Krankenkassen – neue Kunden werden teurer

Wir bekommen tatsächlich weniger Werbeanrufe für Krankenkassen, Zeitungsabos oder Weindegustationen als früher. Grund ist eine Branchenvereinbarung der Krankenkassen, die aber auch unerwünschte Nebenwirkungen hat und die Kundenwerbung insgesamt teurer macht.

, 15. Februar 2022 um 14:54
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  • felix schneuwly
  • versicherer
  • politik
  • gastbeitrag
In der kommenden Session behandelt der Nationalrat die Vorlage 21.043 mit dem trockenen Titel «Bundesgesetz über die Regulierung der Versicherungsvermittlertätigkeit». Ein neues Rahmengesetz soll den Bundesrat ermächtigen, eine Branchenvereinbarung der Krankenversicherer als rechtsverbindlich zu erklären, damit Krankenkassen uns nicht mehr mit ihrem Telefonterror oder dubiosen Versicherungsvermittlern belästigen, ist doch etwas übertrieben. Und dieses Rahmengesetz ist auch deshalb übertrieben, weil mit dem Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG) und mit dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) die gesetzlichen Grundlagen genügen. Die Geschichte über dieses Rahmengesetz zeigt exemplarisch, wie eine Branche die Zeichen der Zeit zu lange nicht erkennt und dann überreagiert, weil Politiker:innen mit einem neuen Gesetz etwas für ihre genervte Wählerschaft tun wollen. Die Geschichte zeigt aber auch, wie in Bundesbern immer wieder neue Gesetzt geschaffen werden, anstatt dafür zu sorgen, die bestehenden Gesetze endlich konsequenter zu vollziehen.

Telefonterror und dubiose Versicherungsvermittler

Immer wieder machten in der Vergangenheit aggressive Callcenter mit ihrem Telefonterror und dubiose Versicherungsvermittler Negativschlagzeilen. Und jahrelang schafften es die Krankenversicherer nicht, den Telefonterror zu stoppen und Vermittler aus dem Verkehr zu ziehen, die für saftige Provisionen Leuten gegen ihren Willen Versicherungen andrehten. Und immer, wenn ein Bereich wiederholt für Negativschlagzeilen sorgt, wollen Politiker:innen die Probleme ihrer Wähler:innen mit neuen Gesetzen losen. Weil der politische Druck zu gross wurde, packten die Krankenversicherer die Chance, die Kundenakquisition mit einem Kartell so zu organisieren, damit ihre Vermittler nicht mehr zur Konkurrenz wechseln können, wenn sie für weniger Geld besser arbeiten müssen.

Eine Branchenvereinbarung mit unerwünschten Nebenwirkungen

Für die Kundenakquisition vom Marketing bis zu den Provisionen geben die Krankenkassen bei der Durchführung der Grundversicherung jährlich rund 0.3 Prozent der Prämien bzw. rund 11 Franken pro versicherte Person aus. Die Verwaltungskosten für die Durchführung der Grundversicherung betragen insgesamt rund 4.5 Prozent der Prämien bzw. rund 160 Franken pro versicherte Person und Jahr. Wenn der Bundesrat mit der vorgeschlagenen Regulierung die aktuelle Branchenvereinbarung oder andere Branchenvereinbarungen der Krankenversicherer als rechtsverbindlich erklärt, ist es wichtig zu wissen, was die seit einem Jahr gültige Branchenvereinbarung bewirkt hat. Und in den kurzen Bemerkungen über die Regulierungsfolgen hält der Bundesrat fest, dass mit dem Bundesgesetz über die Regulierung der Versicherungsvermittlertätigkeit wohl keine Kosten gespart werden.

  • Der Telefonterror hat signifikant abgenommen, aber nicht bloss, weil die Branchenvereinbarung die telefonische Kaltakquise verbietet, sondern weil das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) dies seit dem 1.1.21 faktisch auch tut. Wenn eine Branche verspricht, sich mit einer Branchenvereinbarung an geltendes Recht zu halten, ist das doch ziemlich eigenartig.
  • Qualität der Versicherungsvermittlertätigkeit: Die Beratungsqualität – ebenfalls ein Ziel der Branchenvereinbarung – wird schon durch die Finma-Akkreditierung der Vermittler und die vom Parlament noch nicht verabschiedete Revision des Versicherungsaufsichtsgesetzes (VAG) verbessert. Auch hier verspricht die Branchenvereinbarung nicht mehr als das geltende Recht. Die Finma müsste aber endlich dubiose Vermittler rascher und konsequenter aus dem Verkehr ziehen. Das würde auch präventiv besser wirken als die Bussen, welche die von den beiden Krankenkassenverbänden eingesetzte Aufsichtskommission zur Überwachung der Branchenvereinbarung fehlbaren Krankenversicherern aufbrummen kann und schlussendlich von den Konsumenten bezahlt werden.
  • Maximale Provisionen: Die Branchenvereinbarung regelt nur die Tätigkeit von Versicherungsvermittlern, die zwar im Auftrag der Versicherer arbeiten, aber nicht Angestellte der Versicherer sind. Das ist der sogenannte externe Vertrieb. Von den Kassen angestellte Versicherungsvermittler – der interne Vertrieb – müssen sich nicht an die Vereinbarung halten, auch nicht an die maximalen Provisionen von 70 Franken für jede Neukundin mit einer Grundversicherung bzw. einer Jahresprämie für jeden Neukunden mit einer Zusatzversicherung. Einzelne Krankenversicherer haben nun für viel Geld Vermittlerfirmen gekauft und entziehen sich so der Branchenvereinbarung und der Kontrolle durch die Aufsichtskommission. Und jeder Branchenkenner weiss, dass der externe Vertrieb kostengünstiger ist als der interne.
  • Wettbewerbsvorteil für grosse Versicherer: Da die Branchenvereinbarung nur Abschlussprovisionen begrenzt und nicht die gesamten Akquisitionskosten von der Werbung bis zu den Vertragsabschlüssen, sind grosse Versicherer mit grossen Sponsoring-, Wettbewerbs- und Werbebudgets gegenüber kleinen Konkurrenten im Vorteil.
  • Mehr teure Werbung mit Streuverlusten: Da die Branchenvereinbarung nur die Abschlussprovisionen an externe Vermittler deckelt und nicht die gesamten Akquisitionskosten regelt, reichen nun einzelne Kassen bei der Aufsichtskommission Branchenvereinbarung Beschwerden gegen Konkurrenten ein. Inzwischen hat die Aufsichtskommission entschieden, dass die Versicherer nur noch für Kontaktdaten eines potentiellen Kunden (Lead) bezahlen dürfen, wenn dieser einen Vertrag abschliesst. Sie hat aber nicht entschieden, ob das auch für Leads gilt, die via Sponsoring, Wettbewerbe oder Onlinewerbung (Google, Facebook etc.) beschafft werden. Comparis passt nun sein Vergütungssystem den Anforderungen der Branchenvereinbarung an und regelt Marketingdienstleistungen und die Leadvermittlung in separaten Verträgen mit den Versicherern.
  • Aufsichtskommission grenzt Werbung von Vermittlung ab: Die Branchenvereinbarung und die Praxis der Aufsichtskommission wirft viele Fragen auf hinsichtlich der Abgrenzung zwischen Marketing und Versicherungsvermittlung sowie zwischen der Kundenakquisition durch Dritte und derjenigen durch Angestellte der Versicherer. Insgesamt benachteiligt sie externe Versicherungsvermittler und verteuert die Kundenakquisition, was für grosse Versicherer gegenüber kleinen Konkurrenten ein Vorteil ist.

Ein Rahmengesetz mit unerwünschten Nebenwirkungen

Wenn das Parlament nun per Gesetz den Bundesrat ermächtigt, die Branchenvereinbarung der Krankenversicherer rechtsverbindlich zu erklären, wird das die Kundenakquisition insgesamt verteuern, wie das bei Kartellen in der Regel der Fall ist. Die Rechnung der linken Konsumentenschützer und Parlamentsmitglieder wird also aufgehen. In einem nächsten Schritt werden sie die steigenden Ausgaben der Krankenversicherer für die Kundenakquisition skandalisieren, weitere Regulierungen verlangen und argumentieren, dass eine Einheitskasse günstiger wäre, weil sie ohne Kundenwerbung auskommt.
Und auch die Versicherungsbranche wird sich täuschen, wenn sie glaubt, die neue Regulierung betreffe ja bloss die Krankenkassen, die unterste Kaste in der Welt der Versicherungen. Das scheint den Versicherungsverband nicht zu stören, denn gesetzliche Grundlagen für Branchenvereinbarungen werden die WEKO daran hindern, gegen das Krankenkassenkartell im Bereich der Kundenakquisition vorzugehen.
Bundesrat Berset ist der Branche einen Schritt voraus und hat dem Parlament nicht bloss ein paar neue Artikel im Krankenversicherungsaufsichtsgesetz (KVAG) sowie im Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG) unterbreitet, sondern ein Rahmengesetz mit dem Titel «Bundesgesetz über die Regulierung der Versicherungsvermittlertätigkeit». Damit wird die gesetzliche Basis für weitere Versicherungsbereiche geschaffen. Als nächstes werden wohl die Provision der zweiten und dritten Säule in Bundesbern auf der politischen Agenda auftauchen. Auch dort besteht einerseits Handlungsbedarf und andererseits das Risiko, mit falscher Regulierung alles nur noch schlimmer zu machen.
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