SVAR-Spital Heiden: «Illusion» – «Sterben auf Raten»

Ex-Chefarzt Harold Seiler und Gesundheitsökonom Willy Oggier analysierten die Entwicklung ums Spital Heiden. Beide kritisieren Regierungs- und Verwaltungsrat heftig.

, 5. Januar 2017 um 15:38
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In der Debatte über die Zukunft des Spitals Heiden machte letztes Jahr insbesondere Harold Seiler von sich reden. Der ehemalige Chefarzt Gynäkologie und Geburtshilfe legte im Sommer ein Konzept vor, bei dem unter anderem die Geburtshilfe und der Notfall ans Kantonsspital St. Gallen ausgelagert worden wären. 
Es kam bekanntlich anders – das öffentliche Spital Heiden tritt vor allem die chirurgischen Aufgaben an die Hirslanden-Klinik Am Rosenberg ab. Die Idee, zumindest einen gewissen OP-Betrieb für die Gynäkologie und Geburtshilfe, wurde inzwischen auch verworfen – so dass insbesondere die Frauenärzte nun das Haus verlassen.

Als die Einsatzpläne geändert wurden

In dieser Situation meldet sich Harold Seiler neu zu Wort: Heute veröffentlichte er im «St. Galler Tagblatt» (Print) eine Analyse, die in einer herben Kritik endet. Auf der einen Seite hat ein Spital wie jenes in Heiden wenig kritische Fälle – etwa knapp einen Notfallkaiserschnitt pro Woche. Als aber ursprüngliche Modell mit Pikettpersonal aufgehoben wurde,  war dieses Angebot nicht mehr finanzierbar. 
«Die Wartezeit wurde als Arbeitszeit definiert und Arbeit auf Abruf aufgehoben», rechnet Seiler vor: «Das heisst, dass für einen 24-Stunden-Dienst drei Equipen von Chirurgie- und Anästhesie-Personal plus mindestens eine Equipe als Ablösung bereitstehen müssen. Bei der geringen Zahl von Eingriffen nachts kann dieses ständig in Bereitschaft stehende Personal nicht wirtschaftlich eingesetzt respektive beschäftigt und ausgelastet werden. Die Kosten pro Fall wurden exorbitant hoch, wie das Defizit im Spitalverbund beweist.»

«Verscherbelt»

Doch zugleich verlange der Verwaltungsrat des Spitals Heiden weiterhin einen 24-Stunden-Dienst. Ein Spareffekt lasse sich so ja nicht erzielen. Auf der anderen Seite aber habe das öffentliche Spital seine Chirurgie «sozusagen an die Hirslanden Klinik am Rosenberg verscherbelt, ohne jegliches Mitspracherecht des Spitalverbundes einzufordern.»
Nun sei die Rechnung offenbar nicht aufgegangen. Das Spital Heiden braucht für eine Geburtshilfe auch ständig bereites Chirurgie- und Anästhesie-Personal. Solch einen Betrieb aber will die Hirslanden-Klinik Am Rosenberg nicht unterhalten. Also – so Seilers Analyse – muss der Kanton nun doch wieder zusätzliche finanzielle Mittel zu Verfügung stellen: «Es würde mich nicht wundern, wenn dieses Geld dazu dient, die Hirslanden-Klinik für einen chirurgischen Unterbau der Geburtshilfe zu subventionieren, damit das vom Verwaltungsrat beschlossene Konzept durchgeboxt werden kann und um das Gesicht nicht zu verlieren.»

«Von Anfang an utopisch»

Das angestrebte Konzept, so sein Fazit, sei von Anfang an utopisch gewesen: «Eine Geburtshilfe ohne integrierte Chirurgie ist eine Illusion und wird von der Fachgesellschaft der Gynäkologen mit Unverständnis und von allen Gynäkologen mit Kopfschütteln aufgenommen.»
Es sei «erschreckend, sehen zu müssen, welcher Scherbenhaufen angerichtet und wie vorgegangen wird.» Dabei seien warnende Stimmen von kompetenter Seite «schnöde und in überheblicher Selbstüberschätzung» weggeschoben worden. «Es ist ein Trauerspiel für das Personal, das sich zum Teil ein Leben lang für das Spital Heiden eingesetzt hat.»

Zeit, Abschied zu nehmen

Nur um Nuancen weniger harsch fiel die Kritik aus, welche Willy Oggier jetzt äusserte. Der bekannte Gesundheitsökonom sprach – ebenfalls in der «Tagblatt»-Gruppe –, von einem «Sterben auf Raten». Es sei wohl an der Zeit, vom Spital Heiden in heutiger Form Abschied zu nehmen und für den verbleibenden Rest (Innere Medizin ohne Geburten und Chirurgie) sinnvolle Lösungen auszudenken. 
Dankbar seien Modelle wie ein medizinisches Zentrum mit oder ohne Pflegeheim. Letztlich stelle sich einfach die Frage, ob man die Infrastruktur bezahlen könne.

Zwei Gewinner

Die Politik habe es versäumt, den Spitalverbund Appenzell Ausserrhoden besser aufzustellen, so Oggier. Aber die Politiker seien schon gar nicht daran interessiert, einen starken Verwaltungsrat zu wählen.
Mit Blick auf die Zukunft sichtet Oggier zwei Gewinner aus dieser Situation: Die Hirslanden-Gruppe und der St. Galler Spitalverbund. «Vorwürfe können die Ausserrhoder Politiker aber nur an sich selber richten; verantwortlich ist der Regierungsrat.»
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