Kantonsspital Winterthur: Neuer Chefarzt prüft auch Lourdes-Heilungen

Der designierte Direktor Medizin am Kantonsspital Winterthur (KSW) ist nicht nur einer der wichtigsten Vertreter der Geriatrie in Europa. Cornel Sieber ist ebenso Gutachter von ungewöhnlichen Heilungen im Wallfahrtsort Lourdes.

, 15. August 2018 um 07:00
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Cornel Sieber übernimmt Anfang März 2019 als Gesamtleiter die Führung des Departements Medizin am Kantonsspital Winterthur (KSW). Was viele vielleicht nicht wissen: Der Facharzt für Innere Medizin, Gastroenterologie und Geriatrie sitzt nicht nur als Mitglied in mehreren medizinischen Gesellschaften. Er gehört seit vier Jahren auch dem internationalen medizinischen Komitee von Lourdes (C.M.I.L.) an. Das Gremium mit gut 30 Mitgliedern untersucht und prüft ungewöhnliche Heilungen im bekannten Wallfahrtsort Lourdes – aus wissenschaftlicher Sicht.
Er sei aber kein Wunderprüfer, sagte Cornel Sieber vor kurzem in einem grossen Interview mit dem Portal «katholisch.de». «Als Fachspezialisten sind wir völlig neutral und beurteilen in wissenschaftlichen Gutachten, ob ein Vorfall, der sich während einer Lourdes-Pilgerreise ereignet hat und gemeldet wird, medizinisch erklärbar ist oder nicht.»

Ein Prozent der Heilungen als «echte Wunder»!

Für das medizinische Lourdes-Komitee wurde Sieber vorgeschlagen. Er sei zwar «gut katholisch» aufgewachsen, war Ministrant und bezeichnet sich als gläubiger Mensch. Der Arzt hat aber auch ein etwas ambivalentes Verhältnis zu dem Thema Wallfahrt. Zugesagt habe er unter anderem aus Neugierde. Die Arbeit ist Sieber zufolge recht aufwendig und kostet viel Zeit. Das Gremium arbeitet ehrenamtlich. Neben dem designierten KSW-Chefarzt sitzt auch der Schweizer Neuropsychiater Jean-Louis Armand-Laroche im Gremium.

Letztes «Wunder» von Lourdes

Laut Cornel Sieber gibt es tatsächlich regelmässig Fälle von Menschen mit Tumoren oder schwersten Beeinträchtigungen und Behinderung im Bewegungsapparat, die zwar nach dem Besuch nicht komplett weg sind, wo aber eine Linderung eintritt. «In dem besonderen Ambiente dieses Pilgerorts mit der Gemeinschaft und der Spiritualität kann es zu einer Besserung wie bei einem Placebo-Effekt kommen.» Lourdes hat für Sieber einerseits eine etwas touristische Note, aber auf der anderen Seite sei es ein Kraftort, der Wirkung auf die Gläubigen hat – auch auf ihn.
Insgesamt gelten rund 2'000 Fälle als «medizinisch unerklärlich» – aber nur ein jeweiliger Ortsbischof kann eine Genesung zu einem Wunder erklären. Zuletzt wurde im Februar 2018 eine Heilung zu einem Wunder in Lourdes erklärt. Eine schwerbehinderte französische 79-jährige Nonne kann nach einem Besuch in Lourdes vor über zehn Jahren wieder gehen.
Im Interview beschreibt Lourdes-Gutachter Sieber und ehemaliger Chefarzt der Abteilung Innere Medizin/Geriatrie am Klinikum Nürnberg auch den Ablauf einer solchen Prüfung: Am südfranzösischen Wallfahrtsort Lourdes nehme ein fest angestellter Arzt die Fälle auf, erstelle eine Akte und leite die Fälle je nach Fachgebiet weiter. Dann treffe sich das Gremium einmal im Jahr im Spätherbst und bespreche die Fälle vor Ort. Anschliessend gehe der Fall an den jeweiligen Ortsbischof des Patienten. Er entscheide schliesslich, ob es sich bei der Genesung um ein Wunder handelt oder nicht. Von den rund 7'000 Heilungen, die in Lourdes geschehen sein sollen, wurden bislang nur 70 Fälle als echte Wunder anerkannt.

Prädikat: «Diese Heilung können wir derzeit nicht erklären»

Sieber, der momentan noch die Klinik für Allgemeine Innere Medizin und Geriatrie am Krankenhaus Barmherzige Brüder in Regensburg leitet, hat bereits zwei Fälle bearbeitet. Bei seinem ersten Fall war es so, dass die bereits hochbetagte Frau starb, kurz bevor er dem Komitee seine Ergebnisse präsentieren konnte. Dann werden die Fälle nicht mehr weiter verfolgt. Bei seinem zweiten Fall geht es um eine Geschichte, bei der ein bösartiger Tumor anscheinend verschwunden war. Dazu benötigte er fachlichen Rat von Kollegen.
In den vier Jahren, in denen der 59-Jährige nun im C.M.I.L.Gremium sitzt,  wurden zwei Fälle mit der Aussage abgeschlossen: «Diese Heilung können wir derzeit nicht erklären». Sie wurden acht beziehungsweise 15 Jahre lang geprüft. Das sei bereits eine überproportional hohe Zahl, so Sieber. Normalerweise werde fast alles negativ entschieden. «Dabei behaupten wir nicht, etwas sei generell unerklärbar, sondern sagen, dass es nach gegenwärtigem Stand der Wissenschaft nicht erklärt werden kann.» Sieber ist fest davon überzeugt, dass es Dinge gibt, die wir nicht erklären können und die wir nie erklären werden können. «Es gibt einfach etwas, das ist grösser als wir.»

Cornel Sieber: «Wir würden das Wort Wunder nie in den Mund nehmen»

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