Kanton Bern will schwangere und stillende Ärztinnen mehr schützen

Assistenz- und Oberärztinnen, die schwanger sind oder stillen, müssen in Spitälern oft zu lang und zu hart arbeiten. Die Berner Regierung will nun mehr kontrollieren.

, 29. Mai 2019 um 13:57
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56 Stunden Dienst pro Woche statt des erlaubten Maximums von 50 Stunden, zu wenig Zeit zum Stillen, keine Möglichkeit, das Pensum zu reduzieren: Solche Zustände sollen in Berner Spitälern nicht mehr vorkommen. Zwei Politikerinnen aus dem Kantonsparlament, Ursula Marti (SP) und Natalie Imboden (Grüne), haben deshalb gemäss der «Berner Zeitung»  die Berner Regierung zu mehr Kontrollen aufgefordert.
In den Spitälern soll stärker überprüft werden, ob bei Assistenz- und Oberärztinnen das Arbeitsgesetz eingehalten wird – und insbesondere: Ob Schwangere und stillende Mütter genug geschützt werden.

Schwangere hätten besondere Privilegien

«Schwangere sind mit einer zusätzlichen körperlichen Belastung und vor allem mit dem Schutz des ungeborenen Kindes konfrontiert», begründeten die beiden Politikerinnen ihren Vorstoss. «Ihnen stehen deshalb besondere Regelungen zu, wie eine reduzierte tägliche und wöchentliche Arbeitszeit oder das Recht, während der Arbeitszeit zu stillen.»
Marti und Imboden wissen jedoch auch: «Nicht immer ist es im beruflichen Alltag einfach, diesen Schutz zu beanspruchen, nicht zuletzt auch aus Angst vor Diskriminierung.» Sie erinnern denn auch an den Gerichtsfall der Ärztin Natalie Urwyler. Das Berner Obergericht hatte vor einiger Zeit entschieden, dass das Inselspital der Ärztin Natalie Urwyler zu Unrecht gekündigt hatte.

Fehlgeburt wegen zu viel Arbeit

Es sei eine Rachekündigung gewesen, weil sich die Ärztin für den Gesundheitsschutz von Schwangeren eingesetzt hatte. Auch Urwyler selbst leistete als Schwangere zu viele Arbeitsstunden und erlitt während der Durchführung einer Operation eine Fehlgeburt.

Regierung hält sich zurück

Der Regierungsrat antwortete auf den Vorstoss zurückhaltend. Das Amt für Wirtschaft (AWI) habe bereits in den Jahren 2010 bis 2016 einen Kontrollschwerpunkt in den Spitälern gelegt. «Deshalb geht der Regierungsrat davon aus, dass die von Ursula Marti genannten Zahlen nicht repräsentativ für den Kanton Bern sind.» Trotzdem will die Regierung mit den Kontrollen künftig einen Schwerpunkt bei schwangeren und stillenden Arbeitnehmerinnen in Spitälern setzen.

Gravierende Folgen der Überarbeitung

Wenn Ärtzinnen und Ärzte regelmässig über die gesetzlich zulässige Zeit hinaus arbeiten, hat das gemäss einer repräsentativen Studie im Auftrag des Verbands Schweizerischer Assistenz- und Oberärztinnen und -ärzte VSAO von 2017 gravierende Folgen: Jede Zweite fühlt sich oft oder meist müde, fast jede Dritte sogar ausgelaugt.
Eine bedenklich hohe Zahl von 38 Prozent der jungen Ärztinnen und Ärzte berichtet auch, an die Grenze der persönlichen Belastbarkeit zu stossen. Jede Zweite hat schon erlebt, dass Berufskolleginnen und Berufskollegen durch Übermüdung Patientinnen und Patienten gefährden.

Überstunden werden nicht gemeldet und kompensiert

Die Studie zeigte, dass über die Hälfte der Assistenz- und Oberärztinnen und -ärzte in den Spitälern mehr als gesetzlich erlaubt arbeitet – oft sogar viel mehr. Häufig werden die zusätzlich geleisteten Stunden nicht gemeldet.
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