«Lassen uns nicht durch das Geld in die Knie zwingen»

Der Tarpsy bringt einige Kliniken in arge Bedrängnis - andere arbeiten gut mit den Fallpauschalen. Wie erklären sich diese Unterschiede?

, 31. Januar 2020 um 09:50
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Seit zwei Jahren wird auch in der stationären Psychiatrie mit Fallpauschalen abgerechnet. Die Zwischenbilanz zur neuen Tarifstruktur Tarpsy fällt sehr unterschiedlich aus. Dies zeigt sich am 9. DRG-Forum in Bern. Nanda Samimi, die seit rund zwei Jahren als CEO der auf Suchterkrankungen spezialisierte Forel Klinik amtet, spart nicht an Kritik. Sie sieht durch die Fallpauschalen die Angebote in Gefahr. Hauptkritikpunkt: Der Tarif trage der Heterogenität der Angebote keine Rechnung.
Alleine im Suchtbereich existierten viele verschiedene evidenzbasierte Ansätze, sagt Samimi. Diese Vielfalt würde durch die Fallpauschalen «torpediert». Dennoch wolle ihre Klinik die Eigenheit ihres Angebots bewahren. Dies sei nicht immer einfach. So seien Belastungsproben, bei denen Patienten temporär in ihr angestemmtes Umfeld entlassen werden, ein Problem. So, wie die Zürcher Forel Klinik diese Belastungsproben durchführen wollen, seien sie durch den Tarpsy häufig nicht abgedeckt. Auch nach Nachjustierungen beim Tarifsystem sei dies noch immer so (bei der für die Ausgestaltung der Tarifstruktur zuständige SwissDRG AG sieht man dies anders, siehe Text unten). Eine Konzeptänderung schliesst Samimi aus. «Hier darf uns die Ökonomie nicht in die Knie zwingen.»
Durch die DRG-Tarife sei auch die Finanzplanungssicherheit ungenügend. Dies sei schlecht für die Betriebsentwicklung. Zudem fehle gerade kleineren Kliniken ein Fallschirm, um die ersten Jahre gut zu meistern. Ihre Klinik fühle sich alleine gelassen. Bisher seien nur Kosten entstanden.

Positive Erfahrungen mit dem Tarpsy

Ganz anders sieht die Situation Eduard Felber, Pflegedirektor und Geschäftsleitungsmitglied der Psychiatrischen Dienste Graubünden (PDGR). Für ihn hat sich seit der Einführung des Tarpsy das Disziplin übergreifende Arbeiten verbessert. Auch seine Mitarbeitenden sähen der Tarpsy weitgehend positiv, so Felber. Er ortet nur punktuell Korrekturbedarf. Dies soll auch durch genaue Erfassung der Leistungen anhand der sogenannten Chop-Codes geschehen. Dadurch kann die SwissDRG AG jenen in den Kliniken regelmässig anfallenden Aufwand erkennen, der aktuell nicht durch den Tarpsy abgegolten wird. So soll die Tarifstruktur punktuell angepasst werden.

Sind Kliniken selber verantwortlich für ihre Lage?

Wie kann es sein, dass der Tarpsy in der Forel Klinik und bei den PDGR derart unterschiedlich aufgenommen wird? Einen Erklärungsansatz hat Jürg Unger-Köppel, Mitglied des FMH-Zentralvorstandes sowie Vorstandsmitglied bei der SwissDRG AG. Für ihn leiden vor allem jene Kliniken, die sich aus seiner Sicht zu wenig gut auf den Tarpsy vorbereitet haben. Dies weil der Tarpsy standardisierte Prozesse und eine ausgebaute, professionalisierte Dokumentation bedingt. Wer diese Vorbedingungen habe, könne - wo sinnvoll - weiter kreativ behandeln, ist Felber von der PDGR überzeugt.

Aufholen wird schwierig

Den Einwand von Samimi, dass die Einführung der Tarifstruktur für viele zu früh gekommen sei, lässt Unger-Köppel nicht gelten. Die Kliniken hätten davon seit 2007 gewusst. Viele hätten darauf spekuliert, dass der Tarpsy letztlich doch nicht eingeführt werde. Dafür büssten nun viele. Wer heute noch zu wenig weit sei, büsse gar doppelt, kritisiert Samimi, die ihr Amt erst nach der Einführung des Tarpsy angetreten hat. «Denn wer aufholen will, braucht zusätzliche Mittel». Doch diese fehlten - auch weil der Tarpsy Zusatzkosten verursache.
Einig ist man sich, dass der Tarpsy weiter verbessert werden muss. Felber von der PDGR mahnt, dass sich die Kliniken unbedingt ihre Leistungen anhand der Chop-Codes erfassen müssten. Doch leider würden dies aktuell nur 17 Kliniken tun. Gerade kleinere Kliniken sollten nicht darauf verzichten, mahnt Felber. Andernfalls liefen sie Gefahr, dass sie spezifischen Mehraufwand auch künftig nicht abrechnen könnten.

Das sagt die SwissDRG AG zur Kritik

Wie aktuell am DRG-Forum hat eine Fachperson in einem von Medinside vor einigen Wochen publizierten Artikel kritisiert, dass Belastungsproben durch den Tarpsy erschwert oder gar verunmöglicht werden. Simon Hölzer, Geschäftsführer der Swiss DRG AG, hat dazu folgende Stellungnahme verfasst:
Es wird moniert, dass unter der Tarifstruktur Tarpsy keine Belastungsurlaube mehr möglich sind. Die SwissDRG AG wurde bereits bei früheren Gelegenheiten mit dieser, notabene falschen Aussage konfrontiert. Die Tarifstruktur, welche auf aktuellen Leistungs- und Kostendaten der Schweizer Kliniken basiert, bildet unter Berücksichtigung gewisser Anreize die aktuelle Behandlungssituation ab und nimmt entsprechend keine Eingriffe in bewährte Behandlungskonzepte vor. Demzufolge liegt die Entscheidung, ob und in welcher Form Belastungserprobungen durchgeführt werden, bei der behandelnden Institution resp. beim behandelnden Arzt und sollte im Sinne einer optimalen Behandlung der Patienten getroffen werden. Die Vergütung dieser Leistung ist über die Pauschale, welche durch Tarpsy vorgegeben und mittels eines Tages-Basisfallpreises bestimmt wird, sichergestellt, da die entsprechenden Kosten bei der Entwicklung der Tarifstruktur vollständig in die Kalkulation integriert sind.
Es ist offensichtlich, dass durch die Anforderung an eine effiziente Leistungserbringung einzelne Bereiche resp. Leistungserbringer unter der neuen leistungsbezogenen Tarifstruktur einen gewissen ökonomischen Druck spüren und unter anderem für eine zweckdienliche Auslastung der Betten besorgt sein müssen. Dies ist allerdings ein vom Gesetzgeber erwünschter Effekt, der durch das Zusammenspiel von Tarifstruktur und Abrechnungsregeln unterstützt wird.
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