Macht man bei den Alten zu viel des Guten?

Im Alter und insbesondere bei sterbenskranken Menschen wird häufig zu viel gemacht. Auch wegen der finanziellen Anreize.

, 17. Oktober 2023 um 04:00
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«Wir machen ganz viel in den Spitälern, was dem Patienten wenig bringt oder sogar schadet.» Das sagte der Palliativmediziner Andreas Weber im «Club» des Schweizer Fernsehens. | Screenshot
Das Hauptproblem im Gesundheitswesen? «Dass wir zu viel über die Kosten reden - und zu wenig über den Nutzen». Das sagte FMH-Präsidentin Yvonne Gilli im Interview mit dem «SonntagsBlick».
Was sie nicht sagte (weil sie auch nicht gefragt wurde): Nicht nur in der öffentlichen Diskussion wird zu wenig über den Nutzen gesprochen, sondern insbesondere auch bei sterbenskranken Menschen. Dabei hätte das einen positiven Effekt auf die Kosten. Darüber sind sich Experten einig.
Andreas Weber ist Leiter Palliative Care beim GZO Spital Wetzikon. Jüngst erklärte er in der Diskussionssendung «Club». «Wir machen ganz viel in den Spitälern, was dem Patienten wenig bringt oder sogar schadet.» Es würden Behandlungen angeboten, ohne abzuklären, wo der Patient steht, ob er überhaupt an lebensverlängernden Massnahmen interessiert sei.

Nutzen? Keine Ahnung

Weber nannte das Beispiel eines Patienten mit einem Hirntumor. Er liegt im Bett, ist verwirrt, kann nicht mehr laufen, und operieren kann man ihn auch nicht. Was jetzt? Die Spezialisten entschieden sich für eine Radio- und Chemotherapie. «Über den Nutzen wurde nichts gesagt», so Weber wörtlich. Ob der Patient privatversichert war, ist nicht bekannt.
Roland Kunz ist der wohl renommierteste Palliativmediziner der Schweiz. Seit über 40 Jahren setzt er sich für eine würdige letzte Lebensphase ein. Von 2017 bis 2021 war er Chefarzt der universitären Klinik für Akutgeriatrie und ärztlicher Leiter des Zentrums für Palliative Care im Stadtspital Waid.

Fragmentierte Medizin

Einer der Gründe, weshalb eher zu viel als zu wenig gemacht wird, sieht der 68-Jährige in der Fragmentierung der Medizin. Für jedes Organ, für jeden Körperteil gebe es Spezialisten, die sich nur gerade für ihre Spezialität interessierten. «Was machbar ist, wird gemacht», sagt Kunz im Gespräch mit Medinside. Jede sich bietende Möglichkeit werde ausgeschöpft. Man gehe nicht der Frage nach, ob das auch wirklich für den Patienten von Nutzen sei, oder ob es für ihn bessere Optionen gäbe. «Und die Patienten lassen mit sich geschehen.»
Dabei müsste man mit den Patienten reden und ihnen die Optionen aufzeigen. Doch Kunz weiss auch von der Ambivalenz vieler Patienten zu berichten: «Da sind sie bei Exit oder haben eine Patientenverfügung. Doch wenn es darauf ankommt, wollen sie trotzdem dieses oder jenes versucht haben.»

Besser informieren

Was tun? «Wir könnten uns beim Aufbereiten von Entscheidungshilfen verbessern», so Weber im «Club». Man müsste die Optionen nicht nur besser kommunizieren, sondern auch schriftlich verständlich aufbereiten. Und man müsste die Anreize so setzen, dass das Gesundheitspersonal sich bei jedem Patienten, bei jeder Patientin überlegt: Wie kann er oder sie umfassend informiert werden? Welche Behandlungen sind sinnvoll? «Ich glaube tatsächlich, dass wir die hohen Kosten am Lebensende senken können, wenn wir die Patientinnen und Patienten besser informieren», so Weber. Es wäre auch zu ihrem Wohl.

Umsatzgetrieben

Mit dabei bei der genannten Diskussionssendung war Kristian Schneider: «Ich bin über den Umsatz gesteuert», gesteht der Direktor des Spitalzentrums Biel ohne Umschweife. Das Spital müsse Leistungen erbringen, um das Personal bezahlen zu können. Die Spitäler nähmen sich wenig Zeit für Gespräche, weil es dazu am finanziellen Anreiz fehle.
So sind wir bei der Finanzierung: «Ja, die Finanzierung ist besser, wenn man etwas macht als wenn man über die Sinnhaftigkeit redet und dann nichts macht», sagt Roland Kunz.

Spital statt Hospiz

Typisch ist auch folgendes: Liegt eine sterbenskranke Person im Spital, zahlt das die Grundversicherung. Will sie ihre letzten Tage in einem Hospiz verbringen, gibts wie in einem Pflegeheim von der OKP einen Beitrag an die Pflege. Der Rest ist selber zu bezahlen. Auch hier: die Behandlung im teuren Spital ist besser finanziert als im kostengünstigeren Hospiz.

Die andere Sicht

Beat Straubhaar war ab 1985 Direktor des damaligen Regionalspitals Thun und von 2002 bis Ende 2011 CEO des Spitals STS AG. Danach sass er in Verwaltungsräten von verschiedenen Spitälern.
Was sagt der langjährige Beobachter zum Vorwurf, alte und sterbenskranke Menschen würden zu wenig über Möglichkeiten und Alternativen aufgeklärt? «Meine Erfahrung ist, dass gerade die Onkologen mit der Aufklärung von Patienten sehr umsichtig vorgehen und ihnen Chancen und Risiken aufzeigen».
Man müsse auch bedenken, so Straubhaar weiter, dass Krebs heute oft eine chronische Krankheit ist und entsprechend behandelt wird. Die Behandlung sei oft erfolgreich und die Lebensqualität hoch. «Leider hat man im «Club« des Staatsfernsehens wieder einmal vergessen, die andere Seite einzuladen, nämlich jene, die den Patienten erklären müssen, welche Handlungsoptionen bestehen inklusive reine Palliation.


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