Krebsgefahr: Hitzige Debatte ums Fleisch

Ist das Würstchen so krebserregend wie die Zigarette? Die Weltgesundheitsorganisation WHO behauptet dies in einer neuen Studie – und sorgt damit weltweit für Aufruhr.

, 27. Oktober 2015 um 08:24
image
  • forschung
  • weltgesundheitsorganisation
  • onkologie
Nach dem Rauchen und dem Alkoholkonsum gerät nun der Fleischverzehr ins Visier der Präventionsbehörden und -mediziner. Die Internationale Agentur für Krebsforschung (IARC) deklarierte Würstchen, Schinken und anderes verarbeitetes Fleisch als krebserregend, in einer Kategorie mit Alkohol und Tabak. 
Der regelmäßige Konsum erhöhe das Risiko für Darmkrebs, teilte die Behörde der Weltgesundheitsorganisation ( WHO) mit. Zudem stuften die Experten rotes Fleisch generell als wahrscheinlich krebserregend ein. 
Darunter wird das Muskelfleisch aller Säugetiere verstanden, also auch von Rind, Schwein, Lamm, Kalb, Schaf, Pferd und Ziege. Die Ergebnisse bestätigten geltende Gesundheitsempfehlungen, den Konsum von Fleisch zu begrenzen, sagte Agentur-Chef Christopher Wild.

Kritik an der Studie

Ist Wurst wirklich krebserregend? Der Schweizer Fleisch-Fachverband (SFF) kritisiert gegenüber der Schweizerischen Depeschenagentur (SDA) die WHO-Studie. Direktor Ruedi Hadorn bezeichnet es als «verwerflich, ein bestimmtes Lebensmittel einseitig zu verurteilen, ohne dieses umfassend zu beurteilen». 
Die Studie belege den Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung nicht, sondern basiere rein auf statistischen Berechnungen. Krebs entstehe durch verschiedene Risikofaktoren, und es sei schwierig, für eine Meta-Studie einzelne Effekte aus einer Vielzahl von unterschiedlich aufgebauten Studien sauber herauszukorrigieren. 

50 Gramm sind schon zu viel

Eine Arbeitsgruppe aus 22 Experten hatte mehr als 800 Studien über den Zusammenhang von Fleischkonsum und dem Risiko für verschiedene Krebsarten ausgewertet. 
Die WHO-Behörde kam in den in der Fachzeitschrift «The Lancet Oncology» veröffentlichten Ergebnissen zu dem Schluss: Das Darmkrebs-Risiko steigt beim Konsum von je 50 Gramm verarbeitetem Fleisch täglich um etwa 18 Prozent.

Die Menge ist entscheidend

Das ruft auch die deutschen Ernährungswissenschafter auf den Plan. «Man kann jedes Fleisch bedenkenlos essen. Es kommt aber auf die Menge an», sagt Heiner Boeing vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke, der nicht an dem Bericht beteiligt war. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) empfiehlt, nicht mehr als 300 bis 600 Gramm Fleisch und Fleischwaren pro Woche zu essen.
Die Schweizer Behörden haben sich zur WHO-Studie bislang nicht vernehmen lassen. Eine ähnliche Diskussion wurde hingegen schon vor einem Jahr von der Eidgenössischen Ernährungskommission lanciert. Sie analysierte die aktuelle epidemiologische Datenlage und stellte fest, dass «für rotes Fleisch und vor allem für verarbeitetes Fleisch gesundheitlich negative Langzeitwirkungen auf (....) bestimmte Formen von Krebs wie Dickdarmkrebs (...) angenommen werden müssen». 

«Zurück in die Höhlen»

Die neue WHO-Warnung vor Krebsgefahr durch verarbeitetes Fleisch stößt in der Fleischliebhaber-Nation Australien auf Sarkasmus. «Wenn wir all das aus unserer Ernährung streichen würden, was die WHO als krebserregend bezeichnet, können wir zurück in die Höhlen gehen», sagte Agrarminister Barnaby Joyce. 
(Bild: Flickr CC) 
Mehr
«Gesundheitliche Aspekte des Fleischkonsums» - Bericht der Eidgenössischen Ernährungskommission (EEK) aus dem Jahr 2014
Artikel teilen

Loading

Comment

Mehr zum Thema

image

USZ, CHUV und USB gehören zu Europas forschungsstärksten Spitälern

Seit der Jahrtausendwende haben sich die Patentanmeldungen europäischer Kliniken verdreifacht. Schweizer Häuser spielen vorne mit.

image

Empa-Forschende entwickeln selbsthaftende künstliche Hornhaut

Forschende der Empa und der Universität Zürich haben eine künstliche Hornhaut entwickelt, die künftig Spendergewebe ersetzen könnte.

image

«Eine frühzeitige Blutverdünnung nach einem Schlaganfall ist sicher und wirksam»

Im Interview erklärt Neurologe Urs Fischer, Chefarzt am Inselspital Bern, was die Ergebnisse der CATALYST-Studie für die klinische Praxis bedeuten – und warum alte Leitlinien überdacht werden sollten.

image

Das Ludwig-Institut bleibt in Lausanne

Zehn Jahre nach der Gründung der Partnerschaft mit dem CHUV und der Uni Lausanne wird das Ludwig-Institut in die Universität integriert. Es soll mehr über Immuntherapie und Tumor-Mikroumgebung geforscht werden.

image

«Wir erreichen heute Areale, die früher unzugänglich waren»

Thomas Gaisl vom USZ über Präzisionsgewinne, Patientennutzen und technische Grenzen der robotisch-assistierten Bronchoskopie – das Interview.

image

Internationale Anerkennung für Schweizer Lungenkrebs-Forscherin

Solange Peters, Leiterin der medizinischen Onkologie am CHUV, erhält den Paul A. Bunn, Jr. Scientific Award, eine der höchsten internationalen Auszeichnungen für Lungenkrebsforschung.

Vom gleichen Autor

image

Pflege: Zu wenig Zeit für Patienten, zu viele Überstunden

Eine Umfrage des Pflegeberufsverbands SBK legt Schwachpunkte im Pflegealltag offen, die auch Risiken für die Patientensicherheit bergen.

image

Spital Frutigen: Personeller Aderlass in der Gynäkologie

Gleich zwei leitende Gynäkologen verlassen nach kurzer Zeit das Spital.

image

Spitalfinanzierung erhält gute Noten

Der Bundesrat zieht eine positive Bilanz der neuen Spitalfinanzierung. «Ein paar Schwachstellen» hat er dennoch ausgemacht.