«Müssen» gutversicherte Patienten länger leben?

In US-Spitälern lässt man nicht-versicherte Patienten früher sterben als solche mit Versicherung. Ein Arzt findet, das sei oft schlimmer für die Versicherten.

, 21. August 2024 um 09:35
image
Der Neurologe, Politiker und Schriftsteller Lukas Fierz kritisiert, dass man gutversicherte Patienten nicht sterben lasse. | zvg
In den USA hört das Spitalpersonal bei Schwerverletzten, die nicht versichert sind, deutlich früher auf mit lebensverlängernden Massnahmen als bei solchen, die eine Krankenversicherung haben.

Je nach Zahlungsfähigkeit

Dies zeigen die Zahlen einer Studie, die in «Jama Network Open» erschienen ist. Im Detail lauten Resultate: Bei Patienten in kritischem Zustand ohne Krankenversicherung wurden die lebensverlängernden Massnahmen nach durchschnittlich 6,5 Tagen beendet.
Bei privat Versicherten stellten die Ärzte im Durchschnitt nach 7,8 Tagen die Maschinen ab, bei Patienten in der staatlichen Medicaid-Versicherung sogar erst nach 8,9 Tagen.

Eigentlich gesetzlich geregelt

Die Studienautoren kamen zum Schluss: Auch wenn andere Faktoren dazu kommen, beeinflusst auch die Zahlungsfähigkeit eines Patienten den Entscheid, wie lange lebensverlängernde Massnahmen aufrechterhalten werden.
Dies, obwohl es seit 1986 in den USA ein Gesetz gibt, wonach Patienten in kritischem Zustand immer die optimale Therapie erhalten, unabhängig von ihren finanziellen Mitteln oder ihrem Versicherungsstatus.
Doch bei Nicht-Versicherten müssen die Angehörigen, welche über die Behandlung entscheiden, mit enormen Kosten rechnen. Deshalb sei es sehr wahrscheinlich, dass das – Gesetz hin oder her – den Entscheid über einen Behandlungsstopp beeinflusse.

Private Spitäler behandeln länger

Auch das Spital, in dem die Schwerverletzten lagen, spielt in den USA eine Rolle: In Ausbildungsspitälern und in Privat-Kliniken wurde die Behandlung länger fortgesetzt als in anderen Spitälern.
Die Online-Zeitung «Infosperber» kritisierte diese Ungleichbehandlung als «Benachteiligung der Nichtversicherten». In einem Kommentar zeigte sich der Arzt Lukas Fierz skeptisch: Der Neurologe, Politiker und Schriftsteller bedauerte vielmehr die gut versicherten Patienten.

«Wie oft habe ich mich darüber aufgeregt»

Diese würden manchmal länger und intensiver behandelt. Das sei sein Eindruck aus jahrzehntelanger Arbeit in allgemeinen und privaten Abteilungen von Spitälern. «Gerade bei zahlungskräftigen Patienten kommt es vor, dass man sie nicht sterben lässt», schreibt er. Man mache ihnen unbegründete Hoffnung.
Mit Chemotherapie verlängere man das Leben um «ein paar elende Wochen oder Monate mit Schwäche, Schmerzen, Übelkeit und Erbrechen.» Und weiter: «Erst am Schluss sehen sie ein, dass es für nichts war. Wie oft habe ich mich darüber aufgeregt.»
  • spital
  • intensivmedizin
Artikel teilen

Loading

Kommentar

Mehr zum Thema

image

Sparprogramme reichen nicht: Das Spitaljahr im Check

Kooperationen, weniger Angebote, effizientere Abläufe, Schliessungen, Nullrunden bei den Löhnen: Die öffentlichen Akutspitäler haben viel getan, um die Finanznot zu bekämpfen. Fazit: So geht es trotzdem nicht weiter.

image

Spitäler 2025 und 2026: Bessere Margen – aber grosse Tarif-Fragezeichen

Die Finanzchefs der Schweizer Spitäler erwarten fürs Erste eine etwas bessere Rentabilität. Zugleich sorgt das neue Tarifsystem für Unsicherheit. Die Erwartungen reichen von Mehreinnahmen bis zu spürbaren Einbussen.

image

Die 10-Prozent-Illusion der Schweizer Spitäler

Eine Betriebsrendite von zehn Prozent galt lange als Überlebensregel für Akutspitäler. Womöglich ist dieser Richtwert inzwischen zu tief. Die Beratungsfirma PwC fordert mehr Effizienz – die Spitäler höhere Tarife.

image

Spitalhygiene: Geschlechtsneutrale WCs bergen ein Risiko

In schottischen Krankenhäusern wurden Damen-, Herren- und Unisex-Toiletten auf Keime geprüft. Heraus kamen drastische Unterschiede.

image

Eine Zusammenarbeit, vernetzt wie das Gefässsystem

Wie in den meisten anderen medizinischen Fachbereichen setzt das Spital Lachen auch in seinem Gefässzentrum auf eine enge interdisziplinäre Zusammenarbeit. Sie garantiert den Patientinnen und Patienten eine professionelle und ganzheitliche Diagnostik, Behandlung und Nachbehandlung.

image

Ressourceneffizienz bei Schweizer Spitälern

Interview von Unite mit Andrea Raida M.Sc., Projektleiterin Health Care Logistics am Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik IML, über Ergebnisse des Forschungsprojekts «Green Hospital»

Vom gleichen Autor

image

Zu viele Kündigungen in der LUPS - nun geht die ärztliche Leiterin

Eine neue Führung und eine Meldestelle für die Angestellten: So will die Luzerner Psychiatrie die angespannte Lage entschärfen.

image

Neuenburger Psychiaterin muss 173'000 Franken zurückzahlen

Das Bundesgericht bestätigt die unwirtschaftliche Praxisführung. Die Kosten waren mehr als doppelt so hoch wie bei Kollegen.

image

Keine Änderung bei der Mehrwertsteuer im Gesundheitswesen

Der Bundesrat will die Ausnahmen bei der Mehrwertsteuer im Gesundheitswesen nicht aufheben. Es hätte zu viele Nachteile.