stoffwechselspezialist Matthias Baumgartner.

image

Schweizer Hoffnung in der Krebsmedizin

Ein neues Medikament gegen das unheilbare Glioblastom schafft Hoffnung: bei manchen Patienten schrumpfte der Tumor um bis zu 90 Prozent.

image

Einseitige Impfung wirksamer? Studie wirft neues Licht auf Impfstrategien

Eine neue Studie kommt zu überraschenden Ergebnissen: Mehrfachimpfungen im selben Arm bieten einen besseren Schutz.

image

Epilepsie: Neue Folsäure-Empfehlung für Schwangere soll Krebsrisiko senken

Die Schweizerische Epilepsie-Liga empfiehlt, die tägliche Folsäure-Dosis von bisher vier bis fünf auf ein bis drei Milligramm zu reduzieren.

image

Brustkrebs-Screening im Alter birgt Risiko von Überdiagnosen

Eine Studie der Yale Medical School zeigt: Bei Frauen ab 70 Jahren, die eine Mammographien erhielten, wurden häufiger gesundheitlich unbedenkliche Tumore diagnostiziert als bei Frauen, die nicht an der Früherkennung teilnahmen.

image

Aargau will Med- und Health-Tech auf neues Niveau heben

Mit einem Projekt setzen das Kantonsspital Baden, die Stadt Baden und der Kanton Aargau neue Impulse für Innovationen in Medizin und Gesundheitstechnologie.

Vom gleichen Autor

image

«Genau: Das Kostenwachstum ist kein Problem»

Für FMH-Präsidentin Yvonne Gilli ist klar: Es braucht Kostenbewusstsein im Gesundheitswesen. Aber es braucht keine Kostenbremse-Initiative.

image

«Kein Mensch will Rationierungen»

Für Santésuisse-Präsident Martin Landolt würde die Kostenbremse-Initiative nicht zu Qualitätsverlust führen. Solange die Bundespolitik ihre Hausaufgaben macht.

image

«Die Spitäler sind selber schuld»

Santésuisse-Präsident Martin Landolt über defizitäre Spitäler, den Tardoc-Streit, ambulante Pauschalen und unnatürliche Kooperationen.