Schluss mit dem Vertragszwang: Die Krankenkassen machen ernst

Der Verband Santésuisse präsentiert ein Paket zur Senkung der Prämienkosten. Der Zulassungsstopp soll dabei endgültig beerdigt werden.

, 18. Januar 2016 um 16:28
image
Was tun nach dem Stopp des Zulassungsstopps? Der Krankenkassenverband Santésuisse – bekanntlich kein Freund der Ärztebeschränkung – hat sich an diesem Montag mit konkreten Vorschlägen zu Wort gemeldet.
Das Paket aus Solothurn ist unterteilt in kurzfristige und längerfristige Massnahmen. 

  • Kurzfristig seien Anpassungen der kantonalen Taxpunktwerte bei bestimmten Facharztrichtungen der gangbare und rasche Weg.
  • Langfristig müsse unter anderem die Lockerung des Vertragszwangs diskutiert werden – «nach klaren Kriterien», so das Argument der grössten Krankenkassen-Organisation.

Zugleich wendet sich Santésuisse erneut gegen eine Zulassungssteuerung für Ärzte – und zwar auch nur als Übergangslösung. 
Santésuisse legt dazu Daten vor, die in direktem Widerspruch stehen zu Aussagen, welche Gesundheitsminister Alain Berset gemacht hatte, aber auch Gesundheitsdirektoren wie der Waadtländer Pierre-Yves Maillard oder der Tessiner Paolo Beltraminelli.

Vergleich zweier Kantons-Gruppen

Diese erinnerten an die vorübergehende Aufhebung des Zulassungsstopps 2012/2013 – und dass damals hunderte neue Ärzte eine Praxis eröffneten, mehrheitlich Spezialisten. Maillard rechnete zum Beispiel für seinen Kanton vor, dass die zusätzlichen Mediziner damals alleine im Waadtland Mehrkosten von rund 100 Millionen Franken verursachten.
Santésuisse vergleicht nun ihrerseits jene 18 Kantone, die in den vergangenen Jahren einen Zulassungsstopp verfügten, mit jenen 8 Kantonen, die darauf verzichteten. Es geht dabei um den Zeitraum 2010 bis 2014. Und hier rechnet der Kassenverband vor, dass die Kosten in der obligatorischen Versicherung in keiner Gruppe abwichen; oder anders: Die Kantone mit Zulassungsstopp konnten auch keine signifikant grösseren Kostensenkungen ausweisen.
image
Kostenwachstum in der Grundversicherung 2010 bis 2014: Kantone mit und ohne Zulassungsstopp (Quelle: Santésuisse)
«Unabhängig von einer Zulassungssteuerung kommen in allen Kantonen bei den ambulanten Arztleistungen grosse, mittlere und eher moderate Kostensteigerungen vor», rechnet Santésuisse vor.
Santésuisse will denn – wie es seit längerem die Politik des Verbandes ist – eher auf liberale Prinzipien setzen. Als rasches Mittel, um Druck auf die Kosten zu machen, ohne junge Ärzte zu benachteiligen, werden denn facharztspezifische Taxpunktwertsenkungen empfohlen.

Senkung «nach klaren Kriterien»

Das heisst konkret: Die kantonalen Taxpunktwerte sollen facharztspezifisch betrachtet werden – und dann seien sie bei einem Überangebot für eine bestimmte Facharztrichtung nach klaren Kriterien zu senken. 


Der Vorteil: Dieses Vorgehen sei sofort umsetzbar und wirksam. Im Hintergrund steht, dass nach der spontanen Beendigung des Zulassungsstopps durch den Nationalrat vor Weihnachten vielerorts die Befürchtung herrscht, dass wir in einen unregulierten Zustand schlittern – mit massiven Kostenfolgen. Mehrere Vertreter in der Gesundheitskommission des Nationalrats prüfen daher dieser Tagen, ob ein weiteres Moratorium doch noch kurzfristig eingebracht und durchgesetzt werden könnte, gültig bis 2019.

Lockerung ja, aber nach transparenten Kriterien

Die Santésuisse-Idee der tieferen Taxpunktwerte hat auf den ersten Blick auch einen Pferdefuss: Bekanntlich reagieren die Spezialärzte auf die tieferen Honorare mit einer Mengenausweitung – so dass die Kosten am Ende auch wieder höher sind. Darauf geht auch der Kassenverband ein: Santésuisse attestiert, dass in Kantonen mit hohen Kosten und ärztlichem Überangebot Korrekturen der Taxpunktwerte nicht genügen.
Und so gehört eine weitere Forderung zum Paket: Es brauche, so Santésuisse, längerfristig die Lockerung des Vertragszwangs. Diese müsse einfach nach transparenten Kriterien erfolgen – und dabei insbesondere Qualitätskriterien. 
In der Mitteilung zum Paket erinnert der Verband daran, dass Santésuisse-Präsident Heinz Brand (SVP) im Dezember einen Vorstoss eingereicht hat: Er verlangt vom Bundesrat, bis spätestens Mitte 2017 einen Bericht und Masterplan für die langfristige Finanzierbarkeit der Krankenpflegeversicherung vorzulegen – mit Schlagseite in Richtung auf eine «Stärkung der Eigenverantwortung in Berücksichtigung der solidarischen Grundkonzeption der OKP».
Artikel teilen

Loading

Comment

2 x pro Woche
Abonnieren Sie unseren Newsletter.

oder

Mehr zum Thema

image

Deutsche Apotheker empört wegen Karl Lauterbachs Gender-Vorschlag

In Deutschland soll der Warnhinweis bei der Medikamentenwerbung geschlechtergerecht formuliert werden. Der Vorschlag des Bundesgesundheitsministers stösst aber auf harsche Kritik.

image

Spitalkrise: Die GDK stellt sich hinter Hplus und übt Druck auf Alain Berset aus

Die Spitäler fordern eine Erhöhung der Tarife um 5 Prozent. In einem Schreiben an Gesundheitsminister Alain Berset verleihen die kantonalen Gesundheitsdirektorinnen und -direktoren dem Anliegen Nachdruck.

image

Keine IPS-Plätze mehr für Neugeborene – das Kantonsspital Graubünden wehrt sich dagegen

Auch Behandlungen für krebskranke Kinder sollen am KSGR gestrichen werden. Gegen die geplanten Massnahmen des interkantonalen Gremiums regt sich nun Widerstand.

image

Der Verein Pflegedurchbruch versucht es nochmals

Um ein Haar hätte sich der Verein Pflegedurchbruch aufgelöst – gescheitert am Ziel, dem Pflegepersonal schneller zu helfen.

image

Dachverband FMCH kritisiert Zulassungsstopp für Fachärzte scharf

Für die FMCH, der Dachverband von 8000 Spezialärztinnen und -ärzten, hat die Politik einen folgenschweren Grundsatzentscheid gefällt. Nun wendet er sich an die GDK.

image

Die Ostschweizer Spitalplanung steht vor dem Aus

Sechs Kantone wollten bei der Spitalplanung zusammenspannen. Nun ist ihr Vorhaben gescheitert, weil sich die Hälfte der Kantone verabschiedet hat.

Vom gleichen Autor

image

Brust-Zentrum Zürich geht an belgische Investment-Holding

Kennen Sie Affidea? Der Healthcare-Konzern expandiert rasant. Jetzt auch in der Deutschschweiz. Mit 320 Zentren in 15 Ländern beschäftigt er über 7000 Ärzte.

image

Wer will bei den Helios-Kliniken einsteigen?

Der deutsche Healthcare-Konzern Fresenius sucht offenbar Interessenten für den Privatspital-Riesen Helios.

image

Deutschland: Investment-Firmen schlucken hunderte Arztpraxen

Medizin wird zur Spielwiese für internationale Fonds-Gesellschaften. Ärzte fürchten, dass sie zu Zulieferern degradiert werden.