«Der Kanton hat zur Lohnpolitik des Spitals nichts zu sagen»

Das Thurgauer Kantonsspital ist deutlich besser aufgestellt als alle anderen grossen Spitäler der Schweiz. Gesundheitsdirektor Urs Martin nennt die Gründe.

, 23. September 2025 um 03:00
letzte Aktualisierung: 5. November 2025 um 08:00
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Der SVP-Politiker Urs Martin ist seit Mitte 2020 Gesundheitsdirektor im Kanton Thurgau. Bild: cch
Herr Regierungsrat, wie viele der Gesundheitsdirektoren anderer Kantone durften Sie schon empfangen, um ihnen zu erklären, wie man erfolgreich ein Kantonsspital führt?
Bis jetzt noch keinen.
Immerhin Vertreterinnen von Economiesuisse haben ihnen schon mal einen Besuch abgestattet.
Ja, Economiesuisse und auch andere Organisationen durften wir schon empfangen. Einmal hatten wir den Staatsrat aus Freiburg zu Besuch – aber nicht ausschliesslich wegen des Spitals. Ich würde meine Amtskollegen gerne empfangen und ihnen zeigen, wie wir aufgestellt sind.
In der Gesundheitsdirektorenkonferenz (GDK) werden Sie doch sicher darauf angesprochen?
Vereinzelt. Aber es kommen wenige auf uns zu. Ich vermute, sie sagen sich, es sei doch nebulös, wie das im Thurgau so gut läuft. Da schauen sie lieber nicht so genau hin. Sonst müssten sie womöglich selbst etwas ändern.
Was machen Sie besser als andere Kantone?
Der entscheidende Schritt war Ende der 1990er-Jahre: Wir haben als erster Kanton eine Spital AG gegründet, die der öffentlichen Hand gehört – mit echter und konsequenter unternehmerischer Unabhängigkeit.
Was heisst das konkret?
Man hat zum Beispiel damals das Spitalpersonal aus dem kantonalen Personalrecht herausgenommen. In ganz vielen öffentlichen Spitälern sind die Anstellungsbedingungen des Personals noch heute im kantonalen Personalrecht geregelt. Wenn sie zum Beispiel das Pflegepersonal wegen des Fachkräftemangels besser entlöhnen wollen, dann müssen sie auch bei Polizisten und Lehrern und so weiter Anpassungen vornehmen.
Sie denken wohl an Freiburg.
Nicht nur. Bei uns ist die Personal- und Lohnpolitik des Gesundheitspersonals allein Sache der Spital Thurgau AG. Der Kanton hat dazu nichts zu sagen.
Urs Martin, geboren 1979, studierte in St. Gallen Staatswissenschaften mit Schwerpunkt internationale Beziehungen. Nach dem Studium war Martin zunächst als wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Generalsekretariat der SVP Schweiz tätig. In dieser Funktion übernahm er auch die Rolle des Fraktionssekretärs der Bundeshausfraktion der SVP.
Zwischen 2010 und 2020 arbeitete der SVP-Politiker als Leiter Public Affairs bei der Privatklinikgruppe Hirslanden in Zürich. Parallel dazu bildete er sich im Bereich Health Care Management weiter.
2008 wurde Urs Martin in den Grossen Rat des Kantons Thurgau gewählt. Dort engagierte er sich unter anderem als Präsident der Justizkommission. 2020 wurde er in die Thurgauer Regierung gewählt. Dort steht er dem Departement für Finanzen und Soziales vor, zu dem auch das Gesundheitswesen gehört.
Sie haben einmal gesagt: Kein Politiker im Verwaltungsrat – das sei Teil des Erfolgsrezepts.
Absolut. Die Trennung zwischen Politik und Spitalführung wird bei uns konsequent gelebt. Wir entsenden auch keine Kantonsvertreter in den VR, wie das zum Beispiel der Kanton Zug tut. Wir als Kanton erlassen die Eigentümerstrategie, nach der sich der Verwaltungsrat zu richten hat, und wählen den Verwaltungsrat. Punkt.
Ist es nicht so, dass Kantonsvertreter in Verwaltungsräten häufig Alibipersonen sind, die sich zurückhalten?
Das sehe ich anders. Wenn als Kantonsvertreter ein Mitglied der Gesundheitsdirektion im Verwaltungsrat sitzt und es dann darum geht, ein Tariffestsetzungs-Verfahren einzuleiten, dann hat der Kantonsvertreter einen Zielkonflikt. Er wird sich vielleicht sagen, das sei für seine Leute zu aufwendig, obwohl es aus Spitalsicht zielführend wäre. Es gibt da immer wieder divergierende Interessen.
Wie oft telefonieren Sie mit dem CEO?
Vielleicht zweimal pro Monat. Das ist sehr unterschiedlich. Er informiert mich bei Themen, die ich als Gesundheitsdirektor in meiner Rolle als Regulator wissen muss. Zum Beispiel wenn es um die Pflegeausbildung oder um Aufsichtsthemen geht. Das hat aber nichts mit der Eigentümerrolle zu tun. Sobald ich als Eigentümer-Vertreter auftrete, telefoniere ich nicht mit dem CEO, sondern mit dem VR-Präsidenten.
Der CEO, Rolf Zehnder, sagte mal in einem Interview, die Thurmed AG hätte nur eine IT, nur eine Personalabteilung, nur eine Finanzabteilung. Das senke Kosten.
Das stimmt. Aus meiner Sicht sind drei weitere Punkte entscheidend: Die Schaffung einer privatrechtlichen AG. Die klare Trennung von Politik und Management und ein echter unternehmerischer Spielraum für das Management. Das bedeutet auch, dass es mal in die Hosen gehen kann.
Es wird etwa gesagt, die Thurmed AG sei vor allem wegen der hochrentablen Radiologie so gut aufgestellt.
Wir sind nicht nur wegen der Radiologie so gut aufgestellt, sondern weil wir 2007 eine Holding gegründet haben und damit verschiedene Geschäftszweige unterhalten, so dass die Spital Thurgau AG unternehmerisch tätig sein kann. Wenn eine Tochtergesellschaft nicht rentiert, verkaufen wir sie.
Haben Sie Beispiele?
Unser Pathologieinstitut war defizitär – also haben wir es abgestossen. Die Radiologie läuft derzeit gut. Früher war auch die Wäscherei profitabel. 2019 haben wir zwei weitere übernommen. Dann kam Corona, dann die Energiekrise – und die Kosten der Wäscherei gingen durch die Decke. Ich habe kritisch nachgefragt. Der Verwaltungsrat hat parallel verschiedene Lösungen evaluiert. Anfang Jahr konnten wir sie schliesslich mit Gewinn an eine französische Gruppe verkaufen.
Also hat die Politik doch Einfluss genommen? Es wäre am VR gelegen, hier aktiv zu werden.
Der VR war auch dran und hat verschiedene Optionen aufgezeigt. Der VR ist übrigens der vierte, wichtige Punkt. Ich lege Wert darauf, dass im Verwaltungsrat Leute sind, die wirklich etwas vom Geschäft verstehen und praktische Erfahrungen mitbringen. Früher hatten wir zu viele Professoren im VR.
Könnte die Thurmed AG theoretisch auch eine Firma kaufen, die mit dem Gesundheitswesen nichts zu tun hat?
Rechtlich ja – aber der Regierungsrat müsste zuerst zustimmen.
Also mischt sich die Politik eben doch ein.
Wir reden nicht drein. Aber bevor eine Akquisition getätigt wird, prüfen wir den Businessplan, die Übereinstimmung mit der Eigentümerstrategie, prüfen Renditeerwartungen und Risiken und sagen je nach dem Ja oder Nein.
Die Thurmed AG erwirtschaftet im Quervergleich zwar gute Ergebnisse, scheint mir aber mit zwei Kantonsspitälern in 30 Kilometer Entfernung trotzdem nicht optimal aufgestellt zu sein.
Der Thurgau ist dezentral organisiert, wie das zum Beispiel auch im Aargau der Fall ist. Der Osten orientiert sich nach St. Gallen, der Westen nach Winterthur. Das zeigt sich sogar bei der «Thurgauer Zeitung» – die wird kritisiert, wenn sie bei der Fussballberichterstattung nicht beiden Regionen gerecht wird.
Wie meinen Sie das?
Im Osten ist man St. Gallen-Fan, im Westen GC- oder FCZ-Fan. Würden wir alles in Weinfelden zentralisieren, würden sich viele Patienten anders orientieren. Mit zwei Standorten erreichen wir eine flächendeckende Versorgung innerhalb des Kantons.
Sie haben in beiden Spitälern eine Orthopädie; an beiden Standorten eine Urologie. Ist das wirklich sinnvoll? Müsste man die einzelnen Disziplinen nicht auf einen Standort konzentrieren?
Wir haben vor fünf Jahren alle Chefarzt-Funktionen zusammengelegt – mit Ausnahme der Inneren Medizin. Wir haben einen Chefarzt Orthopädie für beide Häuser, einen Chefarzt Urologie für beide Häuser, einen Chefarzt Gynäkologie für beide Häuser. Kurz gesagt: Wir haben ein einziges Spital, aber zwei Standorte.
Wie hält es der Kanton Thurgau mit der hochspezialisierten Medizin (HSM)?
Im Unterschied zu anderen Kantonen hat der Thurgau nicht den Anspruch, ein Endversorgerspital zu führen. Es gibt genügend Spitäler, die sich selbstdeklariert als Endversorgerspitäler sehen. Das ist sehr teuer. Jede neue Disziplin, die man endversorgermässig aufbauen will, kostet ungemein viel Geld. Wir machen das, was wir gut können. Für die hochspezialisierten Fälle arbeiten wir mit anderen Kantonen zusammen – mit Zürich, St. Gallen, Basel oder Bern.
Ich habe mir sagen lassen, dass Sie im HSM-Gremium auch schon ziemlich auf den Tisch gehauen haben.
Das stimmt. Nicht weil ich den Grundsatz der Konzentration der hochspezialisierten Medizin in Frage stelle, sondern die Korrektheit der Vergabeprozesse. Ich habe nichts gegen eine Zentralisierung, solange sie auf medizinischer Evidenz und einem sauberen Verfahren beruht. Aber sobald es dann darum geht, Unispitäler zu oligopolisieren, dann habe ich Mühe damit.
Die Thurmed-Gruppe erzielte 2024 eine EBIT-Marge von 10,7 Prozent und liegt damit gemäss einem Vergleich von Medinside deutlich an der Spitze. Mehr: Das Spitaljahr 2024 im Check.
Kommen wir zur Gesundheitspolitik: Eine Motion verlangt, dass die Kantone neben der bestehenden Verpflichtung für die interkantonale Koordination der Spitalplanungen neu auch die Leistungsaufträge innerhalb von Versorgungsregionen aufeinander abstimmen und gemeinsam erteilen. Was halten davon?
Nicht viel. Sie ist unnötig. Die Kantone führen heute bereits viele Gespräche über eine gemeinsame Spitalplanung.
Sechs Ostschweizer Kantone wollten in der Gesundheitsversorgung zusammenspannen. Das Projekt erlitt vor zweieinhalb Jahren Schiffbruch.
Es wird schwierig, wenn unterschiedliche Interessen aufeinanderprallen. Unsere Spitäler zahlen Steuern und Dividenden und haben fast die tiefsten Tarife in der Schweiz. Wenn ich interkantonal koordinieren muss, kann das nur teurer werden, weil wir finanziell besser dastehen als andere Kantone.
Sage ich ja: Es funktioniert nicht.
Nur weil es beim letzten Mal nicht funktionierte, heisst das nicht, dass keine Gespräche im Gange sind. Noch etwas anderes stört mich an dieser Motion....
.... jetzt bin ich gespannt.
Es gibt auf Bundesebene genügend gesundheitspolitische Herausforderungen; es gibt so viele Kostentreiber, über die sich das Bundesparlament kümmern sollte. Es passiert extrem wenig, weil hart lobbyiert wird. Stattdessen wird mit solchen Vorstössen eine Scheindebatte geführt. Man zeigt auf Kantone und Spitäler. Dieses Bashing regt mich auf.
Ist es wirklich ungerechtfertigt?
Es gibt in den Spitälern nicht mehr viel zu holen. Seit der Spitalfinanzierung 2012 wurden viele Häuser geschlossen – mehr als je zuvor. Wegen des Wettbewerbs, nicht wegen der Politik.
Sind Spitalschliessungen nicht eher auf den Fachkräftemangel zurückzuführen?
Auch – aber eben vor allem bei unattraktiven Spitälern. Gute Leute gehen dorthin, wo die Bedingungen stimmen. So findet die Strukturbereinigung automatisch statt. Und genau so sollte es sein.

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